Bahnhofstraße Hammelburg: Kritik der Anwohner

Dietmar Schreiner ist Hammelburger mit Leib und Seele. Das ehrenamtliche Engagement bei der TV/DJK ist Familientradition, sein Elternhaus an der Bahnhofstraße hegt und pflegt der Lebenshilfe-Produktionsleiter mit Hingabe. Die Liebe zur Heimatstadt hat aber Risse bekommen - im wahrsten Sinne des Wortes: Durch den Ausbau der Bahnhofstraße ist die stattliche Sandstein-Treppe vor dem Haus nach vorne gekippt, zur Hauswand klafft eine Lücke, der Putz bröckelt. Noch mehr Sorgen als die eigentliche Baustelle macht ihm aber die Zeit danach: "Dann wird hier wieder gerast", befürchtet Schreiner, und: "Sobald die Ampel auf grün schaltet, wird hier Gas gegeben, an Tempo 20 hält sich kein Mensch."
Gegen Sperrung der Kissinger Straße
Dietmar Schreiner wünscht sich deshalb eine Einbahnstraßenregelung in Richtung Marktplatz. Das passe auch besser zur neuen Straßenbreite: Vor seinem Haus wurde der Gehweg deutlich breiter, die ab dem früheren Torhaus asphaltierte Straße entsprechend schmaler. Eine Einbahnstraße stadteinwärts hat auch der Verein für Wirtschaft und Stadtmarketing (VWS) vorgeschlagen. Dessen Vorsitzender Sebastian Hose könnte sich einen Ringverkehr über die Rote-Kreuz- und die Bahnhofstraße vorstellen. "Wichtig ist, die Bahnhofstraße nicht isoliert zu betrachten", betont der Apotheker, spricht sich allerdings gegen ein erneutes Verkehrsgutachten aus. Die Stadt habe in den vergangenen Jahrzehnten genügend Geld für Gutachten ausgegeben. Strikter Widerstand kommt vom VWS gegen den Vorschlag des jüngsten Gutachtens, die innere Kissinger Straße komplett für Pkw zu sperren. "Dort haben wir noch einen vernünftigen Geschäftsbesatz", betont Hose.
"Macht die Bahnhofstraße endlich wieder auf - egal wie", appellierte Rita Schubert in der jüngsten Sitzung an die Stadträte. Schubert ist Inhaberin der Falken-Apotheke in der Bahnhofstraße. Die Baustelle ziehe sich bereits acht Monate länger hin als ursprünglich angekündigt. "Die Bahnhofstraße ist sehr, sehr ausgedünnt", verweist sie auf die Folgen für die Geschäfte dort.
Rita Schubert nahm kein Blatt vor den Mund: "Die Bürgerbeteiligung zur Bahnhofstraße war katastrophal", lautete eine Kritik. Aber nicht nur mit der Bauverwaltung, sondern auch mit dem Stadtrat ging sie hart ins Gericht: "Der Stadtrat hat mindestens vier Jahre lang geschlafen", lautete ihr Vorwurf. So lange sei es her, dass die Pläne zum Ausbau der Straße vorgestellt wurden, zudem werde seit zwei Jahren gebaut. Trotzdem stehe die Stadt jetzt ohne Verkehrskonzept für die Zeit nach der Öffnung da (siehe Bericht unten). Auch bei den Stellplätzen herrsche Chaos: "Früher hatten wir 25 Stellplätze, zwischenzeitlich waren es mal 18, aktuell stehen 23 im Konzept", sagte Schubert. Bisher habe ihr niemand sagen können, wie viele es tatsächlich werden. "Die Straße ist nicht länger oder breiter geworden", kritisierte sie die Planung.
Gegen Einbahnregelung
Direkte Kritik gab es in der Sitzung auch von Stefan Seufert, der sich in einer Bürgerinitiative für Verkehrssicherheit und -beruhigung einsetzt: "Ich habe gemerkt, dass viele die Fakten nicht kennen", sagte Seufert. Das habe auch der Bürger-Workshop zum Fahrradwege-Konzept gezeigt, an dem leider nur sehr wenige Stadträte überhaupt teilgenommen hätten. Außerdem habe die Stadt bisherige Verkehrsgutachten von der Homepage genommen. Seufert hofft, dass das Radwegekonzept, das spätestens im Frühjahr 2023 vorliegen soll, mit den Ergebnissen bisheriger Verkehrsgutachten "verschmolzen" werden soll. Zumindest in einem Gutachten werde übrigens von Einbahnstraßen strikt abgeraten: "Eine Einbahnregelung in der Bahnhofstraße würde noch mehr Verkehr in der Weihertorstraße bedeuten, das kann doch keiner wollen", sagte Seufert.
