Mehrere Prozent in einem Tag: Warum unterscheiden sich Wahlumfragen so extrem?

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In der Berichterstattung zur Bundestagswahl im Februar spielen Wahlumfragen eine große Rolle. Dabei werden auch kleine Verschiebungen interpretiert und auf große Veränderungen zurückgeführt - wie jetzt nach der Gewalttat von Aschaffenburg. Was steckt wirklich hinter den unterschiedlichen Umfrageergebnissen?

Am 23. Februar 2025 wird in Deutschland der neue Bundestag gewählt. Bis dahin blicken die Menschen in der Bundesrepublik immer wieder auf Wahlumfragen: Wie könnte die Wahl im Februar ausgehen? Wer wird Kanzler, welche Partei gewinnt Stimmen, welche fliegt gar aus dem Bundestag?

Im Vorfeld der Wahl werden Wahlumfragen genau beäugt und analysiert. Aktuelles Beispiel: Wie könnte sich die schreckliche Gewalttat von Aschaffenburg auf die Wähler und Wählerinnen auswirken? Gewinnt die AfD vielleicht deswegen Stimmen?  So hatten auch wir bei inFranken.de am 28.01.2025 die Frage aufgeworfen, ob der Messerangriff von Aschaffenburg seinen Schatten vorauswirft und die aktuellen Umfragewerte erklären kann. Doch ist diese Frage überhaupt richtig gestellt?

Schwankende Umfragewerte: Sechs Prozent Verlust an nur einem Tag?

Schaut man sich die Chronik der Umfragen zur Bundestagswahl an, fallen einem immer wieder teils massive Sprünge auf. Die AfD würde laut YouGov-Umfrage vom 29.01.2025 insgesamt 23 Prozent der Stimmen erhalten - ein absoluter Spitzenwert für die Partei in diesem Jahr. Hatte die Tat von Aschaffenburg also einen positiven Effekt auf die AfD? Einen Tag zuvor wollten die AfD laut Ipsos aber nur 19 Prozent der Wählerinnen und Wähler wählen - der niedrigste Wert seit dem 3. Januar 2025. Das spricht eher nicht für einen "Aschaffenburg-Effekt".

Die Umfragewerte anderer Parteien schwanken gleichfalls massiv. Im Januar 2025 gaben maximal 34 % der von renommierten Umfrageinstituten Befragten an, der CDU ihre Stimme geben zu wollen. Minimal waren es 28 %. Das erstaunliche auch hier: Zwischen der Veröffentlichung der beiden Umfragen lag nur ein Tag. Kann man wirklich sechs Prozent der Stimmen in nur 24 Stunden verlieren?

Ähnliches gilt für SPD (14-19%), Grüne (12-15%), BSW (3-7%), FDP (3-5%) und Linke (2,5-5%). Bei noch kleineren Parteien ist eine Aussage noch schwieriger, weil bei der Hochrechnung repräsentativer Wahlumfragen auf die Gesamtbevölkerung der Fehlerbalken bei kleinen Fallzahlen stärker zuschlägt. Anders ausgedrückt: Wenn bei 1000 Befragten 300 angeben, die CDU wählen zu wollen, macht es keinen großen Unterschied, ob es in Wirklichkeit 299 oder 301 von 1000 Wählern wären. Wenn bei einer Umfrage aber nur eine Person angibt, beispielsweise die Partei der Humanisten wählen zu wollen, würde es einen massiven Unterschied machen, wenn es real 0 oder 2 Wähler pro 1000 Personen wären.

Sind Wahlumfragen seriös - oder eher gefährlich?

Wie drastisch die realen Auswirkungen von Umfragen auf den realen Wahlausgang seien können, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2013. Professor Dr. Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, verwies im Gespräch der brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung auf die Bedeutung von Wahlumfragen für das Scheitern der FDP an der 5 Prozenthürde 2013.

"Am Morgen des Wahlsonntags hat die Bild am Sonntag noch eine Umfrage veröffentlicht, die die FDP bei sechs Prozent sah. Um 18 Uhr waren es 4,8 Prozent", erläuterte Faas das Beispiel. In einer Studie habe er zeigen können, "dass die Annahme, dass die FDP schon in den Bundestag kommt, zu weniger Leihstimmen von Unions-Anhängern geführt hat."

Bei der Bundestagswahl 2025 könnte genau dieses Phänomen auf gleich drei Parteien zutreffen: Sowohl die FDP, die Linken als auch das BSW kämpfen um den Einzug in den Bundestag und drohen, an der 5-Prozent-Hürde zu scheitern. Es könnte also sein, dass Menschen den Parteien ihre Stimme geben, wenn sie vermuten, es könnte knapp mit dem Bundestagseinzug werden. Andererseits könnten Menschen ihre Wahlentscheidung ändern, wenn es für eine Partei unmöglich erscheint, in den Bundestag einzuziehen.

Warum unterscheiden sich Wahlumfragen so stark? 

Es sollte klar sein, dass bei Wahlumfragen nicht sämtliche Wähler und Wählrinnen befragt werden. Vielmehr handelt es sich meist um "repräsentative Umfragen". Als "repräsentativ" gilt eine Umfrage, wenn sie groß genug ist (größtenteils gilt hier eine Grenze von 1000 Befragten) und bestimmte Menschen und Wählergruppen nicht statistisch bevorteilt.

