Insolvent: Welche Kündigungsfrist gilt bei einer Betriebsstilllegung?

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Betriebsstilllegungen, Insolvenzen oder der Verkauf der Firma haben für die Beschäftigten gravierende Folgen. Aber hat dann wenigstens der Kündigungsschutz, durch langjährige Firmenzugehörigkeit erworben, noch Bestand?

In Franken gibt es immer wieder Betriebsstilllegungen und Insolvenzen. Bayernweit gab es im Jahr 2023 immerhin 2.527 Firmen-Insolvenzen, wie das Landesamt für Statistik in München meldet. Insolvent ging beispielsweise die Küchenquelle mit 300 Mitarbeitern in Nürnberg oder die Logistikfirma Maibach in Feucht mit 55 Beschäftigten. Betroffen von einer Werksschließung waren 137 Beschäftigte beim Polstermöbelhersteller Arco in Weidhausen oder der Textilproduzent Kaliko in Bamberg mit 116 Mitarbeitern. Die Auflistung ließe sich fortsetzen. Wenn ein Unternehmen dichtmacht, ist das für Beschäftigte ein Schock. Und schnell gibt es viele Fragen: Gibt es eine Kündigungsfrist bei einer Betriebsstilllegung? Geht es nach einer Insolvenz überhaupt weiter? Und was bedeutet der Verkauf der Firma für die Mitarbeiter?

Die Kündigung bei einer Betriebsstilllegung

Gibt eine Firma ihren Geschäftsbetrieb komplett auf (Betriebsstilllegung), entfallen damit die Arbeitsmöglichkeiten. Deshalb sind Kündigungen wegen "dringender betrieblicher Erfordernisse sozial gerechtfertigt, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen" heißt es in § 1 Abs. 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). In diesem Fall handelt es sich um eine sozial gerechtfertigte Kündigung. "Betriebsbedingter" kann ein Kündigungsgrund nicht sein. 

Natürlich will der Arbeitgeber nicht warten, bis der Betrieb tatsächlich stillgelegt ist. Wenn er nämlich dann erst die Kündigung ausspricht, muss er noch bis zum Ablauf der Kündigungsfristen Arbeitsentgelt zahlen. Vor diesem Hintergrund kündigen die Arbeitgeber regelmäßig unter Berücksichtigung der Kündigungsfristen bereits vor der tatsächlichen Stilllegung.

In der Praxis taucht dann die Frage auf, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitgeber eigentlich kündigen darf? Die unternehmerische Entscheidung zur Betriebsaufgabe muss gefallen sein. Dies ist dann der Fall, wenn beispielsweise Miet- oder Pachtverträge gekündigt sind oder der Verkauf von Produktionsanlagen bevorsteht. Der Arbeitgeber muss den voraussichtlichen Stilllegungstermin festlegen. Gibt es einen Betriebsrat in der Firma, ist er zu beteiligen (§§ 111 ff. Betriebsverfassungsgesetz, BetrVG).

Indizien für die Betriebsstilllegung müssen erkennbar sein

Wird die Entlassung auf die zu erwartende Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt, dann muss dies greifbare Formen annehmen (fehlende Aufträge). Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg sieht weitere wichtige Indizien für eine geplante Stilllegung (Urteil vom 17.12.2013, Az.: 7 Sa 1522/13), wenn zum Beispiel folgendes vorliegt:

  • Mitteilung des Geschäftsführers an die Gesellschafter über die Stilllegungsentscheidung,
  • Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans mit dem Betriebsrat,
  • Massenentlassungsanzeige an die Bundesagentur für Arbeit,
  • geplante Einstellung der Tätigkeit.

Der Arbeitgeber ist berechtigt, die gekündigten Arbeitnehmer in der Kündigungsfrist noch für die Abarbeitung vorhandener Aufträge einzusetzen. Er erfüllt damit gegenüber den eingesetzten Arbeitnehmern seine auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Beschäftigungspflicht (BAG v. 16.2.2012 - 8 AZR 693/10). Ist eine etappenweise Betriebsaufgabe geplant, sind die betroffenen Arbeitnehmer zum jeweiligen Zeitpunkten zu entlassen. Dabei muss der Betrieb die unterschiedlichen Kündigungsfristen beachten. Die Kündigungen kann die Firma bereits so frühzeitig aussprechen, dass sie zum Zeitpunkt der geplanten Stilllegung oder Teilstilllegung wirksam sind. Meistens gibt es die Kündigung also schon vor der eigentlichen Betriebsaufgabe. 

