AKW Grafenrheinfeld: Was passiert mit dem Atommüll?

5 Min
Castor-Behälter im Forschungszentrum Jülich Foto: dpa
Castor-Behälter im Forschungszentrum Jülich  Foto: dpa
Das Zwischenlager in Grafenrheinfeld Foto: Matthias Hoch
Das Zwischenlager in Grafenrheinfeld Foto: Matthias Hoch
 
n Castor-Behältern, Stückpreis zwei Millionen Euro, werden die abgebrannten Brennelemente zwischengelagert - bis es ein Endlager gibt. Die Zeichnung illustriert, wie ein Castor aufgebaut ist. Foto: GNS
n Castor-Behältern, Stückpreis zwei Millionen Euro, werden die abgebrannten Brennelemente zwischengelagert - bis es ein Endlager gibt. Die Zeichnung illustriert, wie ein Castor aufgebaut ist. Foto: GNS
 

Der Zeitplan steht: In 20 Jahren wird das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld verschwunden sein. Aber nicht spurlos. Wie lange die Brennelemente im Zwischenlager liegen werden, kann heute niemand sagen. Sicher länger als 40 Jahre. Mit ihnen bleibt das Restrisiko.

Zu früh gefreut: Das Atomzeitalter wird in Grafenrheinfeld noch lange dauern. Sehr lange. Und damit ist nicht der auf 20 Jahre angesetzte "Rückbau" des Kernkraftwerks gemeint. Viele Jahrzehnte danach werden die Menschen der Region noch mit den abgebrannten Brennelementen leben müssen; in einem "Zwischenlager", das zum "Endlager" wird.

Das ist kein Horrorszenario der Kernkraftgegner, sondern Teil des Konzepts, das die Entsorgungskommission der Bundesregierung erarbeitet. Die Suche nach einem Endlager für den Atommüll dauert länger als angenommen. Michael Müller (SPD), der Chef der Endlager-Suchkommission, rechnet damit, dass ein Endlager frühestens 2075 zur Verfügung steht, "vielleicht auch erst 2130".


Jahrhundertprojekt?

Bis alle radioaktiven Abfälle dort sicher eingeschlossen sind, könnte sogar das nächste Jahrhundert vorbei sein. Müller spricht von "unkalkulierbaren finanziellen Risiken" bei einem Prozess, der so lange dauert. Schon jetzt steht für den SPD-Politiker fest, dass die Rückstellungen der Energiekonzerne für den Abriss der Kraftwerke und die Entsorgung der Abfälle nicht reichen. Eon und Co. haben 36 Milliarden Euro weggelegt. Mit Kosten von bis zu 70 Milliarden Euro rechnet Müller - so weit man hundert Jahre voraus rechnen kann.

Das finanzielle Joch tragen alle, ein anderes Risiko trifft zusätzlich die, die in der Nähe eines AKW leben. Babs Günther, die Sprecherin des Anti-Atom-Bündnisses in Schweinfurt, fürchtet, dass die Region lange mit dem "Zwischenlager" leben muss. "Wenn man das Kraftwerk stilllegt, weil man Bedenken wegen der Sicherheit hat, dann müsste man diesem Lager erst recht die Betriebserlaubnis entziehen", sagt Günther.


Erst einmal in "Bella"

Im Zwischenlager "Bella", einer 60 mal 40 Meter großen und 18 Meter hohen Halle mit 85 Zentimeter dicken Stahlbeton-Wänden, ist Platz für 88 Castor-Behälter, in denen sich jeweils 19 abgebrannte Brennstäbe aus dem Kernreaktor befinden. Aktuell lagern dort 21 Castoren mit insgesamt 411 Brennelementen. 34 weitere Castoren kommen dazu, wenn der Reaktor des im Mai stillgelegten Atomkraftwerks 2020 ausgeräumt wird.

"Castor" und "Bella": Viele der Begriffe aus dem Wortschatz des Atomzeitalters klingen niedlich, sei es mit Absicht oder zufällig. Tatsache ist: Jeder Castor enthält laut Greenpeace so viel Radioaktivität, wie bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl freigesetzt wurde. Da der Reaktor in Grafenrheinfeld auch mit Mischelementen "geheizt" wurde, besteht der strahlende Abfall dort zum Teil zudem aus dem hochgiftigen Plutonium.


Auf Castor folgt Pollux

Und: Abgebrannte Brennelemente sind keine kalte Asche. Der Zerfall in den Uran-Tabletten, die in den Brennstäben eingegossen sind, geht noch viele tausend Jahre weiter; dabei entstehen radioaktive Sekundärstoffe, Strahlung und Wärme. Nichts von alledem darf in die Umwelt gelangen. Deshalb kühlen verbrauchte Brennelemente erst einmal im Wasser eines Abklingbeckens aus. Danach werden sie in Castor-Behältern hermetisch eingeschlossen. Der Castor (Abkürzung für: cask for storage and transport of radioactive material, Behälter zur Aufbewahrung und zum Transport radioaktiven Materials) ist die erste Stufe im Entsorgungskonzept.


Behälter im Eigenbau

Dauerhaft gelagert werden soll der strahlende Abfall in Castors Bruder Pollux, dann in einem unterirdischen Endlager. Diese Behälter bestehen aus Gusseisen mit 45 Zentimeter dicken Wänden. Die sechs Meter langen Fässer messen zweieinhalb Meter im Durchmesser und wiegen beladenen 120 Tonnen.

