Wer schnäuzen muss, nimmt dafür ein "Tempo" - auch wenn es kein Original ist. Die Marke wurde in Nürnberg erfunden und wird heute 90.
"Hast du mal ein Tempo?" fragt man, wenn man selbst keines hat und die Nase läuft. Ob der andere dann ein "echtes" Papiertaschentuch der gleichnamigen Marke oder irgendeines aus einem Drogeriemarkt herüberreicht - egal. Hauptsache, man kann hineinschnäuzen. Oder sich den Lippenstift aus dem Gesicht wischen. Oder verschütteten Kaffee auftupfen. Ein Tempo ist in vielen Situationen hilfreich. Es kommt aus Franken und feiert heute seinen 90. Geburtstag.
So durchschlagend der Erfolg der Marke war und ist, so unrühmlich ist die Geschichte dahinter. Sie beginnt in Nürnberg. Dort hatte die jüdische Familie Rosenfelder die "Vereinigten Papierwerke" gegründet und produzierte schon vor 1929 Hygieneartikel in Heroldsberg. Rosenfelder hat die Taschentücher nicht erfunden - als "Kleenex" waren sie bereits seit 1924 in den USA gebräuchlich, und in Japan gibt es schon seit Jahrhunderten Papiertaschentücher.
Oskar Rosenfelder ließ die Marke "Tempo" am 29. Januar 1929 beim Reichspatentamt in Berlin eintragen und gleich in 20 Ländern schützen. In den Jahren bis 1933 übernahmen erst Heimarbeiter und später Wohlfahrtswerkstätten in Nürnberg das Falten der Taschentücher.
Rosenfelder wählte den Namen der Überlieferung nach passend zu den schnelllebigen Zeiten. Benutzen und weg damit. Der Erfolg war durchschlagend. Von den als "seidenweich, saugfähig und hygienisch" beworbenen Papiertüchern wurden 1935 bereits 150 Millionen Stück produziert. Doch Rosenfelder war Jude. Als die Nazis an die Macht kamen, zwangen sie ihn und seinen Bruder zum Verkauf ihres Unternehmens. Quelle-Gründer und NSDAP-Parteigenosse Gustav Schickedanz übernahm die Papierwerke.
Familie Rosenfeld emigrierte. Über ihr weiteres Schicksal gibt es nur vage Informationen. Der neue Eigentümer machte Tempo und steigerte die Fertigung bis Ende der 1930er Jahre auf 400 Millionen Packungen. Während des Zweiten Weltkriegs stand die Produktion still, weil Hygieneartikel keine kriegswichtigen Güter waren.
1947 legte Schickedanz wieder los, 1949 gründete er eine Exportabteilung. 1950 wurden Tempo-Packungen mit einer abnehmbaren Schmalseite entwickelt, die gleichzeitig als Vorratsbehälter dienten. 1953 wird die so genannte "Brechpackung" eingeführt. Dabei handelte es sich um eine einfach teilbare Packung mit zwei mal zehn Taschentüchern.
Praktische Z-Faltung
1955 produziert Quelle bereits eine Milliarde Papiertaschentücher jährlich. Bald folgen jene Entwicklungen, die der Firma zu ihrem bis heute andauernden Erfolg verhalfen. So wurde 1963 der Tempo-Griff erfunden, der das Entfalten mit einer Hand ermöglichte. 1975 kam die Z-Faltung hinzu, mit der die Handlichkeit weiter verbessert wurde. Drei Jahre später wurden die Tempos nicht mehr in raschelndes Pergamin verpackt, sondern in Weichfolienpackungen gesteckt.