Kündigungsfristen gelten auch bei Betriebsstilllegung

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen im Normalfall keine Angst haben, dass sie von einem Tag auf den anderen ohne Job dastehen. "Bei einer Betriebsstilllegung gilt in der Regel nichts anderes als bei anderen Formen der betriebsbedingten Kündigung", sagt Johannes Schipp, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Gütersloh, der Deutschen Presseagentur (dpa). Es mache keinen Unterschied, ob eine einzelne Stelle wegfalle oder alle Arbeitsplätze.

Eine Firmenschließung ist also kein Grund für eine fristlose, außerordentliche Kündigung. Der Arbeitgeber muss seinen Mitarbeitenden ordentlich, betriebsbedingt kündigen. Das bedeutet, es sind die Kündigungsfristen einzuhalten, die im Arbeitsvertrag, im Tarifvertrag oder gesetzlich festgelegt sind. Die Kündigungsfrist gilt jeweils zum Ende eines Kalendermonats. Wenn die gesetzlichen Fristen (§ 622 BGB) greifen, dann betragen sie:

  • 1 Monat bei 2 Jahren Betriebszugehörigkeit
  • 2 Monate bei 5 Jahren Betriebszugehörigkeit
  • 3 Monate bei 8 Jahren Betriebszugehörigkeit
  • 4 Monate bei 10 Jahren Betriebszugehörigkeit
  • 5 Monate bei 12 Jahren Betriebszugehörigkeit
  • 6 Monate bei 15 Jahren Betriebszugehörigkeit
  • 7 Monate bei 20 Jahren Betriebszugehörigkeit

Einige Besonderheiten gelten bei der Betriebsaufgabe

Darf der Betriebsrat bei den Kündigungen mitbestimmen? Gibt es einen Betriebsrat, ist dieser vor der Kündigung anzuhören. Außerdem muss er die Namen und Kündigungstermine erhalten. Er hat bei der Betriebsaufgabe aber keine Mitbestimmungsrechte. Ab wann braucht es einen Sozialplan? Wird das Unternehmen in Etappen geschlossen, ist eine Sozialauswahl notwendig (Wer geht zuerst, wer bleibt noch einige Zeit). Die "sozial Stärksten" müssen zuerst gehen. Kriterien sind dabei zum Beispiel Alter, Familienstand oder Betriebszugehörigkeit. 

Muss der Betrieb eine Abfindung zahlen? Normalerweise müssen Arbeitgeber gekündigten Mitarbeitenden keine Abfindung zahlen. Es handelt sich um eine freiwillige Leistung. In einigen Fällen sind allerdings Betriebe dazu verpflichtet: zum Beispiel, wenn Abfindungen tariflich, im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung geregelt sind. Einzelne Beschäftigte können eine Abfindung bekommen, während andere kein Geld erhalten. Letztlich entscheidet das der Arbeitgeber. In Betrieben mit Betriebsrat kann dieser einen Sozialplan mit Abfindungen erzwingen. "Idealerweise habe ich für Abfindungen einen Geldtopf eingerichtet und die Verteilung des Geldes mit dem Betriebsrat vereinbart", erklärt die Arbeitsrechtlerin Dr. Iris Henkel aus Leipzig in der Wirtschaftszeitschrift Impulse.

Welche Regeln gelten für Kleinbetriebe? Unternehmen mit zehn oder weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fallen als Kleinbetriebe nicht unter das Kündigungsschutzgesetz – sie haben es also leichter, Beschäftigte zu entlassen. Wann sind Entlassungen anzeigepflichtig? Von einer Betriebsschließung sind oftmals viele betroffen, Arbeitsmarktexperten der Bundesagentur sprechen dann von einer Massenentlassung. Diese ist schriftlich bei der Agentur für Arbeit zu melden. Selbst dann, wenn Aufhebungsverträge schon abgeschlossen sind. Welche Pflichten der Arbeitgeber genau bei Massenentlassungen hat, regelt § 17 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG)

Was passiert mit Azubis, befristet Beschäftigten und mit dem Zeugnis?

Kann ich Auszubildenden kündigen? Auch Auszubildende, die ihre Lehrzeit noch nicht beendet haben, sind bei einer Betriebsaufgabe zu kündigen. Allerdings ist der ausbildende Betrieb verpflichtet, bei der Suche nach einem Anschlussausbildungsplatz zu helfen. Für diese Fälle ist die zuständige Kammer (IHK, Handwerkskammer) eine gute Adresse. Sie schaffen es fast immer, einen Anschlussvertrag zu organisieren. Was gilt bei der Betriebsschließung für befristete Verträge? Befristete Verträge sind nur dann vorzeitig zu kündigen, wenn eine entsprechende Kündigungsklausel vereinbart ist. Ist das nicht der Fall, ist eine vorzeitige Kündigung nur möglich, wenn beide Seiten einvernehmlich einen Aufhebungsvertrag abschließen.

