Schulabgänger "nicht ausbildungsfähig": Handwerk noch schlimmer bedroht als gedacht?

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In den nächsten Jahren werden zahlreiche Menschen aus dem Handwerk in den Ruhestand gehen. Schulabsolventen sind nur schwer für derartige Berufe zu begeistern - oder bringen nicht die nötigen Qualifikationen mit. Wie soll es weitergehen?

In den nächsten zehn Jahren gehen rund fünf Millionen Menschen, die derzeit in einem Handwerk tätig sind, in den Ruhestand. Schon jetzt gestaltet es sich schwierig, einen Termin mit einem Handwerker zu finden. Neben den angehenden Ruheständlern fehlt es an Nachwuchs in den entsprechenden Berufen. Nicht nur, dass der demografische Wandel seit Jahren für derartige Probleme sorgt, auch die Bildung und Qualifikation vieler Schulabsolventen ist nicht ausreichend. 

In einem Interview mit n-tv.de erläutert Stepstone-Chef Sebastian Dettmers, wie es um die Zukunft des deutschen Handwerks und der Wirtschaft steht. Es wird deutlich: Wollen wir künftig nicht länger und mehr arbeiten - sprich 6-Tage-Woche und/oder ein Renteneintritt mit 70 - müssen wir es schaffen, junge Menschen "ausbildungsfähig", wie es Dettmers nennt, auf den Arbeitsmarkt zu schicken und ältere Menschen gezielt weiterzubilden. 

Bildung und Weiterbildung notwendig: "Politik und Unternehmen sind gefragt"

"Wenn jemand 55 Jahre alt ist, warum sollte man so einen Menschen nicht ein halbes Jahr, ein Jahr weiterbilden, fit machen für einen völlig neuen Beruf, der vielleicht auch besser zu der Person und zu den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes passt? Die Person kann später in einem Job arbeiten, der gebraucht wird, der höher produktiv ist, der damit auch besser bezahlt ist", so der Stepstone-Chef. "Und natürlich ist es auch besser für uns als Gesellschaft, diese Menschen weiterzubilden und zu beschäftigen, als damit zu leben, dass sie langzeitarbeitslos werden. Nicht nur die Politik, sondern auch die Unternehmen sind gefragt, die Scheuklappen abzulegen."

Problematisch sieht er vor allem das Bildungsniveau vieler junger Menschen. Laut Ergebnissen der letzten Pisa-Studie verfehlen 30 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland die Mindestanforderungen in Mathematik. Ein Viertel kann nicht auf Grundschulniveau lesen. Viele Schülerinnen und Schüler sind nicht in der Lage, die Hauptaussage eines mittellangen Textes zu erfassen. Auch in den Naturwissenschaften fehlt es rund einem Viertel an der Kompetenz, "zumindest die richtige Erklärung für bekannte naturwissenschaftliche Phänomene zu erkennen". 

Er zieht zwei weitere Punkte heran: "Das Leben von unseren Eltern und unseren Großeltern war durch zwei Dinge geprägt. Erstens: Jedes Jahr standen mehr Menschen zur Verfügung, die gearbeitet haben. Wenn ein Unternehmen gewachsen ist, wenn die Wirtschaft gewachsen ist, dann konnte sie sich immer darauf verlassen, dass es mehr Menschen gibt", so Dettmers gegenüber n-tv.de.

Wohlstands-Niveau 2024 auf dem von 2019: Hat Deutschland den Anschluss verloren?

Und weiter: "Das Zweite: Wir sind auch immer produktiver geworden. Wir haben mit der gleichen Arbeitsleistung mehr geschafft. Der Grund: Maschinen, Algorithmen, Computer. Und diese Kombination aus mehr Menschen und mehr Produktivität hat dazu geführt, dass die Wirtschaft gewachsen ist, dass die Steuereinnahmen gewachsen sind, dass wir uns all die Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Gesundheitswesen leisten konnten. Mit jeder Generation hat sich der Wohlstand in diesem Land verdoppelt."

Das sei nun nicht mehr der Fall. Wir befinden uns in einer Rezession. Zahlreiche Arbeitgeber streichen derzeit Stellen. In Franken sind vor allem Autozulieferer betroffen - ZF, Brose, Bosch und Schaeffler haben angekündigt, umfangreich Arbeitsplätze abbauen zu müssen. Das Wohlstands-Niveau in Deutschland befindet sich laut Dettmers etwa auf dem von 2019: "Wir erleben seit fünf Jahren eine Stagnation im Fortschritt."

Und die Lösung? Bildung, Weiterbildung, eine bessere Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, Effizienz mit Blick auf neue Technologien und der gezielte Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Es müsste also viel passieren. Viele Jahre galt Deutschland als Industrie- und Exportweltmeister. 2023 ist das mit großem Abstand China. Ein Problem, das die deutsche Automobilindustrie derzeit zu spüren bekommt, ist die Entwicklung der E-Mobilität. China ist hier weltweit deutlich voraus - deutsche Marken können nicht mehr mithalten. VW steckt massiv in der Krise; auch hier droht tausenden Mitarbeitern der Jobverlust.

Cluster-Bildung als Ansatz? Das steckt dahinter

Einen weiteren Ansatz für eine gut funktionierende Wirtschaft stellt für Dettmers die sogenannte Cluster-Bildung dar: "Ein Cluster ist eine Kombination von bestimmten Dingen in einer Region. Erstens gute Bildungseinrichtungen. Typischerweise sind die wirtschaftlich am erfolgreichsten Gegenden dort, wo ich gute Schulen und Universitäten habe. Dann siedeln sich dort Forschungsinstitute und Unternehmen an. Ich schaffe auf einem kleinen Raum einen Ort mit sehr viel Kompetenz, wo sehr, sehr viele Menschen sind, die in unterschiedlichen Einrichtungen sowohl in der Bildung, in der Forschung als auch in den Unternehmen zusammenarbeiten", erläutert er gegenüber n-tv.de.

Laut Zentralverband des Deutschen Handwerks fehlen derzeit 250.000 Fachkräfte im Handwerk, rund 20.000 Ausbildungsplätze sind unbesetzt. "Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf den demografischen Wandel und ein sich zunehmend veränderndes Bildungswahlverhalten, einschließlich einer steigenden Studierneigung", heißt es auf der Website. Der Verband fordert eine Bildungswende und sieht hier - ähnlich wie Dettmers - die Politik in der Verantwortung: "In der Folge gilt es bildungspolitische Maßnahmen in den Blick zu nehmen, die zum einen die Gleichwertigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung herstellen und zum anderen die Betriebe bei der Ausbildung im Handwerk unterstützen." 

Dass etwas passieren sollte, ist also kein Geheimnis. Sowohl beim Thema Bildung als auch beim Thema Rente. Diskutiert und kritisiert wird derzeit auch das Rentenpaket 2 - große Verlierer: die jüngeren Generationen

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