Die Orte Schwürbitz und Neuensee stecken voller Überraschungen. Vom grillenden Schorschi bis zur flotten Wasserwacht ist einiges geboten.
Kommt ein Amerikaner zum Imbisswagen vom Schorschi und bestellt in schönstem Slang ein Paar Bwatwüäste. "Coburcher oder Graatzer?" fragt Schorschi. Der Kunde lacht: "Cobuwgä natürlich!" Herrlich. Schon ist genau das eingetroffen, was den Reiz unserer Sommerserie ausmacht: Wenn du mit offenen Augen und Ohren in Franken unterwegs bist, dann wirst du was erleben.
Zunächst einmal erlebst du: Das große Nichts. Mitten im Kornfeld ist mein Pfeil gelandet, zwischen Schwürbitz und Neuensee im oberfränkischen Landkreis Lichtenfels. Wobei "nichts" ist es nicht - es ist halt kein Mensch zu sehen, dafür rundherum wunderbare fränkische Natur. Es gießt an diesem Ausflugstag, was unsere Abenteuerlust nicht trübt. Später, beim Aufblättern des Notizbuchs: Schmunzeln über die von den Regentropfen durchnässten und wellig getrockneten Seiten.
Eine Lebens- und Liebesgeschichte
Aber los jetzt. Fotograf Ronald Rinklef und ich machen uns vom Acker und fahren ins nahegelegene Neuensee. Wen der 800 Einwohner können wir wo aufgabeln? Gerade recht kommt uns da die Metzgerei am Straßenrand. Nase an der Scheibe plattgedrückt: Der Laden ist leider geschlossen. Eine Frau streckt ihren Kopf aus dem Nachbarhaus. "Suchen Sie was?" Hildegard Ender entpuppt sich als Besitzerin der Metzgerei. 1966 hat die Frankenwälderin eingeheiratet, "damals war noch eine Landwirtschaft und ein Gasthaus dabei", erzählt sie. 45 Jahre lang war die Metzgerei ihr Leben. Angestellte konnten sie und ihr Mann, Metzgermeister Werner, sich nicht leisten. Also stand Hildegard ab 5 Uhr früh im Verkauf, half im Schlachthaus, richtete am Wochenende Imbissplatten.
Als 1967 ihre Zwillinge geboren wurden, setzte sie die Jungs kurzerhand ins "Bettstättla" und nahm sie mit in den Laden. "Da hatten sie Unterhaltung. Die Kunden plauderten und spielten mit den Kindern", sagt die 75-Jährige und lacht. Das Gasthaus gaben die Eheleute 1975 auf, die Landwirtschaft ist verpachtet. Mit der Metzgerei hatte die Familie ihr Auskommen - und viel Arbeit. "Aber mir hat es immer Freude gemacht und ich war gern mit meinem Mann im Laden", sagt Ender traurig. Ihr Werner starb vor 15 Jahren. "Ein Sekundentod. Er war erst 65."
Geblieben ist nur die Einrichtung
Gemeinsam mit ihren Söhnen führte sie den Betrieb noch sieben Jahre weiter. Aber dann wurde der Aufwand doch zu groß. 2011 sperrte Hildegard Ender zu. Theke und Gerätschaften sind noch komplett vorhanden, sogar die Preisschilder: 100 Gramm Fleischsalat gab's 2011 für 61 Cent. Die frühere Geschäftsfrau deutet in ihren Laden und zuckt mit den Schultern. "Die Einrichtung braucht ja kein Mensch", sagt sie. "Wer soll sowas kaufen?"
Georg Püls vielleicht, der handelt auch mit Wurst. Aber dafür reicht ihm sein Imbisswagen, den wir vom Grillduft angelockt neben der Bäckerei entdecken. Während der Kunde mit der "Cobuwgä" kauend davongeht, werden wir von Stammgast Hilmar Weberpals mit Blick auf den Chef gleich mal aufgeklärt: "Für uns ist das der Schorschi." Und der ist ein lustiger Vogel. "Ich habe mir schon als Jugendlicher einen Imbisswagen gekauft", erzählt er und fuchtelt mit seiner Grillzange durch die rauchgeschwängerte Luft. "Das war einfach mein Hobby. Ich habe dafür gespart."
Wir staunen. Und erfahren: Im September hat er sich einen zweiten Wagen angeschafft. Mit dem kommt der gebürtige Michelauer jeden Freitag nach Neuensee und grillt gemeinsam mit seinem Sohn die morgens in Coburg und Marktgraitz frisch eingekauften Bratwürste. Die Brötla holt er beim Bäcker Kremer nebenan, "der war mein Schulkamerad." Sprechen können wir den Bäcker am Vormittag nicht, "der schläft doch noch!"