Der Streit in der Politik über die richtige Reform der Rente schwellt nicht erst seit diesem Jahr. Doch das lange geplante Rentenpaket 2 der inzwischen gescheiterten Ampel-Regierung hat die Diskussionen in den vergangenen Monaten immer neu befeuert. Jetzt hat der stellvertretende Leiter vom Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) in Dresden mehr Ehrlichkeit der Politiker gefordert.
Experte warnt: Das Geld für die Rente "fällt nicht vom Himmel"
Für Ökonom Joachim Ragnitz wird zu viel über die Folgen gewisser Entscheidungen geschwiegen. Ragnitz: "Die Politik muss den Menschen die Wahrheit über die Rente sagen. Sie muss sagen: Wir lösen das Problem, indem alle Gruppen einen Beitrag leisten."
Und der Wirtschaftsexperte wird in seinem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus noch deutlicher: "Die Jungen zahlen einen etwas höheren Beitrag, und die Alten müssen Abstriche bei der Rente hinnehmen. Das muss man den Leuten klarmachen, dass die Kosten irgendwie aufgeteilt werden müssen, anstatt das Blaue vom Himmel zu versprechen."
Was aktuell gemacht wird, man erzähle den Menschen: "Wir lösen mit einer Stabilisierung des Rentenniveaus die Probleme." Dabei hat man aber ganz nebenbei vergessen zu erwähnen, wer die Kosten dafür tragen müsse. Ragnitz: "Das Geld fällt nicht vom Himmel. Leistungsversprechen werden immer von irgendwem bezahlt. Aber so viel Ehrlichkeit kann man von Politikern im Wahlkampf vermutlich nicht erwarten…". Aktuell stecken die Parteien nach der Vertrauensfrage durch Kanzler Olaf Scholz mitten in den Vorbereitungen für die Bundestagswahlen im Februar – die Rente bleibt dabei eines der Kernthemen.
Kein Zeit mehr für große Reform-Spielchen bei der Rente
Im Gespräch mit dem Focus stellt Ragnitz heraus, dass es keine Zeit mehr gibt, um noch in Ruhe nach einer passenden Lösung für das Problem mit der Rente zu suchen: "Bis 2031 werden die geburtenstärksten Jahrgänge in Rente gegangen sein und dann noch 15 oder 20 Jahre Rente beziehen. Diesen Zeitraum bis 2030 müssen wir deshalb nutzen, das System zu stabilisieren."
Besser wäre es demnach sogar gewesen, man hätte "schon vor 20 Jahren damit begonnen, Vorkehrungen zu treffen". Eine Möglichkeit wäre dabei gewesen, "eine Art Generationenkapital aufbauen". Ragnitz: "Aber das hat die Politik versäumt. Umso dringender, dass wir jetzt anfangen, das Rentensystem zukunftsfest zu machen."
Was für den Ökonomen definitiv nicht gehen wird: Ein hohes Rentenniveau und niedrige Beiträge: "Man kann nicht beides haben."
Zu wenig Wahrheit über die Kosten der Rente: Ministerium widerspricht
Doch wie sieht man beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Äußerungen von Joachim Ragnitz? Die Aussage, dass die Politik nicht ganz die Wahrheit über die anfallenden Kosten sagen würde, wollte man gegenüber unserer Redaktion nicht so stehen lassen.
Das BMAS erklärt dazu: "Hinsichtlich der Darstellung von Kosten und Folgen ist darauf hinzuweisen, dass die Bundesregierung ausführlich zur Entwicklung der Alterssicherung berichtet, unter anderem in dem jährlich an die gesetzgebenden Körperschaften übermittelten Rentenversicherungsbericht."
Außerdem, so heißt es in der Antwort weiter, würden "in den rentenpolitischen Gesetzentwürfen die finanziellen Auswirkungen ausführlich und mit einer langfristigen Perspektive dargestellt".
