Die "Don Giovanni"-Premiere in Frankfurt wird vielen vor allem deshalb im Gedächtnis bleiben, weil das Publikum wegen eines Fehlalarms den Saal räumen musste. Die Neuinszenierung durch Christof Loy zeigt den Titelhelden als gealterten und abgekämpften Mann, der kaum noch Charisma hat.
Dass mitten in einer Premierenvorstellung ein Opernhaus komplett geräumt werden muss, passiert nicht alle Tage: Im 2. Akt von Wolfgang Amadeus
Mozarts "Don Giovanni" scheuchte am Sonntag eine entsprechende Ansage in der Oper Frankfurt das Publikum auf, das daraufhin zügig den Saal verließ, fröstelnd draußen stand und bald wieder zurückdurfte. Der Fehlalarm war für die rund 1370 Besucher im ausverkauften Haus das Aufregendste an diesem Abend: Davon - und weniger von der Neuinszenierung - werden manche, die dabei waren, noch ihren Enkeln erzählen.
Dabei hatte Bernd Loebe, Intendant des vielfach ausgezeichneten Hauses, eigentlich nichts falsch gemacht.
Der Opernregisseur Christof Loy gehört zu den ganz Großen seines Fachs, weil er sein Handwerk versteht, auf die Musik hört und den Figuren tief ins Herz zu schauen weiß. Bei seiner bereits dritten "Don Giovanni"-Inszenierung stand ihm im Weg, dass er einen Ansatz verfolgte, der sich im Programmheft zwar interessant und schlüssig liest, aber trotz großer Bühnenkunst aller Beteiligten nicht genug Glaubhaftigkeit und auch nicht den notwendigen emotionalen Sog entwickelt.
Was im Wesentlichen daran liegt, dass Loy das herkömmliche Casanova-Bild des Titelhelden gründlich demontiert. Gezeigt wird ein schon gealterter Don Giovanni (
Christian Gerhaher), dem Liebe
und Eros im Hamsterrad der schriftlich fixierten 2065 (!) Affairen längst piepegal sind: Er ist eher unsympathisch, egozentrisch, aufbrausend, ein notorisch Getriebener, dessen Magnetwirkung nur noch sporadisch aufflackert - ein einsam und müde gewordene Menschenverführer und -verächter, ein Wüstling, der seine Bestrafung fürchtet und gleichzeitig herbeisehnt.
Schon in der Ouvertüre begegnet dieser abgebrühte Haudegen mit dem schwarzen Lederhandschuh nur an der rechten Hand der eigenen Sterblichkeit, denn der von ihm tödlich verletzte Komtur hat die gleiche graue Bart- und Haartracht und ist gekleidet wie er (historisierende Kostüme im Stil der Mantel- und Degenstücke des 18. Jahrhunderts: Ursula Renzenbrink). Bis zum Ende gibt es noch etliche Spiegelungen, Doppelungen, Maskierungen, Vor- und Rückblenden, die ästhetisch schön anzusehen sind, das Publikum aber eher ratlos machen.
Und man fragt sich immer wieder, warum die Frauen sich von diesem Mann einwickeln lassen. Weil Don Giovanni auch in ihrem Kopf ein Mythos ist? Dabei sind Donna Elvira, Donna Anna und Zerlina, wie Christof Loy sie zeigt, doch gar nicht so schwach, sind einander und anderen sichtlich gewogen und, was das starke Geschlecht betrifft, mitnichten alternativlos. Im Gegenteil: Don Ottavio muss nur deshalb noch warten, weil die Vatertochter Donna Anna weder den Tod des Vaters noch das nächtliche Zusammentreffen mit Don Giovanni verarbeitet hat. Und Leporello geht, wie es scheint, nicht leer aus, sondern wird sein Glück mit Donna Elvira versuchen.
Das psychologische Kammerspiel, das Christof Loy und die präzise geführten Sängerdarsteller in der barocken, dann bretterbudenhaften, stimmig ausgeleuchteten Theaterkulisse (Bühne: Johannes Leiacker, Licht: Olaf Winter) vorführen, ist facettenreich und im Detail interessant, als Ganzes geht das
Konzept aber nicht auf. Es folgt zwar dem sich innerhalb von 24 Stunden abspielenden Handlungsrahmen, verunklart aber durch die düstere, zu negative Titelfigur zu viel.
Wer den Frankfurter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle nur mit dem romantischen Opernrepertoire im Ohr hat, wird überrascht sein, welche Qualitäten er als Mozartdirigent entwickelt. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielt die Wiener Fassung von 1788 samt Einsprengseln der Prager Uraufführung mit einer großen Prise historischer Aufführungspraxis, dynamischer Elastizität und Delikatesse. Die gesangliche Artikulation ist nicht nur in den Rezitativen von einer natürlichen Beiläufigkeit, die gar nicht hoch genug gerühmt werden kann.
Was für Parlandoqualitäten doch Christian Gerhahers Don Giovanni hat, der bei seinem Rollendebüt ohne Eitelkeit auch die Arien nicht als große Schaunummern vorführt, sondern als dramaturgische Notwendigkeit.
Von den (alternierend besetzten) Solisten waren am Sonntag neben Gerhaher vor allem die weiteren Rollendebütanten überzeugend: Brenda Rae, der als Donna Anna im 2. Akt auch bei der durch den Fehlalarm erzwungenen Wiederholung berückend zarte Spitzentöne gelangen, Martin Mitterrutzner als lyrischer Don Ottavio mit einem stattlichen Kern, Grazia Doronzio als in jeder Hinsicht bewegliche Zerlina und Björn Bürger als verletzlicher und stimmlich handfester Masetto. Robert Lloyd war bei seinem späten Frankfurt-Debüt ein prägnanter Komtur, während Simon Baileys Leporello jeweils mit den ganz hohen und tiefen Tönen seiner Partie kämpfen musste und die Donna Elvira von Juanita Lascarro leider durchgängig indisponiert klang.