Bei Entwicklung und Bau der Castoren gab es keinen Wettbewerb um das beste Konzept. Ihre "Mülleimer" hat die Atomindustrie gleich selbst erfunden: Die Castor-Behälter werden von der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) in Essen gebaut. Die Gesellschafter der GNS sind Eon Kernkraft, RWE Power, die Südwestdeutsche Nuklear-Entsorgungs-Gesellschaft (EnBW) und Vattenfall Europe.
Aus dieser Konstellation ziehen Umweltverbände und Bürgerinitiativen allzu gerne den Schluss, dass beim Castor vor allem die Kosten optimiert wurden, weniger die Sicherheit. Das stimmt so nicht; die GNS und ihre Behälter unterliegen der Kontrolle der Bundesanstalt für Materialprüfung und der internationalen Atomaufsicht. Die Castor-Behälter, so heißt es dort, entsprechen dem Stand der Technik und sind sicher.
Doch was wird der Stand der Technik in 80 oder 120 Jahren sein? Als vorübergehende Lösung ist die Lagerung des strahlenden Mülls in den Castoren und in den Zwischenlagern für 40 Jahre genehmigt. Mindestens so lange, davon gehen Hersteller und Aufsicht aus, sollten das doppelte Deckelsystem und die Dichtungen gewährleisten, dass im Castor bleibt, was im Castor ist. Mit jedem Castor-Behälter, der in Deutschland befüllt wird, steigt das Risiko für eine Panne, jedes Jahr erhöht den Verschleiß; wie bei jeder komplexen Technik.


2000 Mal Tschernobyl

Am Ende des Atomzeitalters werden nach Angaben der GNS bis zu 2000 Castor-Behälter in Deutschland herumstehen und auf ihren Platz in einem Endlager warten. Die Suche danach hat gerade erst begonnen.
Was ist, wenn ein Behälter undicht wird? Diese Frage führt zu der kuriosen Situation, dass derzeit die Gegner der Kernenergie mit die größten Bedenken gegen den Abriss der stillgelegten Atomkraftwerke haben.
Warum? Ein Reaktorgebäude wie in Grafenrheinfeld bietet anders als das Zwischenlager optimalen Schutz gegen die Freisetzung radioaktiver Stoffe. Ergo: Das Reaktorgebäude wäre als "heiße Zelle" der potenziell beste Platz, um beschädigte Castoren vorübergehend sicher zu verstauen und zu reparieren.
Bei einer solchen Lösung bliebe Eon in Grafenrheinfeld lange, sehr lange auf seinem Müll sitzen. Das ist wohl mit ein Grund, warum der Energiekonzern einen möglichst zügigen Abriss des Kernkraftwerks anstrebt.


Ein Sarg aus Stahl

Was passiert dann, wenn ein Castor nicht mehr ganz dicht ist? Der Eon-Partner GNS sieht in diesem Fall vor, den Behälter mit einem dritten Deckel zu verschließen: verschweißt, nicht verschraubt wie die beiden anderen. Bewegen dürfte man dieses Fass dann nicht mehr. Und wie man einen solchen Stahlsarg für den Atommüll dann langfristig noch überwachen soll, sagt die GNS nicht. Es wäre eine Zeitbombe. So hat sich das Ende des Atomzeitalters in Grafenrheinfeld niemand vorgestellt.


Woher, wohin? der Atommüll

Menge Weltweit entstehen laut World Nuclear Association jedes Jahr rund 12 000 Tonnen stark strahlende Abfälle. Bis heute sind weltweit 350 000 Tonnen hochradioaktiven Abfalls angefallen, Finnland hat als erstes Land der Erde den Bau eines Endlagers genehmigt.

Risiko Die stark strahlenden Abfälle, die in Kernkraftwerken, Wiederaufbereitungsanlagen und bei der Waffenproduktion entstehen, machen den kleinsten Teil des radioaktiven Mülls aus; weitaus größere Mengen entstehen unter anderem im Uranbergbau oder beim Abbau von kerntechnischen Anlagen.

Halbwertszeit Dieser Wert gibt an, wie schnell die Radioaktivität abnimmt, genauer: Wie viel Zeit vergeht, bis die Strahlung die Hälfte des Ausgangswertes beträgt, nach zwei Halbwertszeiten ist es ein Viertel, dann ein Achtel ... Dabei reicht die Spannbreite von wenigen Minuten bis zu hunderttausenden Jahren. Plutonium -239, einer der gefährlichsten radioaktiven Stoffe, hat eine Halbwertszeit von 24 000 Jahren.

Konzepte Es gibt viele Ideen, wie man den strahlenden Müll sicher entsorgen könnte. Das reicht vom Einfrieren in der Antarktis bis zur Versenkung im Meer (was auch viele Jahre so praktiziert wurde). Stand der Technik ist der Einbau in Bergwerken. Ernst gemeint ist der Vorschlag, den Müll ins Weltall oder gar in die Sonne zu schießen und so endgültig los zu werden; bei Kosten von 4000 Euro pro Kilogramm Raumfracht und den Risiken beim Raketenstart ist dieses Konzept aber wohl Science Fiction.


Kommentar: Pokern mit der Sicherheit

Wenn man die aktuelle Diskussion um den Bau neuer Stromtrassen verfolgt, kann einem beim Gedanken an das Endlager für Atommüll nur angst und bange werden: Ist eine solche Müllkippe politisch überhaupt durchsetzbar?
In der Tat ist die Auseinandersetzung schon in vollem Gange. Bundesregierung und Energiekonzerne liefern sich, weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, eine Gutachterschlacht. Die jüngste Runde haben Eon und RWE eröffnet. Ein von ihnen in Auftrag gegebenes Gutachten soll auf 144 Seiten den Beweis liefern, dass der Staat die Energieversorger einst zum Einstieg in die Atomenergie gezwungen hat - und jetzt gefälligst auch für den dabei produzierten Müll zu sorgen hat. Es wird gepokert. Der Einsatz: die Sicherheit der Bürger.