Regelung verlängert
Eine Stunde lang hat der Hammelburger Stadtrat über eine verkehrsrechtliche Anordnung für die Bahnhofstraße diskutiert, nach zwei abgelehnten Anträgen wurde am Ende die frühere Regelung verlängert: Wenn die Baustelle abgeschlossen ist, dürfen Autofahrer wieder in beide Richtungen und bis zu 20 Stundenkilometer schnell fahren. Immerhin rang sich das Gremium dazu durch, dass die Regelung überprüft werden soll, sobald das Radwege-Konzept auf dem Tisch liegt.
Mareike Ohmert von der Stadtverwaltung stellte das Konzept eines "verkehrsberuhigten Geschäftsbereichs" vor. Laut Absprache mit der Polizei könne die Stadt das Tempo nicht weiter als auf 20 Stundenkilometer reduzieren. Ein verkehrsberuhigter Bereich sei nicht zulässig, weil Fahr- und Gehbereich zwar ein Niveau hätten, aber trotzdem durch Entwässerungsrinnen und die Gestaltung eindeutig getrennt seien.
"Äußerst enttäuscht" zeigte sich CBB-Stadtrat Reimar Glückler über den Beschluss-Vorschlag. "Die Diskussion über eine Einbahnstraße zieht sich seit 35 Jahren hin, aber wir reden nicht einmal drüber", ärgerte sich der dienstälteste Stadtrat. Auch viele weitere Vorschläge wie etwa die der Anwohner der Rote-Kreuz-Straße seien dem Gremium bis heute nicht vorgelegt worden. Auf das Konzept der "Jungen Liste" warte er bereits seit mehr als zwei Jahren. Aus Glücklers Sicht sollte das wichtigste Ziel sein, den Durchgangsverkehr durch die Altstadt zu verhindern. "Dafür haben wir die Umgehungsstraße." Deshalb stellte er den Antrag, das Thema zu vertagen. Auch HAB-Stadtrat Edmund Schaupp plädierte dafür, sich mehr Zeit für die Betrachtung der gesamten Altstadt zu nehmen. Glücklers Antrag wurde jedoch mit 15:4 Stimmen abgelehnt.
Grünen-Stadtrat Florian Röthlein beantragte eine Einbahnregelung für motorisierte Fahrzeuge stadteinwärts in der Bahnhofstraße. "Fahrradfahren soll in beide Richtungen möglich sein", betonte Röthlein. Dieser Antrag wurde mit 16:3 Stimmen abgelehnt. Sowohl der Verkehr in der Rote-Kreuz-, als auch in der Bahnhofstraße sei "nicht zu ertragen", gestand CSU-Stadtrat Patrick Bindrum den Kritikern zu, und: "Wir müssen mal ein Verfahren festlegen, wie wir zu einem Ergebnis kommen." Bindrum schlug sogar ein erneutes Gutachten vor, dessen Ergebnisse dann aber auch strikt umgesetzt werden müssten. "Wir kennen uns zwar in Hammelburg alle gut aus, aber beim Verkehr sind wir alle Laien", bemängelte Bindrum, dass die Meinungen der Fachplaner in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zerredet worden seien.
"Irgendwie muss man das Ding ja jetzt wieder aufmachen", sprach sich 3. Bürgermeister Christian Fenn (Junge Liste) dafür aus, der "Not-Lösung" zuzustimmen. Allerdings forderte er den Hinweis auf ein Verkehrsgutachten, "damit klar ist, dass das nicht das ist, was wir dauerhaft wollen". "Wir hoffen alle auf den großen Wurf", sagte CSU-Fraktionssprecher Martin Wende. Allerdings sei derzeit nicht absehbar, wie alle Vorstellungen unter einen Hut zu bringen seien.
CBB-Stadtrat Dominik Sitter wunderte sich, weshalb ein verkehrsberuhigter Bereich zwar in der Kirchgasse, aber nicht in der Bahnhofstraße möglich sein soll. "Bautechnisch sieht das dort doch wie eine Fußgängerzone aus", sagte Sitter, und: "Da hätte ich mir mehr Mut von der Verwaltung gewünscht."