Vor 70 Jahren zerstörte die US-Armee die japanische Stadt Hiroshima. An der Entwicklung der neuen Waffe hatten deutsche Physiker großen Anteil. Namhafte Experten gehen sogar davon aus, dass Hitlers Truppen selbst die erste Nuklearwaffe testeten: am 4. März 1945 in Thüringen.
6. August 1945, 8.16 Uhr: Dieser Zeitpunkt ist ein Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit. Mit dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima begann des Zeitalters der Abschreckung und des Wettrüstens. Die Angst vor der Bombe bestimmt bis heute die Weltpolitik.
Doch nicht die 75 000 Menschen, die in Japan im atomaren Feuer verbrannten, waren die ersten Opfer des nuklearen Wahnsinns. Die Kerntechnik zeigte bereits fünf Monate vorher ihr furchtbares, tödliches Gesicht: mitten in Deutschland.
Die Guten und die Bösen? Um "Hitlers Bombe" ranken sich zahllose Mythen. Die offizielle Historie weist deutschen Wissenschaftlern zwar einen entscheidenden Beitrag zur Theorie und Praxis der Atombombe zu - aber sauber getrennt in die "Bösen" und die "Guten". Die einen wie Robert Oppenheimer halfen in den USA beim Bau der Bomben, die Hiroshima und Nagasaki auslöschten. Die anderen wie der Würzburger Werner Heisenberg taten in Deutschland alles, um den Bau einer Atomwaffe für Hitler zu verhindern.
Doch so einfach war/ist die Geschichte wohl nicht. 2005 erschien das Buch "Hitlers Bombe" des Historikers Rainer Karlsch. Es hebt sich von den wüsten Verschwörungstheorien zu angeblichen "Wunderwaffen" der Nazis durch akribische Recherche und glaubwürdige Quellen ab. Trotzdem wurde Karlsch' Buch von der Kritik verrissen.
Unbestrittene Tatsache ist, dass es vor allem deutsche Physiker waren, die die Grundlage für die Atombombe (Kernspaltung) und die um ein Vielfaches zerstörerische Wasserstoffbombe (Kernfusion) schufen. Namen wie Otto Hahn und Werner Heisenberg sind mit der militärischen und zivilen Nutzung der Kernenergie in Theorie und Praxis verbunden. Fakt ist auch, dass in Deutschland Wissenschaftler an einem Uran-Projekt arbeiteten, gefordert und gefördert von Hitler.
Bei den Motiven und Zielen dieser Forschung geht die Bewertung der Historiker auseinander; erstrecht bei der Frage, wie weit das Atom-Projekt kam. Nach offizieller Lesart wollte Hitler anfangs eine Bombe. Die Pläne scheiterten an technischen Hürden. So konzentrierte sich die Forschung auf den Bau eines Reaktors zur Energiegewinnung. Auch das misslang, da Deutschland das Material ausging und die Alliierten wichtige Forschungsstätten zerstörten.
Das gute Gewissen der Physik Zur offiziellen Version gehört auch ein Besuch Heisenbergs bei Nils Bohr in Kopenhagen. Der deutsche Physiker habe seinen dänischen Kollegen auf die Kernforschung der Nazis hingewiesen und auf die Möglichkeit, Atombomben zu bauen. Bohr trug die Nachricht in die USA, die daraufhin ihrerseits mit der Kernwaffenforschung begannen (Manhattan-Projekt).
Diese Version der Geschichte ist im Kern nicht falsch, aber sie ist unvollständig - bis heute. "Die Nutzung der Atomenergie unterliegt in weiten Teilen der Geheimhaltung. Es wird vertuscht und gelogen." So zugespitzt äußert sich Sebastian Pflugbeil, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Strahlenschutz. Pflugbeil ist nicht unumstritten; der einstige DDR-Bürgerrechtler und Minister im letzten Kabinett Modrow ist bekannt für seine überaus kritische Haltung zur Kernenergie. Pflugbeil ist sicher, dass die deutschen Forscher nicht über genug spaltbares Material (Plutonium oder Uran 235) verfügten, um Bomben zu bauen, wie sie auf Hiroshima und Nagasaki fielen. "Dazu hätte man riesige Produktionskapazitäten gebraucht", sagt der Atomexperte. Und: Eine Bombe wie "Little Boy" oder "Fat Man" wäre für Deutschland militärisch nutzlos gewesen: Bei der Luftüberlegenheit der Alliierten hätte kein deutsches Flugzeug eine viereinhalb Tonnen schwere Bombe unbehelligt ins Zielgebiet bringen können.
