Wissenschaftler untersuchen das Zusammenspiel von Tumorzellen und Nervensystem.
CC0 / Pixabay / jarmoluk
Neue Wege der Krebsforschung: Onkologie und Neurologie untersuchen gemeinsam, welche Rolle das Nervensystem bei der Entstehung und dem Wachstum von Krebs haben könnte.
Krebs ist unter den 10 häufigsten Todesgründen weltweit. In einer neuen Fachrichtung versuchen Neurologie und Onkologie neuartige Therapieformen zu entwickeln. Hierfür versuchen die Forscher zunächst zu klären, welcher Zusammenhang zwischen dem menschlichen Nervensystem und den unterschiedlichen Tumorgeweben besteht.
"Cancer Neuroscience": vom Mikrokosmos des Tumors
"Cancer Neuroscience" nennt sich die Verbindung aus Neurowissenschaft und Krebsforschung. In diesem noch neuen Fachgebiet versuchen Forschende der beiden Forschungsgebiete herausfinden, welcher Zusammenhang zwischen dem menschlichen Nervensystem und dem Wachstum von Tumoren besteht. Bereits in den 90er Jahren wurde bei Männern, die eine Schädigung des Rückenmarks haben, beobachtet, dass diese seltener an Prostatakrebs erkrankten. Aus der Entwicklungsforschung ist bekannt, dass embryonales Wachstum nur möglich ist, wenn sich Nervenzellen bilden. Menschliches Gewebe kann also nur entstehen, wenn Nervenzellen vorhanden sind. Auch durchgeführte Tierversuche konnten bereits zeigen, dass das Nervensystem eine entscheidende Rolle in der Bildung von Tumoren spielt.
Die "Cancer Neuroscience" beschäftigt sich primär mit dem "tumor microenvironment". Darunter versteht man die direkte Umgebung des Tumors und das Gewebe im Körper, welches in direktem Kontakt mit den bösartigen Tumorzellen steht. Das menschliche Nervensystem ist sehr komplex und engmaschig. Nerven sind ein wesentlicher Bestandteil aller Gewebe im Körper und stehen damit auch in direktem Kontakt mit den Tumorzellen. Untersuchungen konnten bereits bestätigen, dass die Überlebenschance von Krebserkrankten in Zusammenhang mit der Nervendichte im Tumor steht: Je mehr Nerven im Gewebe sind, desto geringer sind die Heilungschancen.
Neuronen und Nervenfasern sind das Kommunikationssystem des Körpers. Sie können zum Beispiel für eine Steigerung des Gewebewachstums sorgen. Wenn der Tumor diese Eigenschaften des Nervensystems für seine Zwecke nutzen kann, würde er so Blutgefäße vermehren können, um seine eigene Versorgung mit Nährstoffen zu verbessern, die für das Wachstum notwendig sind.
Signalwege des Tumors identifizieren
Je nach Gewebeart fällt das Einwirken von Krebszellen auf das Nervensystem unterschiedlich aus. Das Prinzip ist jedoch immer gleich: Der Tumor übernimmt die individuellen Mechanismen der Vermehrung und Entwicklung der unterschiedlichen Zelltypen. So macht sich ein Brusttumor andere Strategien zu eigen als beispielsweise ein Hirntumor, denn es handelt sich in diesen beiden Fällen um unterschiedliche Zellen. Das Drüsengewebe benötigt andere Wachstumsfaktoren und andere Informationen des Nervensystems, um zu wachsen, als die Zellen des Gehirns.
Ein Forschungsteam um den Neurologen Varun Venkataramani konnte beobachten, dass Tumorzellen spezialisierte Verbindungen mit dem Nervensystem eingehen, also ganz eigene Synapsen bilden können. Es wird eine Kopie erstellt, der Tumor baut quasi eine Parallelstraße und nutzt das Nervensystem für seine eigene Zwecke.
Im Gehirn sind Tumorzellen sogar in der Lage, direkt auf die Synapsen des eigentlichen Nervensystems zuzugreifen. Die Forschung vermutet, dass hier der Botenstoff Glutamat eine entscheidende Rolle spielt, den die Tumorzellen für sich nutzen. Inwiefern auch andere Tumorzellen oder Metastasen im Körper diese Eigenschaft haben, ist bisher noch nicht erforscht.
Das Nervensystem des Menschen
Je nach Krebsart können die unterschiedlichen Nerven des menschlichen Körpers ganz unterschiedlich auf den Tumor einwirken. Das Nervensystem des Menschen setzt sich aus dem Zentralnervensystem (ZNS) und dem peripheren Nervensystem zusammen. Das ZNS besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Alle Nervenzellen, die außerhalb des Gehirns und dem Rückenmark existieren, zählen zum peripheren Nervensystem. Die Nervenstränge des peripheren Nervensystems bestehen aus einer Vielzahl von Nervenfasern, die das gesamte menschliche Gewebe durchziehen. Sie steuern Signale an Organe, Drüsen und die Muskulatur und senden Signale von den Sinnesorganen zum ZNS.
