Das Theater Regensburg versucht sich mit einem überfrachteten Konzept an Richard Wagners Frühwerk "Die Feen". Die märchenhafte Handlung spielt hier vor dem Festspielhaus und hinter der Bühne.
Wow! Wer in die "World of Wagner" eintauchen will, fährt bekanntlich nach Bayreuth, ins Festspielhaus. Hat sich auch der als radikal beleumundete Jungregisseur Florian Lutz gedacht, der in Regensburg Wagners Frühwerk "Die Feen" inszenieren sollte und feststellte, dass diese Wagneroper in der Wagnerstadt selbst im Wagner-Jubiläumsjahr nur ein Schattendasein führen durfte. Woraus er ein Konzept entwickelt hat, das am Samstag - in veränderter, vermutlich abgeschwächter Form - der Musiktheaterroutinier Uwe Schwarz auf die Bühne gebracht hat. Mit zweifelhaftem Erfolg.
Was beileibe nicht nur mit dem Szenischen zu tun hat, sondern ebenso mit der musikalischen Realisation. Denn so, wie vor allem, aber nicht nur die Blechbläser des Philharmonischen Orchesters Regensburg bei der Premiere der
"Feen"-Erstaufführung im Theater am Bismarckplatz aufspielten, sollte das Haus Herausforderungen wie den Opernerstling des 20-jährigen (!) Richard Wagner einfach sein lassen. Klingt sarkastisch, ist es auch. Leider.
Denn immerhin gelingt der Aufführung zumindest streckenweise, deutlich zu machen, dass Wagners Bannspruch von der "Jugendsünde" endlich nur noch als das wahrgenommen werden sollte, was er ist: eine zielgerichtete biografische Korrektur zugunsten des genialen musikdramatischen Gesamtkunstwerkers, der er in jungen Jahren noch nicht war. Doch schon in den "Feen" steckt - neben mancher Anleihen vor allem bei Beethoven - eine solche Fülle von zentralen musikalischen und dramaturgischen Wagnerthemen, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Werk sich lohnte.
Die eigentliche Handlung bleibt außen vorWarum die Regensburger Inszenierung das nicht leistet, ist schnell erklärt. Der zuerst damit beauftragte Regisseur ist dafür bekannt, dass er sich nicht in erster Linie mit einem Werk, der Handlung, dem Text und seiner Musik beschäftigt, sondern es als Folie benutzt, um andere Geschichten zu erzählen. Kritiker haben Florian Lutz schon in einem Atemzug mit Frank Castorf und Stefan Herheim genannt. Vom Ansatz her ist da was Wahres dran.
So wird hier - allerdings nicht überzeugend - versucht, die ohnehin schon verzwickte Märchenhandlung mit der Entstehungsgeschichte dieser Oper, mit Teilen der Biografie Wagners und der Wirkungsgeschichte Bayreuths bis ins Jubiläumsjahr 2013 hinein kurzuschließen. Die reich bebilderte Ouvertüre bringt es auf den Punkt: Man sieht das Festspielhaus (Bühne und Kostüme: Dorit Lievenbrück) mit Promis, Festspielgästen und den aktuellen Festspielleiterinnen auf dem roten Teppich, überblendet von einem knallgelben umgedrehten McDonalds-M und der rotierenden Marmorbüste des jungen Wagners - und mit einem Wagner, der mit seiner "Feen"-Partitur bei seiner ignoranten Urenkelin Katharina abblitzt.
Statt Klarheit viel VerrätselungDas sieht frech und spektakulär aus, will in punkto Wagner-Clan kritisch sein und geht dennoch ins Leere, weil weder vor dem Festspielhaus noch auf der historisierenden Backstageebene Gleichungen wie Richard Wagner = Arindal, Inspizient + Wolfgang Wagner = Feenkönig + Groma sowie die Feen Farzana + Zemina = Eva + Katharina Wagner wirklich aufgehen. Selbst Kenner des Stücks und Hügelinsider müssen vor den regielichen Verrätselungen kapitulieren. Wer die weibliche Hauptfigur Ada und Muse sein soll, bleibt ebenso diffus und letztlich beliebig wie die in den letzten 170 Jahren historisch vagierenden weiteren Personen der Handlung.
Wer die aktuelle Wagnerwelt nicht nur per Merchandisingstand und Kartensuchern im Foyer satirisch hochnimmt, wird vor der unangenehm braunen Vergangenheit der Festspiele sicher nicht Halt gemacht haben. Das könnte der Grund dafür gewesen sein, dass Florian Lutz aus der Produktion ausgestiegen ist. Sein Name steht nicht einmal mehr im Programmheft, obwohl die Inszenierung laut Pressesprecherin auf seinem Konzept beruht und von Uwe Schwarz "weiterentwickelt" wurde - was per se eine denkbar undankbare Aufgabe ist.
Ein Drama hinter den KulissenDass ursprünglich auch Generalmusikdirektor Tetsuro Ban dirigieren sollte, lässt vermuten, dass das Drama hinter den Kulissen nicht weniger verwickelt gewesen sein muss als auf der Bühne. Der schwarze Peter geht aber weder an die beiden Regisseure, die sicher ihr Bestes getan haben, noch an Arne Willimczik am Pult, sondern an den Intendanten: Bei Opern, die dem Publikum hinlänglich bekannt sind, kann, darf und muss man auch an kleinere Bühnen Inszenatoren holen, die neue und schwierige interpretatorische Wege gehen. Bei einer Erstaufführung sollte das Publikum zunächst die Möglichkeit haben, ein Werk ohne viel Deutungsballast kennenzulernen.
Das leistet die Regensburger Aufführung nun eben nicht. Immerhin wird in der fast um die Hälfte gekürzten, sich auf Ada und Arindal konzentrierenden Strichversion deutlich, dass der erst 20-jährige Komponist seinen Opernerstling keineswegs vor der Nachwelt zu verstecken brauchte. Zwar kamen bei der Premiere manche Solisten über die bloße Bewältigung ihrer Partien nicht hinaus, zwar konnten die Orchestermusiker dem zuweilen angemessen forschen Tempo des Dirigenten nicht immer folgen, aber die gelungenen instrumentalen Passagen, Arien, Ensemble- und Chorszenen waren ein eindeutiges Plädoyer für das leider immer noch verfemte Frühwerk Wagners.
Das Publikum honorierte am Ende zu Recht vor allem die Auftritte von Michaela Schneider als kontinuierlich sich steigernde und berührende Ada, Charles Kim als zwar nicht immer sauber intonierender, aber mit einem schönen Timbre ausgestatteter Arindal und Viktorija Kaminskaite als dessen kämpferisch lodernde Schwester Lora. Unterm Strich bleibt immerhin die Erkenntnis, dass das Theater Regensburg und die Oper Leipzig (mit der einzigen "Feen"-Neuinszenierung im Jubiläumsjahr) aktuell mehr für Wagner getan haben als die beiden Festspielleiterinnen und Wagnerurenkelinnen, die die Chance verstreichen ließen, mit gut vorbereiteten und ungekürzten Produktionen der drei Frühwerke in Bayreuth Marksteine in der Rezeptionsgeschichte zu setzen.