Das sollten sie, wie so viele andere, erst tun, nachdem "I Feel Love" eingeschlagen war wie eine Elektrobombe. International knackte die Single die Top 10, in manchen Ländern erklomm sie sogar die Spitze der Charts. Es war der wohl ungewöhnlichste Hit des vermeintlichen Punk-Jahres 1977. Während "I Feel Love" die Charts dominierte, befanden sich David Bowie und Brian Eno gerade in Berlin, weil sie selbst auf der Suche nach dem Klang der Zukunft waren. Nachdem Eno die Single gehört hatte, eilte er mit einem Exemplar zu Bowie ins Studio. "Das ist es", soll er gesagt haben, als er Bowie die Platte reichte. "Wir brauchen gar nicht, weiter zu suchen."
Die Zukunft war da: in Form von Synthesizern, die sich durch ein präzises rhythmisches Uhrwerk schlängelten, über das Donna Summers Falsettgesang zu schweben schien wie eine Stimme aus einer anderen Welt, während sie Phrasen intonierte wie "It's so good" und "I feel love", aber nicht viel mehr. Von einem Songtext konnte man kaum sprechen: Hier ging es darum, die Musik zu spüren und sich in eine andere, bessere und freiere, Welt fallen zu lassen: "Fallin' free", wie die Stimme aus der Zukunft ebenso verhieß. Vor allem die ohnehin schon Disco-affine schwule Community hörte in "I Feel Love" eine Hymne der Befreiung, Donna Summer wurde zur Schwulen-Ikone. Entstanden ist dieses bahnbrechende Stück Popmusik übrigens in München, wo Moroder und Bellotte ihre Platten produzierten, ehe sie 1978 nach Los Angeles zogen.
Vom Disco-Paten zum Hollywood-Komponisten
Das Entwerfen von (Klang-)Welten war es auch, dem Moroder, der sich nie an Drogen-Exzessen beteiligen sollte, einen bedeutenden Teil seiner restlichen Karriere widmen sollte. Auch deswegen zog es ihn nach L.A.: Der Filmfan fing an, Soundtracks für Hollywood zu produzieren. Für Paul Schraders Film "Ein Mann für gewisse Stunden" mit Richard Gere etwa oder für den Mafia-Klassiker "Scarface" von Brian DePalma. Drei Oscars konnte Moroder gewinnen, den ersten gleich 1979 für seinen Score zu Alan Parkers Drama "12 Uhr nachts - Midnight Express".
Elektronische Musik produzierte Moroder nach "I Feel Love" hauptsächlich für Filme oder für seine Soloalben. Als er mit der New-Wave-Band Blondie einen Song für "American Gigolo" aufnahm, handelte es sich dabei um eine Rocknummer - obwohl Blondie, von "I Feel Love" beflügelt, selbst zum Synthesizer gegriffen hatten, um dann mit "Heart of Glass" einen Hit zu langen. Lediglich für die Glam-Rock-Band Sparks produzierte er mit "No. 1 in Heaven" auf deren Nachfrage eine komplett elektronische LP. Es war das erste Mal, dass eine bereits etablierte Rockband Gitarren verbannte und stattdessen zu Synthesizern griff.
Der Flopp eines besonderen Herzensprojekts hätte Moroders Karriere fast frühzeitig beendet: 1984 erschien eine neue Fassung von Fritz Langs Stummfilm-Epos "Metropolis" (1927), das von Moroder passend zu seinem neuen Soundtrack bearbeitet worden war. Die Kritiken waren vernichtend. "Bis der Film fertig war, war die Musik schon ein bisschen altmodisch", erinnerte er sich im teleschau-Interview. Die Kritik schmerzte. Moroders Arbeitspensum schrumpfte deutlich, in den 1990-ern und 2000-ern war er nahezu inaktiv. Auch die Lorbeeren für seine Pionierarbeit wollte der bescheidene Moroder nie so recht annehmen.
Comeback mithilfe von Daft Punk
Erst ab 2013 trat der Mann mit dem Schnauzbart, der den Urknall der elektronischen Musik mitzuverantworten hatte, wieder vermehrt in die Öffentlichkeit. Schuld daran war das französische Electro-Duo Daft Punk, das ohne Moroders Vorarbeit vermutlich nie existiert hätte. Auf deren Erfolgsalbum "Random Access Memories" befand sich der Song "Giorgio By Moroder", ein Instrumentalstück, auf dem Moroder zu der Musik des Duos erzählt, wie er damals, 1977, den "sound of the future" erfand, wie er es mit seinem charmanten norditalienischen Akzent sagt. "Mein Name ist Giovanni Giorgio", beendet er seine Erzählung. "Aber alle nennen mich Giorgio."
Es folgte die Ehrenrunde des Giorgio Moroder. 2015 erschien mit "Déja Vu" ein neues Album, auf dem erfolgreiche Pop-Sängerinnen wie Sia und Britney Spears seine Songs sangen. Anschließend ging er wieder auf Tour, legte erstmals auch in Clubs auf und blieb dafür ausnahmsweise länger wach als bis 22 Uhr. Um seine Musik dort am leben zu halten, brauchte es das jedoch nicht. Sie war nie verschwunden - und auch im Jahr 2025 gibt es wenige Songs, die von DJs aller elektronischen Spielarten so oft aufgegriffen werden wie "I Feel Love". Die Zukunft, die der Song einst versprochen hatte, mag nie gekommen sein. Doch sie wird immer dann greifbar, wenn Donna Summers Stimme wieder über die Tanzfläche eines Clubs schwebt.