Die Rechnung wurde aber ohne die SPD-Fraktion gemacht, die am Nachmittag auf die Barrikaden ging. Die Eckpunkte fanden in der Fraktionssitzung keine Zustimmung. Möller und danach auch SPD-Fraktionschef Matthias Miersch gingen in die benachbarte CDU/CSU-Fraktion, um die Nachricht zu überbringen. Anschließend wurde die Pressekonferenz abgesagt, zu der sich bereits Dutzende Journalisten in einem Bundestagsgebäude neben dem Reichstag versammelt hatten.
Ein Sprecher der Unionsfraktion sagte den wartenden Journalisten: «Wir haben die Pressekonferenz abgesagt, weil die beabsichtigte Einigung ausgeblieben ist. Wir hatten fest damit gerechnet. Wir wissen nicht, wann die erste Lesung des Gesetzentwurfs erfolgen wird und werden Sie dazu zeitnah informieren.» Möglicherweise werde es nun noch am Abend eine Kommunikation zum weiteren Verfahren geben, hieß es von beiden Seiten.
Grüne sprechen von Chaos
Grünen-Chef Felix Banaszak sagte, dies sei ein Zeichen des Chaos - und dass die Koalition sich selbst nicht organisiert bekomme. «Aber das Signal, das man an die Gesellschaft und vor allem an die jungen Menschen sendet, über die man gerade spricht, ist einfach ein Signal von Respektlosigkeit.»
Spahn: «Fairstdenkbare» Lösung
CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn hatte die Idee des Losverfahrens kurz vor der Eskalation des Streits noch verteidigt. Sollte es zu einer neuen Wehrpflicht kommen, müsse man eine möglichst gerechte Auswahl treffen, sagte er. «Da scheint mir das vorgeschlagene Verfahren das fairstdenkbare. Ich habe jedenfalls noch keinen faireren Vorschlag gehört.»
CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann wies rechtliche Bedenken zurück. Die Union habe ein Rechtsgutachten dazu in Auftrag gegeben, nach dem eine solche Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, sagte der Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten. Ein Losverfahren diene dazu, in einem Auswahlprozess Gleichheit herzustellen. «Der Prozess der Auslosung gewährleistet diese Gleichheit, weil alle die gleiche Chance haben oder Nicht-Chance, gezogen zu werden.»
Opposition: «Tribute von Panem»
Die Grünen im Bundestag sprachen dagegen von einem «völlig undurchdachten Vorschlag». Das Los entscheiden zu lassen, wer gemustert und einberufen werden solle, sei ein «absolut willkürliches» und ein «total bürokratisches» Verfahren, sagte Fraktionschefin Katharina Dröge. Linksfraktionschef Sören Pellmann warnte vor einer «Lotto-Wehrpflicht». Das Vorhaben erinnere ihn «an den Roman "Tribute von Panem", wo Kinder für die Hungerspiele ausgelost werden». AfD-Chefin Alice Weidel sagte: «Ich habe so etwas Schwachsinniges selten gehört.
80.000 zusätzliche Soldaten benötigt
Hintergrund für die geplante Wehrdienstreform ist, dass die Bundeswehr 80.000 zusätzliche Soldaten benötigt. Als Begründung wird eine Verschärfung der Bedrohungslage infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine genannt. Aktuell hat die Bundeswehr rund 183.000 aktive Soldatinnen und Soldaten, rund 260.000 sollen es werden. Auch die Reserve soll wachsen.
Der neue Wehrdienst soll weiterhin freiwillig bleiben. Schon im bisherigen Gesetzentwurf ist aber auch die Option für eine Wehrpflicht festgehalten, wenn nicht genügend Freiwillige gewonnen werden können. Die Regelung dazu ist der Union aber bisher zu wenig konkret.