Wie kündige ich schwangeren und schwerbehinderten Mitarbeitern? Will der Arbeitgeber Schwangeren oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Elternzeit kündigen, ist vorher die Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörde (Gewerbeamt) einzuholen. Bei schwerbehinderten Mitarbeitern ist die Zustimmung des Integrationsamts erforderlich.

Was ist mit einem Zeugnis? Auch wenn es den Betrieb nach der Firmenschließung nicht mehr gibt, ist der Arbeitgeber verpflichtet, seinen Mitarbeitern ein Zeugnis auszustellen – das hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschieden (LAG, Urteil vom 3.8.2011, Az.: 9 Ta 128/11). Das gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber keine Kopfbögen mehr von der alten Firma hat. Notfalls muss er sogar neues Briefpapier gestalten. 

Bei einer angemeldeten Insolvenz entsteht eine andere Lage

Bei einer Insolvenz kann der Betrieb seine Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern nicht mehr erfüllen. Gründe für eine Insolvenz sind Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Die Insolvenz des Arbeitgebers ist eigentlich noch kein Grund für eine Kündigung. Schließlich kann es nach einem "erfolgreichem Insolvenzverfahren" auch mit der Firma weitergehen. Dafür gibt es Beispiele (Märklin, Schiesser, Matratzen Direct).

Kommt es aber in Folge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedoch zur völligen oder teilweisen Stilllegung des Betriebs, sind betriebsbedingte Kündigungen möglich. Dann kommt laut Arbeitsrechtler Schipp § 113 der Insolvenzordnung (InsO) zur Anwendung. Dort heißt es unter anderem, dass der Insolvenzverwalter ein Arbeitsverhältnis unabhängig von einer vereinbarten Vertragsdauer kündigen kann. Also im Klartext: Bei einer Insolvenz ist also schneller Schluss.

Die Kündigungsfrist beträgt in diesem Fall maximal drei Monate zum Monatsende – "das gilt dann, selbst wenn ich eigentlich eine Kündigungsfrist von sieben Monaten habe", erläutert Johannes Schipp. Zwar ergebe sich in einem solchen Fall ein Schadenersatzanspruch. Der ist aber nicht besonders groß, wenn die Insolvenzverwalterin oder der Insolvenzverwalter kündigen. Auch bei betriebsbedingten Kündigungen in der Insolvenz ist nach § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) eine Sozialauswahl durchzuführen. Diese muss die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung der Beschäftigten ausreichend berücksichtigen.

Der Verkauf aller oder einzelner Teile der Firma

Kommt es zu einem Verkauf der Firma oder von Teilen, dann verändert sich die Lage erneut. Nach § 613a BGB übernimmt der neue Inhaber bei einem Betriebsübergang alle Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen. Er wird quasi automatisch neuer Arbeitgeber der im Betrieb Beschäftigten.

Die Rechte und Pflichten des neuen Arbeitgebers bleiben zunächst einmal dieselben. § 613a BGB ist eine zwingende Schutzvorschrift, von der nur zugunsten der Arbeitnehmer abzuweichen ist. Der Übergang der Arbeitsverhältnisse auf einen neuen Arbeitgeber bedeutet nicht, dass die Beschäftigten einen neuen Arbeitsvertrag erhalten. 

Der neue Arbeitgeber, kann versuchen, die arbeitsvertraglichen Bestimmungen vom Zeitpunkt des Übergangs an zu ändern. Neue Konditionen für die Beschäftigung kann durch Änderungsvertrag, durch Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages oder durch Änderungskündigung passieren.

Betriebsstilllegungen, Insolvenzen oder der Verkauf der Firma versprechen meistens nichts Gutes

Betriebsstilllegungen, Insolvenzen oder der Verkauf der Firma sind nichts Außergewöhnliches in der Arbeitswelt und in der Marktwirtschaft. Das zeigt beispielsweise die Statistik: 2023 gab es 17.814 Betriebsinsolvenz. Für die Beschäftigten ist die Betriebsaufgabe der Super-GAU. Dass trotzdem die Regeln des Kündigungsschutzes gelten, ist für die Betroffenen von Vorteil. Beim Verkauf der Firma geht es meistens glimpflicher ab: Der § 613a BGB schützt die Beschäftigten. Nach einem "erfolgreichen Insolvenzverfahren" kann es für die Mitarbeiter weitergehen. Allerdings enden nicht alle Insolvenzen mit einem Neustart. Egal, wie du es wendest: Betriebsstilllegungen, Insolvenzen oder der Verkauf der Firma bedeuten für die Beschäftigten in jedem Fall Veränderungen und vielfach kommt am Ende des Tages nichts Gutes heraus.

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