Stadt Kulmbach und Polizei setzen auf Vernunft und verstärkte Kontrollen. Wenn es nicht reicht, drohen schärfere Maßnahmen.
Matthias Wuschek erinnert sich an das vergangene Jahr. Der Inhaber des "Casablanca" in der Oberen Stadt sieht die Bilder noch vor sich, als Kulmbacher eine Art "Mini-Altstadtfest" feierten. "Die Situation war fast identisch: Die Corona-Zahlen gingen nach unten, die Leute drängten nach draußen - und plötzlich standen im oberen Teil der Oberen Stadt Hunderte von jungen Leuten auf den Gehwegen und auf der Straße." So wie jetzt auch wieder. Partystimmung am Wochenende, als ob es keine Pandemie gäbe. Nicht alle halten sich an Etikette, an Abstand oder Maskenpflicht. Es wird gepöbelt, einige werden handgreiflich, plötzlich fliegen Flaschen aus der Menge. Für Wuschek ein Problem, wie auch für die Stadtoberen und die Vertreter des Landratsamts und der Polizei. Aus diesem Grund kam es am Mittwoch zu einem Gedankenaustausch aller Beteiligten mit dem Ziel, die Situation zu entzerren, zu deeskalieren.
"Für mich persönlich ist es unverständlich, dass sich so viele Leute angesichts der Ausbreitung der hochansteckenden Delta-Variante offenbar an gar nichts mehr halten und eine Verbreitung der Infektionen zumindest billigend in Kauf nehmen. Letztlich trifft es bei steigenden Inzidenzen als einer der ersten ohnehin wieder uns in der Gastronomie, dann dürfen wir zumachen und unsere Gäste müssen zu Hause bleiben."
Aufgrund der Menschenansammlungen - Wuschek spricht von rund 400 Personen am vergangenen Freitag - schlug die Stadt den Gastronomen vor, die Schankflächen zu erweitern und so den "Freiraum" für Feierwütige einzuschränken. Doch Wuschek sieht das nicht so leicht umsetzbar. "Ich bringe mich gerne ein, um die Situation zu verbessern. Man muss aber auch unsere Lage sehen: Wir machen den Laden auf und haben unsere 85 Sitzplätze, die wir bewirten können und dürfen. Eine Erweiterung ist nicht so einfach möglich, denn es müssen ja Wege für Passanten freigehalten werden. Zudem ist nicht jeder Hauseigentümer mit der Erweiterung der Freischankflächen vor seinem Anwesen einverstanden."
Nach aktuellem Hygienekonzept für die Gastronomie in Bayern dürfen Gäste grundsätzlich nur dann bedient werden, wenn sie einen Sitzplatz haben. "Wie soll man für 400 Personen Sitzplätze in der Oberen Stadt schaffen und sie bedienen? Ein Selbstabholen der Getränke am Tresen ist aktuell nicht erlaubt. Und was passiert nach 22 Uhr, wenn wir im Freien die Bewirtung einstellen? Wir können zwar auf unserer Freischankfläche alle Personen auffordern diesen zu verlassen. Aber außerhalb, etwa auf der Straße, haben wir kein Hausrecht. Und nach Mitternacht gehen wir langsam nach Hause, dann ist die Obere Stadt sich selbst überlassen."
Sein Vorschlag: Zunächst müsste durch Schilder klar kommuniziert werden, was geht und was nicht. Beispielsweise was seit 15 Jahren Fakt ist, nämlich dass im ganzen Innenstadtbereich ein generelles Alkoholverbot außerhalb der Gastronomieflächen gilt. "Das ist den meisten Leuten gar nicht bekannt." Weiterhin sollte von allen Gastronomen die seit letzten Sommer getroffene Vereinbarung, dass nach 20 Uhr keine Getränke "to go" mehr verkauft werden, weiterhin strikt eingehalten werden. Zusätzlich glaubt er, dass es hilfreich wäre, wenn die Polizei bereits früher am Abend Präsenz zeigt - "und zwar bevor die besagten 400 Leute zusammenstehen".
