Das letzte Geficht

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Der Herr der Jahresringe: Hans Stark zählt bis 80. So alt durften die Fichten werden, bis der Käfer in diesem Waldschlag zuschlug. Foto: G. Flegel
Der Herr der Jahresringe: Hans Stark zählt bis 80. So alt durften die Fichten werden, bis der Käfer in diesem Waldschlag zuschlug. Foto: G. Flegel
Feinkost für Käfer: Das bleibt von einem Fichtenforst. Foto: Archiv
Feinkost für Käfer: Das bleibt von einem Fichtenforst. Foto: Archiv
 

Der trockene und heiße Endlos-Sommer hat vielen Bäumen zugesetzt. Nicht nur in den Städten und Gärten. Auch die Wälder wandeln sich mit dem Klima, und zwar nicht freiwillig. Wo die Käfer wüten, droht der Kahlschlag.

Günter Flegel Der Regen hat dem Wald richtig gut getan, das kann man riechen und sogar hören. Oder nicht mehr hören. Denn da, wo es vor ein paar Tagen unter den Schuhen noch trocken knisterte, läuft man fast lautlos über einen endlosen Blätterteppich. So leise jedenfalls, dass man meint, jeden einzelnen Tropfen zu hören, der aus den Kronen auf den Boden fällt, der das Nass gierig aufsaugt.

Trüber Himmel. Regenzeit. Kühle, frische Luft. Das ist im Jahr 2018 schon etwas Besonderes, gerade auch für den Förster Hans Stark. "Regen ist gut", sagt er. "Aber es müsste viel mehr sein." Denn der Regen der letzten Tage kommt zu spät, zumindest für einige zehntausend Bäume, die Stark unter seinen Fittichen hat. Sie sind tot. Verdurstet, vertrocknet, von Käfern und Pilzen zerfressen. Wir machen uns auf den Weg durch den Regen zu einer Wüste mitten im fränkischen Wald.

Was ficht den Wald an?

Am augenfälligsten wird die Veränderung im Wald da, wo es ganz besonders intensiv nach Wald riecht - nur dass da kein Wald mehr ist. Starks Kombi zieht eine Spur durch den Blätterteppich auf den schmalen Waldwegen; der Leiter des Universitätsforstamtes Sailershausen kennt sich im Zwielicht dieses frühen Morgens besser aus als in seiner Westentasche. Nach der x-ten Abzweigung wird es plötzlich taghell. Stark stoppt.

Der Waldschlag heißt Weichselberg, ein alter Name, der sich wahrscheinlich davon herleitet, dass im ursprünglichen Mischwald Wildkirschen (Weichseln) wuchsen. Wald in der reinsten Form? Jetzt duftet er wie ein Fichtennadelschaumbad - allerdings ohne Wald. "Vor kurzem stand hier noch ein dichter Fichten-Bestand", sagt Stark. Der Harvester eines vom Forstamt beauftragten Rückeunternehmens hat ihn beseitigt. Waldschlag. Wortwörtlich.

Links und rechts des Wegs liegen die Baumstämme, sauber abgelängt und haushoch aufgetürmt. Links die guten, aus denen man noch Bretter und Balken schneiden kann, rechts die schlechten, von innen zerfressenen und blau verfärbten, aus denen allenfalls noch Spanplatten oder Holzpellets werden.

Kaum eine der Fichten in diesem Waldschlag war noch gesund, erklärt der Förster, nur drückt er sich etwas drastischer aus: "Die sind alle hinüber." Eine Naturkatastrophe? Dies nun gerade nicht. Als der liebe Gott hier Wald wachsen ließ, so sagt Stark, gab es eine bunte Mischung: mächtige Eichen, Buchen, Kirschen, Exoten wie Elsbeere und Ahorn, hier und da auch mal ein Nadelbaum.

Die Holz-Not in den ausgeräumten Wäldern des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass die Forstbetriebe auf schnell wachsende Bäume setzten. Die Fichte. Eigentlich ein Bergbewohner, fühlte sich der Nadelbaum aber auch in Franken lange Zeit wohl. Die Winter waren bis vor 20, 30 Jahren meist lang und kalt, die Sommer feucht und kühl. Da dachte sich die Fichte: Ich glaub', ich steh' im Gebirg'.

Klimawandel = Waldwandel

Jetzt ficht die Fichte ihr letztes Gefecht. Der Klimawandel lässt es in Franken trockener und wärmer werden. Die Winter sind mild, Frühjahr und Sommer oft heiß, Regen rar. Nicht nur in Franken, aber da ganz besonders war - das ist ein schiefes Bild - die Trockenheit 2018 der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Bäume, die den Hitzesommer 2003 und die wiederholten Trockenzeiten seither überstanden hatten, waren den Extremen des Jahres 2018 schutzlos ausgeliefert.

Heuer gab es vier Käfer-Generationen, sagt Stark. Jede Generation zeugt 200 Nachkommen. Gegen diese Invasion hilft nur eins: Man muss den Käfer mit den eigenen Waffen schlagen, ihm die Bäume wegnehmen. Und jetzt? Jetzt muss man ein paar Menschen-Generationen weiter denken. Die kahle Fläche, wo die Fichten standen, überlässt Stark der Natur. Der liebe Gott wird hier wieder einen Wald wachsen lassen, sagt er. Ja. Man riecht ihn schon.