BMAS über Pläne und Aufgaben der Politik
Und auch zu den Plänen für die Rente und den Aufgaben der Bundesregierung mit Blick auf die verschiedenen Generationen in Deutschland hat sich das Ministerium im Rahmen unserer Anfrage geäußert.
BMAS: "Das Eintreten der Generationen für einander ist der Kern unseres Sozialstaats, das gilt sowohl für die aktuellen Generationen als auch für alle folgenden. Die heute aktive Generation muss sich darauf verlassen können, im Alter für die von ihnen bezahlten Beiträge eine angemessene Absicherung zu erhalten." Gleichzeitig, so heißt es weiter, müsse sie eben "für eine angemessene Absicherung der jetzigen Rentenbeziehenden aufkommen, die ihrerseits entsprechende Beiträge gezahlt haben".
Die Rentenpolitik hat demnach die Aufgabe, diese Interessen im Blick zu haben und zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Und davon, so sieht es das Ministerium, ist die Rentenpolitik auch schon seit sehr langer Zeit geprägt. Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales verweist man in diesem Zusammenhang dann auch auf das Rentenpaket 2. Dies sollte die gesetzliche Rente als tragende Säule der Alterssicherung langfristig im Hinblick auf das Rentenniveau stabil halten. Mit dem Generationenkapital sollten dabei mittelfristig ein Beitrag zur Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung geleistet werden.
Für den Experten vom Ifo-Institut liegt aber genau hier das Problem. Für Ragnitz funktioniert der Generationenvertrag nicht mehr – und auch das Rentenpaket 2 hätte in seinen Augen keinen positiven Effekt gehabt.
So sieht der Experte das Renten-Problem mit den aktuellen Plänen
Zunächst macht der 64-Jährige im Focus-Interview kein Geheimnis daraus, was er über das Aus für das Rentenpaket 2 denkt: "Da kann man nur froh sein. Das Rentenpaket 2 hätte das Rentenniveau bei 48 Prozent festgeschrieben, was dazu geführt hätte, dass die jüngere Generation dauerhaft höhere Beiträge hätte zahlen müssen."
Bereits im September dieses Jahres hatte Ragnitz die Maßnahmen der Regierung gegenüber dem MDR kritisiert: "Alle, die heute unter 26 Jahre sind, werden im Laufe des Lebens draufzahlen – mehr zahlen, als sie erhalten." Was für ihn dann Generationengerechtigkeit heißt, beschreibt er bei focus.de genauer: "Generationengerechtigkeit heißt für mich, dass sie dann auch die Konsequenzen tragen, sprich: Dass es Abstriche bei der Rente gibt."
Die Gefahr für die Jüngeren, die gerne übersehen wird bei der Diskussion, die vielen weiteren Kosten, die sich ansammeln: "Man darf nicht vergessen: Das läppert sich ja. Denn den Jüngeren drohen auch noch höhere Beiträge zur Pflege und Krankenversicherung." Eines der großen Probleme: Der eigentliche Generationenvertrag geht nicht mehr auf. Warum? Laut dem Wirtschaftsforscher hätten die Älteren in Summe zu wenig Kinder bekommen. Damit haben man sich die Erziehungskosten gespart, konnte das Geld "verkonsumieren" und würden jetzt mit den SPD-Plänen "über ihren Lebenszyklus hinweg doppelt begünstigt werden". Ragnitz: "Das halte ich für ungerecht, wenn der Generationenvertrag jetzt so interpretiert wird, dass die Jungen den Alten ihren Lebensstandard sichern müssen."
Familien mit Kindern bei der Rente begünstigen?
Der Experte sieht einen möglichen Ansatz darin, Familien mit Kindern bei der Rente entsprechend einzuordnen: "Das sollte man bei der Rente berücksichtigen und solche Eltern entsprechend begünstigen."
Man könne intensiver als bisher über die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, in einem deutlich stärkeren Maße, als das bisher gemacht wird, nachdenken. Ragnitz: "Wer Kinder bekommen hat, sollte einen Rentenaufschlag erhalten."
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