Bei den zwei Frauenfiguren geht es nicht mehr um den Gegensatz von Heiliger und Hure, sondern um zwei unglücklich liebende heutige Frauen, die - mit unterschiedlichem Resultat - auch resolut sein können.
Die Ohrfeige, die Elisabeth dem zurückgekehrten Tannhäuser im ersten Akt gibt, steht natürlich nicht im Libretto. Aber sie macht sie zu einer Zeitgenossin, mit der man unmittelbar mitfühlen kann. Erst recht im dritten Akt, wenn sie sich vor ihrem Selbstmord für eine kurze letzte Nummer Wolfram hingibt, der im Lastwägelchen das Clownskostüm Tannhäusers gefunden und angezogen hat. Das ist tatsächlich eine leichenbittere Kostümtauschszene, die sehr viel mehr über Sexualität aussagt als das gängige rhythmische Geturne von Balletttänzern.
Überhaupt geht es hier auch um sexuelle Orientierung, sexuelle Freiheit und ihre Grenzen - die aktuelle MeToo-Debatte eingeschlossen. Wer heute darüber redet, sagt uns der Regisseur, ohne uns etwas aufzuoktroyieren, sollte unter anderem über all die Lügen nachdenken, die damit zusammenhängen. Und genau hinschauen, wo die Freiheit noch fehlt und wo sie aufhört.
Die beiden hinzuerfundenen, fast durchgängig präsenten Akteure, die ganz nebenbei auch noch in der ersten Pause für ein großes Bohei am Weiher im Festspielpark sorgen, stehen dafür - und für noch mehr. Le Gateau chocolat ist die personifizierte Transgenderfigur, hisst denn auch die Regenbogenflagge und steht, dunkel wie sie nun mal ist, gleichermaßen für Rassismus. Nur für die Drag-Queen geht das Ganze übrigens offenbar gut aus.
Der kleinwüchsige Manni Laudenbach als Oskar ist beispielhaft für die gegebene Fülle an Stilzitaten aus der Kunst-, Literatur-, Film- und Theatergeschichte und begleitet das Scheitern von Wagners Tannhäuser-Personal mal herzerfrischend komisch, mal zum Weinen empathisch. Er steht darüber hinaus für alle Menschen, die anders sind als Otto-Normalverbraucher und Lieschen Müller.
Zum Hinknien!
Und was beide im Video im berühmten Festspielhausgang mit zwei ganz bestimmten Dirigentenporträts anfangen, ist einfach zum Hinknien!
Gleiches gilt für die Solisten, von denen für mich Stephen Gould deshalb herausragt, weil er - anders als in Katharina Wagners "Tristan"-Inszenierung - endlich neben seinem überragenden Heldentenor auch sein darstellerisches Potenzial offenbart. Seine Romerzählung war beim Festakt für Wolfgang Wagner am Abend zuvor musikalisch schöner, aber wenn er wie hier vom Regisseur schauspielerisch derart gefordert wird, kommt etwas hinzu, das auch die sängerische Interpretation wahrhaftiger macht. Ein Solitär, der neu am Festspielhimmel glänzt, ist Lise Davidsens raumfüllende Elisabeth.
Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach, Elena Zhidkova, die als beherzte Einspringerin die in allen Akten präsente Venus gibt, die weiteren Solisten und der grandiose Festspielchor sorgen für eine hochkarätige Vorstellung. Nur Valery Gergievs Dirigat hört man leider an, dass er sich seinem Bayreuth-Debüt nicht intensiv genug gewidmet hat.
Das Festspielorchester glänzt zwar in den einzelnen Instrumentengruppen und kostbar in den leisen Stellen. Aber die große Linie fehlt und die Koordination mit Chor- und Solistenstimmen wackelt zuweilen bedenklich. Am Ende kriegte der Dirigent die meisten Buhrufe ab. Das Gros des Premierenpublikum feierte Szeniker, Solisten und Chor enthusiastisch.