„Hier herrscht ein besonderer Geist“

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Die alten Buchen sind ein Segen. In der flirrenden Sommerhitze spenden sie Schatten. Auf einer Bank unter den Ästen ruht man sich im Alten Friedhof gern ein bisschen aus. Angesichts der zahlreichen, in Stein gemeißelten Erinnerungen an frühere Kitzinger kommt man fast automatisch ins Sinnieren: Was passiert wohl mit unserer Seele, wenn wir sterben?

Die alten Buchen sind ein Segen. In der flirrenden Sommerhitze spenden sie Schatten. Auf einer Bank unter den Ästen ruht man sich im Alten Friedhof gern ein bisschen aus. Angesichts der zahlreichen, in Stein gemeißelten Erinnerungen an frühere Kitzinger kommt man fast automatisch ins Sinnieren: Was passiert wohl mit unserer Seele, wenn wir sterben?

An den historischen Grabsteinen, in Gruften und an einstigen Laubengängen finden sich interessante Antworten auf die großen Fragen der Menschheit. Ganz offensichtlich haben sich unsere Vorfahren viel plastischer mit dem Tod befasst als wir es heute oft tun. „Man hat seine Gedanken dazu intensiver gezeigt“, findet Johannes Lindner. Er leitet die Stadtgärtnerei, die sich um den Friedhof unter städtischer Trägerschaft kümmert. Lindner deutet auf das Hissiger-Grab in der Nähe des Eingangs. Auf einem großen Stein-Relief ist ein Mann zu erkennen, der mit dem Tod persönlich um noch ein bisschen mehr Lebenszeit feilscht. Doch der Tod hält die Sanduhr fest in seinen dürren Skelettfingern.

Ein paar Meter weiter zieht die Gruft der Familie Heroldt die Blicke auf sich, im Volksmund „Draculagrab“ genannt. Künstlerisch gestaltete Totenköpfe zieren die Säulen. An der Decke fasziniert ein metergroßes Holzfresko, das lebendige Menschen inmitten von Toten zeigt. Eine Figur hält ein Schild in der Hand „Ezech. XXVII Vers 1“ steht darauf. Schlägt man in der Bibel unter der besagten Stelle nach, geht es um Israel, das Totenfeld, das durch Gottes Odem lebendig wird: „Des Herrn Hand kam über mich und er führte mich hinaus im Geist des Herrn und stellte mich mitten auf ein weites Feld; das lag voller Totengebeine“, heißt es da. Also von wegen Dracula...

Trotzdem hält sich in Kitzingen spätestens seit den 70er Jahren, als die US-Soldaten hier stationiert waren, folgende Sage: Dracula ist hier in der Gruft auf dem Alten Friedhof begraben, sein Herz aber ruht im „Schiefen Turm von Kitzingen“. Wenn der Turm umfällt und das Herz auf das Grab trifft, soll Dracula wieder lebendig werden. Johannes Lindner findet die Geschichte witzig. Aber leider ist sie gänzlich unrealistisch: „Wenn der Falterturm umstürzt, reicht nicht mal seine Spitze bis hier rüber.“ Der älteste Friedhof der Stadt Kitzingen wurde 1542 eröffnet, er lag damals außerhalb der Stadtmauer. Pest und Cholera hatten gewütet; der Friedhof direkt hinter der Kirche reichte nicht mehr aus. 1844 und 1889 kamen zwei weitere Abteilungen dazu – noch heute gut durch die Zwischenmauern zu erkennen. Ende des Zweiten Weltkrieges fielen Bomben auf den Friedhof. Zeitzeugen erzählen davon, dass danach sogar in den Bäumen Leichen hingen. Um all die Toten zu bestatten, kam der Neue Friedhof am Ortsrand Richtung Buchbrunn gerade recht.

Die Bestattungsriten ändern sich: Statt pompöser Grabmäler reicht vielen Menschen heute ein kleiner Urnenplatz. Im Alten Friedhof gibt es zahlreiche Bestattungsmöglichkeiten für Urnen – Grab, Gemeinschaftswiese, Stele, Wand. Trotzdem bemüht sich die Stadtgärtnerei zusammen mit der Interessengemeinschaft Alter Friedhof nach Kräften, die alten Gräber als kulturhistorische Zeugen der Stadtgeschichte zu erhalten. Der Alte Friedhof ist wohl das größte Kitzinger Denkmal.

Auch wenn im Tod alle Menschen gleich sind: Am Grab zeigen sich doch Unterschiede. Im 19. Jahrhundert war man stolz darauf, Flugzeugführer, Fabrikant, Kommerzienrat, Weingroßhändler, Diplom-Braumeister oder gar Privatier zu sein – jedenfalls unterstreichen diese Titel viele Namen auf den Gedenksteinen. Etliche dieser Steine sind sehr aufwändig gestaltet, mit Engelsfiguren, christlichen und weltlichen Symbolen. Manche haben ein Vermögen gekostet.

Schaut da bei einigen vielleicht das schlechte Gewissen durch? Vielleicht hätte man sich im Leben mehr um die Verwandten kümmern sollen? Denkbar ist natürlich auch, dass es bei der großzügigen Grabgestaltung einfach darum ging, die Stellung in der Gesellschaft zu zeigen.

Was auch immer sich unsere Vorfahren gedacht haben: Der Alte Friedhof ist heute ein Ort der Ruhe, der Muße und des Friedens. Andreas Barber, Vorarbeiter im Friedhof, bewahrt nicht nur die alten Grabsteine, sondern auch die Würde der Menschen über den Tod hinaus – egal, welche Bestattungsform sie gewählt haben. „Es ist schön, dass der Alte Friedhof wieder beliebter wird“, sagt Barber. Er ist sich mit seinem Chef Johannes Lindner einig: „Hier herrscht ein besonderer Geist.“