Mit einer Neuinszenierung von Wagners "Tannhäuser" wurden am Samstag im Schillertheater die Festtage 2014 der Berliner Staatsoper eröffnet. Die Choreographin Sasha Waltz versucht mit fast ständig präsenten Tänzern, die Opernstatuarik aufzubrechen.
Richard Wagner hat die Langversion der großen Ballettnummer seines 1845 in Dresden uraufgeführten "Tannhäuser" bekanntlich 1861 nur komponiert, um endlich auch in der Opernmetropole Paris reüssieren zu können, was ihm aufgrund des mit Trillerpfeifen agierenden Jockeyclubs verwehrt blieb. Trotzdem möchte man das jüngste Wagner-Regietheater-Experiment nicht missen: Was die Choreographin Sasha Waltz am Samstag als Opernregisseurin mit ihrer
"Tannhäuser"-Neuinszenierung im Berliner Schillertheatervorgelegt hat, ist nur in Teilen überzeugend, bringt aber im Wortsinn Bewegung in die Szene.
Ihr Vorhaben, mit ihrer 18-köpfigen Tänzergruppe stereotype Bewegungsmuster von Solisten und Chorsängern aufzubrechen und neue Bezugsräume zu eröffnen, gelingt allerdings
immer nur streckenweise. Das hat vermutlich nicht nur damit zu tun, dass die Vorbereitungszeit relativ kurz war und nicht alle Beteiligten in der Lage oder willens sind, ihrer zuweilen ungewöhnlichen Personenführung zu folgen.
Kein deutlicher interpretatorischer ZugriffWas letztlich aber schmerzlich fehlt, ist der entschiedene interpretatorische Zugriff. Erst recht der genuin weibliche, wenn man bedenkt, wie blass doch die zwei zentralen Frauenfiguren bleiben: die an Grace Kelly erinnernde Elisabeth (stimmlich nicht souverän: Ann Petersen) und die antikisierende Venus (Marina Prudenskaya, die hiesigen Opernfreunden noch aus ihrer Nürnberger Zeit positiv im Ohr ist). Auch der soignierte, bieder bebrillte Landgraf - Bernd Skodzigs Adenauer-Zeit-Kostüme wirken allzu banal - fällt in Wahrheit nur deshalb ins Gewicht, weil ihn der stimmmächtige René Pape gibt, als Bassist ein Leuchtturm des aktuellen
Wagnergesangs.
Dass Oper mit einer durchgehenden Choreographie funktionieren könnte, offenbart vor allem der bei der Premiere zu Recht am meisten gefeierte Peter Mattei als Wolfram. Was für eine Bühnenpräsenz, was für ein großartiger Sängerdarsteller ist dieser schwedische Bariton! Von Kostüm und Maske her wirkt er eher wie Alexander Dobrindt, doch er darf die laut Programmheft christlichsozialhygienische Luft der Wartburgwelt auch Lügen strafen, bei der Abendsternszene im 3. Akt, wenn er traumwandlerisch und traumtänzerisch jene Bewegungen nachbuchstabiert, die vielleicht eine Synthese der Gegensätze wären, die im "Tannhäuser" scheinbar unvereinbar aufeinanderprallen.
Bildnerische AugentäuschereiÜberhaupt rückt die Inszenierung das Scheinbare und den realen Augenschein mit viel Nebel und Licht ins Blickfeld, ganz konkret, wenn sich eingangs aus dem Sternbild ein kostbar glänzender Augapfel schält, in den quietschfidel die halbnackte Tänzerschar zum Bacchanal rutscht. Die Darbietung sexueller Ekstase auf dieser schnörkellosen und doch fast schon wieder barocken Trompe-l'oeil-Bühne langweilt leider nur, während Sasha Waltz für die endlich ermattenden Körper und Seelen der Venusbergszene eindrückliche Konstellationen findet. Der lustvolle Zauber ist allerdings in dem Moment vorbei, wenn der Titelheld ins Spiel kommt.
Kein Zweifel: Auch wenn er seinen Zenit überschritten hat, ist Peter Seiffert stimmlich noch ein imponierender Tannhäuser.
Aber er wirkt in dieser Inszenierung, die um spielerisch-fließende Auflösungen, Übergänge und Bewegungsmuster ringt, wie ein Relikt aus den gar nicht guten alten Zeiten der Stand- und Spielbeintenöre. Man fragt sich unwillkürlich, mit welchem Zwiespalt diese Hauptfigur eigentlich kämpft und was Venus wie Elisabeth an diesem Klotz von einem Mann wohl finden.
Sprechende Details und Klischees So mutig Sasha Waltz mit Pia Maier-Schriever im gemeinsamen Bühnenbild abstrahiert - bis auf eine Ausnahme gibt es keine Möbel und auch die Requisiteure sind an diesem Abend weitgehend beschäftigungslos -, es gelingt ihr nicht, mit ähnlicher Klarheit und Konsequenz auf die Figuren und deren Beweggründe zu blicken.
Trotz einer Fülle an kleinen überraschenden und sprechenden, mal poetischen, mal ironischen Details und Assoziationen klebt zu viel an der Oberfläche und auch am Klischee.
Natürlich absorbieren die zwar nicht durchgängig, aber häufig präsenten Tänzer etwas von der Aufmerksamkeit, die den Hauptfiguren gebührt. Nein, stellvertreterische Hupfdohlen sind das nicht, sondern Gefühls- und Stimmungsträger, die mal wie wie ein zarter Hauch, mal wie der Zappelphilipp, mal wie ein Wirbelwind hineinschwappen in das Geschehen, das einen zuweilen fesselt, aber merkwürdig oft gleichgültig lässt. Und am Ende fragt man sich verblüfft, obwohl brav die Handlung abgespult wird, worum es in dieser Oper eigentlich geht. Anders gesagt: Thema verfehlt, bei einem erfrischend anderen Ansatz.
Hoffentlich lernt Sasha Waltz daraus und sagt beim nächsten Opernprojekt nur dann ja, wenn alle Beteiligten mit auf ihr vielsagend schwankendes Boot wollen.
In manierierter LangsamkeitAls Kapitän im wagnerschen Klangwogenmeer wurde Daniel Barenboim vom Haupstadteventpublikum bei der Premiere einhellig gefeiert. Dabei dirigiert er die um das Pariser Bacchanal erweiterte Dresdner Fassung leider eben nicht nur mit revolutionärem Gestus, worin die Staatskapelle Berlin am meisten überzeugte, sondern allzu oft in manierierter Langsamkeit, die gnadenlos sängerunfreundlich und letztlich genauso unwagnerisch ist wie die übermäßige Lautstärke, die er auch bei den von Martin Wright einstudierten Chören immer wieder nicht nur zulässt, sondern befördert. Der Gnade Heil liegt mitnichten in diesem Dirigat. Vielleicht klappt es ja besser bei den
Festtagen 2015, mit "Parsifal".