"Stadt macht ein Angebot"
"Die Stadt macht den Gastronomen hier ein Angebot, ohne bürokratischen Mehraufwand und ohne Kosten die Freischankflächen an den Wochenenden in den Abendstunden zu erweitern", sagt Stadtpressesprecher Jonas Gleich. Es habe sich bereits beim gemeinsamen Austausch gezeigt, "dass manch ein Gastronom mehr, ein anderer weniger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird". In einzelnen Fällen seien die räumlichen Umstände schwierig. "Aber es besteht jederzeit die Möglichkeit, die bisherige Anzahl an Tischen in ihrer Aufstellung etwas zu entzerren und lockerer zu bestuhlen. Auch das nimmt mehr Fläche in Anspruch." Was nicht passieren soll, ist, dass sich das Problem einfach in andere Straßen und Gassen verlagert. "Natürlich werden sich immer einige wenige an anderen Orten in unmittelbarer Nähe zum Geschehen aufhalten, aber auch hier wird die Polizei kontrollieren."
Mehr Platz für geordnete Gastronomie und weniger Freiflächen, auf denen sich große Gruppen bilden können - ist das ein guter Ansatz? "Das ist ein Versuch für die nächsten 14 Tage, in denen wir sehen werden, ob die Maßnahmen ausreichen", meint Polizeichef Peter Hübner. "Es geht darum, jedem klar zu machen, dass die Obere Stadt keine Feiermeile ist, dass es Regeln gibt, an die man sich halten muss."
Auf den bestuhlten und bewirteten Flächen darf Alkohol ausgeschenkt werden, außerhalb der Schankflächen ist Alkohol tabu. Und da die Straße nicht gesperrt sei, müsse sie für den Verkehr frei gehalten werden. "Auf der Fahrbahn hat eigentlich keiner etwas verloren."
Damit es nicht nur beim frommen Wunsch bleibt, dass die Partyfans das ab sofort freiwillig beherzigen, wird verstärkt kontrolliert. Die Polizei wird an den Wochenenden ab den Abendstunden regelmäßig Streife fahren und auffällige Personen gezielt ansprechen und kontrollieren. "Wenn jemand über die Stränge schlägt, schreiten wir ein." Peter Hübner hofft allerdings, dass das nicht nötig sein wird. Falls das Bemühen um Vernunft und gegenseitige Rücksichtnahme nicht erfolgreich sei, müsse man in zwei Wochen über schärfere Maßnahmen sprechen. "Sonst werden die Zügel angezogen."
Zum Prüfstein werde wohl das übernächste Wochenende werden, das traditionelle Altstadtfestwochenende, an dem wieder mit besserem Wetter zu rechnen sei. Mit Nachdruck schließt sich Hübner dem Appell von Oliver Hempfling, Leiter des Corona-Krisenstabs am Landratsamt an, die Corona-Pandemie nicht aufgrund der aktuell niedrigen Infektionszahlen auf die leichte Schulter zu nehmen. "Die Delta-Variante rast auf uns zu, und die ist hochansteckend. Gerade junge Leute, die noch nicht geimpft sind, sollten ihre Gesundheit im Auge haben und Abstand halten, um sich zu schützen."
Die Polizei hat an den Wochenenden nicht nur gezielt ein Auge auf die Obere Stadt, sondern auch auf die Nebengassen. Wildpinkeln, Sachbeschädigungen, zerschlagene Glasflaschen und lautes Gegröle bis in die frühen Morgenstunden werden nicht geduldet. Darunter leiden seit Aufhebung der Corona-Kontaktbeschränkungen viele Anwohner im Bereich Obere Stadt und der Stadtgässchen.
Nicole König, die jüngst Opfer einer Sachbeschädigung war und genervt von den zügellosen nächtlichen Partys ist, ist eine von ihnen. Die 31-Jährige hofft, dass das Alkoholverbot und die Einhaltung der Ruhezeiten jetzt auch kontrolliert werden, auch in den Nebengassen. "Die Regeln sind nicht neu. Es hält sich nur keiner dran." Sie befürchtet, dass sich das Problem für sie und ihre Nachbarn verschärft, wenn die Party sich in die Seitengassen der Oberen Stadt verlagert. "Wir wünschen uns, dass nicht nur wegen Corona Regeln einhalten werden, sondern auch mit Rücksicht auf uns."