Deshalb ging ein kleines Team um Kurt Diebner, zu dem der aus Neustadt bei Coburg stammende Erich Bagge gehörte, einen anderen Weg: Sie versuchten, Kernreaktionen mit wenig spaltbarem oder fusionsfähigem Material (Lithium) auszulösen. Dazu nutzten die Forscher das Prinzip der Hohlladung, die extrem hohe Temperaturen und Druck erzeugt ("Panzerfaust").
Heisenberg hatte bereits 1942 angedeutet, dass man mit der Energie aus dem Atom ganze Städte auslöschen könne - mit einer Waffe, die "nicht größer ist als eine Ananas". Sie hätte mit Raketenwaffen (V2) verschossen werden können. Heinrich Himmler, der Chef der SS, tönte noch im März 1945: "Wir haben unsere letzte Wunderwaffe ... Ein oder zwei Schüsse und Städte wie New York oder London werden vom Erdboden verschwinden."
Erste Nuklearexplosion in Deutschland? Es war defintiv keine Propaganda, was sich am 4. März 1945 um 21.36 Uhr auf dem Truppenübungsplatz bei Ohrdruf in Thüringen zutrug. Augenzeugen, so Cläre Werner von der nahen Wachsenburg, berichten von einer Explosion und einem Blitz, der die Nacht zum Tag machte. Am nächsten Tag mussten Häftlinge des nahen Konzentrationslagers Leichen verbrennen. Es waren mehrere hundert, von Brandwunden entstellt; nicht nur Kriegsgefangene, die als Versuchskaninchen missbraucht worden waren, sondern auch Männer der SS. Sowjetische Geheimdienstberichte schildern den Waffentest bis ins kleinste Detail.
Anwohner klagten über Kopfschmerzen und Nasenbluten - Symptome der Strahlenkrankheit. Der Vormarsch der amerikanischen und sowjetischen Truppen beendete die Kernforschung in Nazi-Deutschland. Die Siegermächte demontierten die Anlagen, beschlagnahmten Unterlagen und ließen die führenden Köpfe der deutschen Atomforschung für sich arbeiten.
Über die "deutsche Bombe" wurde schnell der Mantel des Schweigens gebreitet, das Testgelände (bis heute Sperrgebiet) nie gründlich untersucht. Weder die deutsche noch die alliierte Seite hatten Interesse, das Uran-Projekt an die große Glocke zu hängen. Und die deutsche Wissenschaft wollte ihre weiße Weste behalten.
Doch die Geschichte endete nicht im April 1945. Anfang 1952 meldete Kurt Diebner ein Verfahren zur Auslösung einer Kernfusion zum Patent an; Monate vor der Zündung der ersten Wasserstoffbombe der USA. In den 60er-Jahren rüstete die Nato Mitteldeutschland mit mehreren hundert "Mini-Nukes" auf, taktischen Atomwaffen, etwas größer als eine Ananas. Sie sollten einen hypothetischen Vormarsch des Warschauer Pakts durch Thüringen und Hessen stoppen. Diese Waffen namens "Davy Crocket" wurde mittels Hohlladung gezündet: Erich Bagges Verfahren von 1942.
Hiroshima und Nagasaki 6. August 1945 Vom B29-Bomber "Enola Gay" ins Ziel gebracht, detoniert die Uran-Bombe namens "Little Boy" um 8.16 Uhr Ortszeit über dem Stadtzentrum von Hiroshima. Bis zu 90 000 Menschen sterben an den unmittelbaren Folgen der Kernexplosion, mindestens ebenso viele später an den Folgen der Strahlenkrankheit,
9. August 1945 Um 11.02 Uhr detoniert die zweite Kernwaffe der US-Armee, eine Plutoniumbombe mit dem Spitznamen "Fat Man", über Nagasaki. Auch hier gab es mehrere zehntausend Tote, genauere Untersuchungen verhinderten die USA nach der Kapitulation Japans.