Der Konflikt zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer weckt Erinnerungen: 1976 hatte die CSU schon einmal die Gemeinschaft mit der CDU aufgekündigt. Entsprechend verunsichert ist das politische Berlin heute.
Nach der "dramatischen Nacht" ein Tag der Entscheidung in Berlin. Seehofers Rücktritt vom Rücktritt und der mögliche Bruch der Großen Koalition sind das alles beherrschende Thema in der Bundeshauptstadt. Beim Versuch, ein Bild der Stimmung in Berlin zu zeichnen, stößt man vor allem auf eins: große Verunsicherung, vielleicht sogar Angst.
"In einer Sitzung", "auf dem Weg nach Berlin", "nicht im Büro", "immer noch in der Sitzung", "im Moment nicht zu erreichen", "schon in der nächsten Sitzung" ... Es war am Montag, stark untertrieben, schwierig, einen der Bundestagsabgeordneten der CSU aus Franken für eine Stellungnahme ans Telefon zu bekommen.
Es steht viel auf dem Spiel
Denn bei dem, was sich in den letzten Tagen in Berlin und München abgespielt hat, geht es um weit mehr als um Zwist unter Geschwistern, und es liegt weit mehr als eine atmosphärische Störung in der Luft: Der Streit zwischen CSU und CDU, der sich zuletzt auf ein Alles-oder-nichts-Duell zwischen den Parteichefs Seehofer und Merkel zugespitzt hat, könnte das Ende der Koalition bedeuten, das Ansehen Deutschlands in der Welt nachhaltig beschädigen.
"Ich kann mir das nur so erklären, dass einige Leute zu lange in der Sonne gesessen sind", sagt ein Abgeordneter der SPD, der sich nicht namentlich zitieren lassen will. Er fürchtet, dass der Krach der Union nicht nur CDU und CSU schadet, sondern auch der gebeutelten SPD. "Und die AfD kann sich hinsetzen und zuschauen. Das hat er gut gemacht, der Seehofer."
"Rücktritt, aber schnell"
Keine Scheu, sich wörtlich zitieren zu lassen, hat der frühere SPD-Chef und einstige Außenminister Sigmar Gabriel. In der Union seien einige "völlig wahnsinnig geworden". Gabriel fordert eine schnelle Einigung im Asylstreit und eine Rückkehr zu einer an der Sache und an Lösungen orientierten Politik. Dafür gibt es aktuell ein Hindernis, und dafür hat der SPD-Politiker eine Lösung: "Seehofer soll zurücktreten, aber schnell."
Die aus der Union, die sich an diesem Montag überhaupt aus der Deckung wagen, sind bemüht, die Wogen zu glätten. "Man kann in der Politik schon mal streiten, aber am Ende muss man auch fähig sein, Kompromisse zu schließen", sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Der Nürnberger gehörte zu denen, die am Montag abend in Berlin beim Unionsgipfel mit der Kanzlerin versuchen wollten, das zerschlagene Porzellan zu kitten. Sollte die Einigung zwischen CDU und CSU gelungen sein, dann hätte sie eine deutlich fränkische Handschrift, denn neben Söder gehörten auch die Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär aus Ebelsbach und Stefan Müller aus Erlangen zur Unions-"Feuerwehr". Zu denen, die in Berlin retten sollten, was noch zu retten ist, gehörte gestern auch der ehemalige Ministerpräsident Edmund Stoiber. Das ist nicht nur symbolisch bedeutsam, zwei Gründen:
Stoiber gilt nicht eben als Merkel-Freund. Und er steht wie kaum ein anderer CSU-Politiker für das, was jetzt in Berlin wieder die Runde macht: für den "Geist von Kreuth", das Selbstbewusstsein der CSU. 1976 hatte Franz-Josef Strauß, der mit Helmut Kohl in einem Dauer-Clinch lag, den Bruch zwischen CDU und CSU provoziert.
Die Stimmen der Vernunft
Das politische Beben wirkte lange nach. Zweimal scheiterte die CSU in der Folge mit dem Anspruch, als gesamtdeutsche politische Kraft wahrgenommen zu werden. Die Kanzlerkandidaten Strauß (1980) und Stoiber (2002) fielen durch.
Nicht nur deshalb ist der Geist von Kreuth 2018 alles andere als eine Energiequelle. Er ist viel mehr ein Gespenst, das Angst und Schrecken verbreitet. Als Geisterbeschwörer versucht sich unter anderem Michael Glos aus dem unterfränkischen Prichsenstadt. Er war 1976 erstmals für die CSU in den Bundestag gewählt worden, leitete viele Jahre die Landesgruppe der CSU (in Bonn) und war Bundes-Wirtschaftsminister. "Ich setze auf die Vernunft aller Beteiligten", sagte der 73-Jährige in einem Gespräch mit der Mainpost in Würzburg. Ein Bruch zwischen CSU und CDU würde nach seiner Ansicht "beiden enorm schaden", weil die Stammwähler der Union diesen Schritt nicht verstehen würden. "Es kann nur Verlierer geben", sagt Glos.
"Schicksalsgemeinschaft"
Deshalb waren die Stimmen aus der CSU, die am Montag zu hören waren, Stimmen der Vernunft. Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitales und stellvertretende CSU-Vorsitzende, beschwor gegenüber dieser Redaktion die "Schicksalsgemeinschaft" zwischen CDU und CSU, die seit 70 Jahren Bestand habe:
"Das ist keine leichte Zeit für uns alle, aber den Allermeisten ist klar, dass wir um die Sache streiten und nicht um Befindlichkeiten oder gar Personen. Sachkonflikte muss man aushalten." Mit einem faulen Kompromiss (in der Asylfrage) sei niemandem gedient, "am allerwenigsten unserem Land", sagte Bär. Die Ebelsbacherin sagte weiter: "Im Übrigen gibt es weder in den Reihen der CSU noch der CDU irgendjemanden, der die Fraktionsgemeinschaft in Frage stellt. Wir diskutieren in ganz großer Ernsthaftigkeit und im Bewusstsein der Tragweite."
Auch der stellvertretende Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans Michelbach aus Coburg, hatte in einer Stellungnahme den Eindruck zu zerstreuen versucht, dass es einen Bruch zwischen CDU und CSU gebe. Das Gegenteil sei richtig, "wir werden auf jeden Fall als Fraktionsgemeinschaft zusammenbleiben."
Michelbach berichtete am Montag vor der Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag von einem Beschluss des Parlamentskreises Mittelstand mit 160 Abgeordneten von CDU und CSU. Demnach hätten die Abgeordneten einmütig dafür gestimmt, "dass wir als Schicksalsgemeinschaft CDU/CSU Fraktion in jedem Fall beinander bleiben wollen und dass es darüber keine Disposition gibt."
Am Montag erreichte die Redaktion ein Brief von zwölf CSU-Mitgliedern, die meisten vom Untermain, die der Parteiführung "Streitunkultur" vorwerfen. "Die Art und Weise, wie Kanzlerin Merkel und der CDU die Pistole auf die Brust gesetzt wird, ist unerträglich und nicht nachvollziehbar", heißt es in dem Schreiben unter anderem.
"Politischer Amokläufer"
Und was sagt die Opposition? Klaus Ernst aus Schweinfurt (Linke) wirft Horst Seehofer "politischen Amoklauf" vor. In dieser schwierigen politischen Weltlage schwäche der CSU-Vorsitzende die Regierung und ganz Deutschland. "Damit schürt er die Unzufriedenheit, und er stärkt nur die AfD."