Der Parasympathikus und Sympathikus könnten laut Forschenden eine Auswirkung auf die Ausbreitung von Tumoren haben. So fördert der Sympathikus durch das Freisetzten von Adrenalin und Noradrenalin vermutlich das Tumorwachstum von Prostatakrebs zu Beginn einer Erkrankung. Erste Studien an Mäusen und menschlichen Zellen weisen darauf hin. Im weiteren Verlauf der Erkrankung scheint dann der Parasympatikus einen positiven Einfluss auf das Tumorwachstum zu haben.
Der Sympathikus und der Parasympatikus sind Teile des vegetativen Nervensystems des Menschen. Das vegetative Nervensystem regelt alle Abläufe im Körper wie beispielsweise die Atmung, den Stoffwechsel oder die Körpertemperatur. Der Mensch kann es nicht bewusst steuern. Der Sympathikus aktiviert den Organismus, während der Parasympatikus in Ruhe- und Regenrationsphasen aktiv ist. Die beiden sind also Gegenspieler. Welche Auswirkungen die unterschiedlichen Erregungszustände des vegetativen Nervensystems auf das Wachstum unterschiedlicher Tumore im Körper haben könnten, ist derzeit noch nicht bekannt.
Chance, neue Therapiemöglichkeiten kreieren
Mit den Erkenntnissen der "Cancer Neuroscience" könnten auch neue Therapieansätze gefunden werden. Aktuell sind die Hauptbestandteile der Krebstherapie noch chronische Eingriffe und Chemotherapien. Doch in vielen Fällen ist Krebs bisher nicht heilbar. Aus der Interaktion von Tumorzellen und Nervensystem könnten jedoch neue Methoden entwickelt werden.
Es gibt erste Studien, die Versuchen zu vermeiden, dass Tumore Synapsen bilden, um so mit dem Nervensystem zu interagieren. Eine andere Möglichkeit wäre es, die Nervenversorgung der Tumore zu kappen. Dabei muss allerdings beachtetet werden, welche Nebenwirkungen dadurch auftreten können. Denn wenn ganze Nervenbündel beispielsweise durchtrennt werden, wird auch die Verbindung zu gesundem Gewebe gekappt. Daher gibt es Überlegungen, mit lokal angewendetem Nervengift wie Botox zu arbeiten. Erste Behandlungen von Prostata- und Magenkrebs zeigen eine Verlangsamung des Tumorwachstums.
In einem weiteren Ansatz wollen Forschende von Anfang an die Nervenverbindungen von Tumor und Nervensystem verhindern. Hierfür forschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit speziellen Antikörpern, die bestimmte Wachstumsfaktoren blockieren. Diese Therapieform bringt jedoch aufgrund der individuellen Unterschiede der Patienten viele Unbekannte mit sich. Doch es zeigt sich, dass das Feld der "Cancer Neuroscience" viele neue Erkenntnisse mit sich bringt. Langfristig könnte sich das Forschungsgebiet mit zunehmenden Erkenntnissen elementar auf die Krebsmedizin auswirken.
Fazit: Forschungsfeld mit Potenzial
Das neuartige Forschungsfeld der "Cancer Neuroscience" bringt nicht nur neue Erkenntnisse über die Entstehung und das Wachstum von Tumorzellen, es könnte auch Möglichkeiten für neue Therapieansätze liefern. Wie Krebszellen und Nervensystem interagieren, muss noch genauer erforscht werden. Bereits jetzt ist bekannt, dass das Nervensystem eine entscheidende Rolle beim Wachstum von Tumoren spielt. Das Verstehen und Erforschen der Mechanismen kann der Wissenschaft dabei helfen, diese umzukehren oder präventiv zu agieren.
Die Themen "Krebs-Erkrankungen", "Vorsorge" und "Behandlungsmöglichkeiten" interessieren dich? Hier findest du weitere Informationen:
*Hinweis: In der Redaktion sind wir immer auf der Suche nach nützlichen Produkten für unsere Leser. Es handelt sich bei den in diesem Artikel bereitgestellten und mit einem Einkaufswagen-Symbol beziehungsweise einem Sternchen gekennzeichneten Links um sogenannte Affiliate-Links/Werbelinks. Wenn du auf einen dieser Links klickst bzw. darüber einkaufst, bekommen wir eine Provision vom Händler. Für dich ändert sich dadurch nichts am Preis. Unsere redaktionelle Berichterstattung ist grundsätzlich unabhängig vom Bestehen oder der Höhe einer Provision.