Ein klassisches Beispiel einer "Bevorteilung" sind zufällige Telefonbefragungen über das Festnetztelefon am Vormittag: Viele Menschen arbeiten zu dieser Zeit und sind nicht über den Festnetzanschluss zu Hause erreichbar. Tendenziell werden in einer Umfrage, die so erstellt wird, also ältere Menschen (Rentner) häufiger erreicht. Sie sind am Ende in einer solchen Stichprobe "überrepräsentiert". 

Zwar gibt es verschiedene Methoden, um solche "statistischen Probleme" auszugleichen. Dennoch bleibt am Ende eine sogenannte "Fehlertoleranz" von 1 bis 3 Prozentpunkten. Ein "Umfragegewinn" von wenigen Prozentpunkten kann deshalb auch ein rein statistischer Effekt sein.  

Blick auf die Umfragen: Werden manche Parteien bevorteilt oder benachteiligt?

Schaut man auf die Chronik der Umfragewerte, zeigt sich, dass bestimmte Parteien bei bestimmten Umfrageinstituten häufig mehr oder weniger Stimmen bekommen, als bei anderen. So sah das Meinungsforschungsinstitut Insa das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im gesamten Januar 2025 stets bei 6 bis 7 Prozent der Stimmen - und damit klar im neuen Bundestag. Das Forsa-Institut andererseits sah das BSW immer bei 4 %. Zuletzt rutschte das BSW dort sogar auf 3 Prozent ab. 

Ähnliche Tendenzen gibt es auch bei anderen Parteien. Dennoch ist nicht davon auszugehen, dass bestimmte Institute bestimmte Parteien absichtlich bevorteilen oder benachteiligten. Vielmehr sollte man sich die einzelnen Methoden der Erhebung näher anschauen. Beispielsweise YouGov: Das Meinungsforschungsinstitut setzt vor allem auf ihre große Onlinedatenbank, in der Menschen verzeichnet sind, die bereit sind, an Befragungen teilzunehmen. Menschen ohne Internetzugang sind also tendenziell ausgeschlossen. Zwar kann man auch hier mit statistischen Methoden eine Repräsentativität herstellen, eine systematische Unterbewertung bestimmter Meinung scheint aber nicht gänzlich ausgeschlossen.

Selbiges gilt für ein eher klassisches Meinungsforschungsinstitut: Die Forschungsgruppe Wahlen erstellt für das ZDF seit Jahrzehnten das Politbarometer und setzt dabei eher auf klassische Telefonbefragungen. Zwar spielen auch hier mittlerweile Onlinebefragungen eine Rolle, aber deutlich weniger als bei YouGov. Vergleicht man die Ergebnisse von YouGov und der Forschungsgruppe, sind die Unterschiede aber nicht besonders groß - was für eine gute, wenn auch unterschiedliche Methodik beider Institute spricht.

Kann man Wahlumfragen nicht vertrauen und sollte man sie ignorieren?

Wahlumfragen sind immer fehleranfällig. Das gilt umso mehr, als die Wählerbindung deutlich schwächer ist als früher: Während man im vergangenen Jahrhundert oft quasi schon per Geburt in eine sozialdemokratische oder konservativ-christliche Familie geboren wurde und damit schon auf Lebenszeit die Wahlentscheidung mehr oder weniger festgelegt war, entscheiden sich Menschen heute viel spontaner und wechseln dabei auch häufiger die Partei, die sie wählen. 

Insofern sind Wahlumfragen fehleranfälliger als früher - und könnten einen größeren Einfluss auf den Wahlausgang haben. Um Letzteres zu verhindern, haben einige Länder strenge Regeln für Wahlumfragen eingeführt. Sie dürfen dann nur lange vor den eigentlichen Wahlen veröffentlicht werden. Deutschland hat hier laschere Regeln: Nur solange die Wahllokale am Wahltag geöffnet sind, ist die Veröffentlichung von Wahltrends und Hochrechnungen verboten. 

Auch Prof. Thortsen Faas sieht dies ähnlich. Seiner Ansicht nach sollte es weiter möglich sein, Wahlumfragen zu veröffentlichen. Das Problem liege demnach an anderer Stelle: "Wichtiger erscheint mir, dass man die Ergebnisse der Umfragen richtig kommuniziert. Man sollte sicherstellen, dass diese eben nicht als ein in Stein gemeißeltes Endergebnis kommuniziert werden, sondern als ein Stimmungsbild, auf das Menschen wiederum reagieren können. Wir würden ja auch keiner Zeitung in der Woche vor der Wahl verbieten, Kommentare zu schreiben. Wir verbieten den Leuten am Wahlsonntag auch nicht, ihrem Nachbarn zu sagen ‚Hey, wählst du nicht auch vielleicht Partei A oder B‘. Das ist normale Wahlkampfkommunikation und dazu gehören eben auch Umfragen. Insofern wäre ich mit Verboten sehr vorsichtig."

Vorschaubild: © Sebastian Gollnow/dpa