Ein Blick ins Coburger Sozialkaufhaus, ein Gespräch mit dem Bamberger Sozialrechtler Ulrich-Arthur Birk und das Phänomen der weiblichen Altersarmut.
Schon für zehn Cent bekommen Kundinnen bei "Hartz & Herzlich" eine kleine Vase. Im Laden des Vereins am Coburger Heimatring wird gebrauchte Ware wie in einem Kaufhaus präsentiert. Damit Menschen mit wenig Geld in Würde einkaufen können.
Ute Reißer ist stellvertretende Leiterin im Sozialkaufhaus. Sie sagt, dass mehr Frauen als Männer hierherkommen. Oft auch Rentnerinnen. Vieles ist wie in anderen Geschäften: "Frauen lassen sich eher mal zu Außenrum-Sachen verleiten: eine Vase, Weihnachtsdeko, ein Buch fürs Enkelkind." Hier geht das - auch mit wenig Geld, auch mit einer kleinen Rente.
Grundsicherung im Alter
"Bei uns gibt es keine Mindestrente", erklärt der Bamberger Sozialrechtler Ulrich-Arthur Birk. Wer im Alter arm ist, bekommt Grundsicherung. Aber wo beginnt Armut? In Deutschland gilt als offiziell arm, wer im Monat weniger als etwa 750 bis 800 Euro zur Verfügung hat. Birk rechnet vor: "404 Euro Grundsicherungs-Regelsatz plus die tatsächliche Warmmiete soweit angemessen, also etwa 350 bis 400 Euro."
Ende vergangenen Jahres betraf das etwa 320 000 Rentnerinnen und 210 000 Rentner. "Die Zahlen haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, in den kommenden zehn Jahren wird noch einmal mindestens eine Verdopplung erwartet", sagt der emeritierte Professor. "Dass es den Kindern mal besser gehen wird, kann man sich abschminken."
Die relative Armut - im Vergleich zu anderen
In Industrieländern wird Armut im Verhältnis zum Reichtum der Gesellschaft betrachtet, als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittsnettoeinkommens hat. "Wenn man die Armutsgrenze so definiert, sind bereits heute 17 Prozent der Rentner arm." Derzeit liegt das Rentennieveau um die 48 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens (etwas mehr als 65 Prozent des Durchschnittsnettoeinkommens). Vergangene Woche sagte Sozialministerin Andrea Nahles (SPD), wenn die Politik nicht reagiere, stiegen die Beiträge bis 2045 wohl auf 23,6 Prozent und das Rentenniveau sänke auf 41,7 Prozent. Nahles arbeitet an einem "Gesamtrentenkonzept". Die Rente ist ein gutes Wahlkampfthema.
So gering ist die Rente der Frauen
Im Schnitt bekamen Rentner in Westdeutschland vergangenes Jahr 1014 Euro (Ost: 973 Euro), Rentnerinnen 583 Euro (Ost: 861 Euro). Aus seiner Praxis als Rechtsanwalt und Rentenberater weiß Birk, dass Altersarmut ein stark weibliches Phänomen ist. "Rente folgt Einkommen." Frauen haben Arbeitsunterbrechungen wegen der Kinder, arbeiteten häufiger Teilzeit und in Branchen mit geringerer Entlohnung. Sie zahlen weniger ein, also erwerben sie geringere Rentenansprüche.
Die höchste Altersarmutsquote in Franken hat die Stadt Nürnberg: 6,4 Prozent der Rentnerinnen haben hier Grundsicherung bekommen. Dass die Armutsquote auf dem Land geringer ist, erklärt Birk einerseits mit niedrigeren Kosten für die tatsächliche Warmmiete und einem hohen Anteil an Wohneigentum, wodurch weniger einen Anspruch auf Grundsicherung haben. Andererseits sei auch die "verschämte Armut" auf dem Land häufiger: "Die Angst vorm Sozialamt, vor Diskriminierung und davor, den Kindern zu sagen, dass man arm ist."
Die verschämte Armut
Ute Reißer vom Coburger Sozialkaufhaus hat außerdem den Eindruck, dass die Schamgrenze bei Frauen höher ist. "Unsere älteren Damen kommen aus einem anderen Milieu als die Männer, die bei uns im Alter einkaufen." Diese waren teilweise bereits im erwerbsfähigen Alter länger ohne Job. "Für sie ist es selbstverständlicher, Leistungen in Anspruch zu nehmen."
Wie Rentnerinnen ihre Situation erleben
Eine ältere Kundin sagt, dass es sie Überwindung kostet, ins Sozialkaufhaus zu gehen. Über Geldprobleme reden will sie nicht. "Das ist mir peinlich." Eine andere Frau, Anfang 70 und das, was früher als "rüstig" bezeichnet wurde, erzählt, wie toll sie das Angebot hier findet. "Ich bin ja sehr sparsam im Kaufen", sagt sie. Sie habe eine geringe Rente, bekomme aber noch die Rente ihres Mannes. "Ich kann nicht klagen, bin zufrieden."
Als Witwenrente gibt's drei Monate lang die vollen Bezüge des Partners, erklärt Birk. "Danach maximal 55 Prozent." Die Rentnerinnen stammen aus einer Generation, in der es normal war, dass Frauen zu Hause blieben und der Mann Geld verdiente. Diese Frauen haben wenig bis gar keine eigene Rente. "Es funktioniert, so lange der Mann an der Seite ist", sagt Ute Reißer. "Stirbt er, sind Frauen dieser Generation oft auf Hilfe angewiesen." Liebe ist keine Altersvorsorge.
Ein Zukunftsproblem
Bei den unter 30-Jährigen sind Frauen für das Thema Altersvorsorge sensibler als Männer. Einer Studie des Familienministeriums zufolge gewinnt Alterssicherung bei Männern im Alter zwischen 30 und 50 Jahren kontinuierlich an Bedeutung, Vorsorgeverträge und Betriebsrenten werden abgeschlossen. Bei Frauen geht in der Phase der Familiengründung die Sensibilität für das Thema signifikant zurück. Obwohl die Hausfrauenehe ein Auslaufmodell ist und die Frauenerwerbsquote steigt, fürchtet Ute Reißer, dass es eher schlechter für die Frauen wird. "Es gibt viel mehr Scheidungen, mehr Alleinerziehende." So wie Ute Reißer selbst. Sie hat drei Kinder und arbeitet seit Jahren Teilzeit in drei Jobs. "Ein Hauptjob, zwei geringfügige Beschäftigungen. Rententechnisch ist das nicht so toll", sagt die gelernte Krankenschwester. Privat vorzusorgen kann sie sich nicht leisten. Altersarmut ist für die 50-Jährige auch persönlich ein Thema. "Ich muss davon ausgehen, dass es mich selbst trifft."
Hier geht's zur interaktiven Karte der fränkischen Landkreise und zu den aktuellen Daten zur Altersarmut.