Irene Bretschneider hat in Lichtenfels ein blühendes Paradies geschaffen - und das mit knapp 100 Jahren.
"Ich meine, jetzt ist die Zeit gekommen, dass man darüber redet", sagt Irene Bretschneider. Dabei blickt sie ihren Neffen an. Der ist 66 und rührt im Kaffee. So ganz recht ist ihm offenkundig nicht, was seine Tante da anspricht. Zumindest hat es ganz den Anschein. Es geht um ein Legat. Gewissermaßen.
Irene Bretschneider betrachtet ihren Garten. Sie sitzt an einem Tisch und bekommt einen Espresso. Was vor ihr liegt, wird irgendwann auch vor ihrem Neffen Thomas Kandler liegen. Arbeit. Nur soll es eben weniger Arbeit werden, wenn es nach Tante Irene geht. "So täglich drei, vier Stunden - manchmal auch fünf", wie sie sagt, möchte sie ihrem Neffen an Gartenarbeit nicht zumuten. Der Garten, von dem die Rede ist, hat eine lange Geschichte und viele Bewunderer. Immer wieder, über den Zaun hinweg, wird die alte Dame auf ihn und seine Schönheit angesprochen. Man kennt sie und wundert sich über sie.
Im Fotografengässchen
Irene Bretschneider ist eine zierliche Person vorgerückten Alters, aber sie geht selbst einkaufen, geht selbst zum Marktplatz, trägt ihre Tüten und Taschen. Und wenn sie diese Dinge erledigt hat, kümmert sie sich noch um den Garten an der Adresse Kapellenweg 4. Der Kapellenweg wird im Volksmund auch Fotografengässchen genannt und wer hier durchgeht, der kommt irgendwann an den silberfarbenen alten Metallzaun samt seinem Türchen.
Dahinter verlaufen Wege durch Anpflanzungen und dahinter bilden zwei Birken eine Art Schulterschluss und geben vor, ein Torbogen zu sein, unter dem man durchgehen kann. 30 Meter von hier lärmt eine Hauptstraße, doch an diesem Ort blendet sich das aus. Links ist ein Atelier, ein Fotostudio von vor der Jahrhundertwende, rechts ist eine Steinbank und dazwischen Wege und Anpflanzungen und Rosen, immer wieder Rosen. Das Üppige wirkt sortiert, hier hat jemand architektonisch Hand angelegt.
Von wegen. Wer glaubt, Irene Bretschneider darüber ins Gespräch locken zu können, dass er sie Betrachtungen dazu anstellen lässt, ob sie nicht vielleicht all die Jahre Landschaftsgestalterin oder gar Gartenarchitektin gewesen sei, der hat sich geschnitten. Die Dame, die eigentlich aus Hamburg stammt, ist auf eine sehr nette Art ziemlich nüchtern und wiegelt so etwas kurz und bündig ab. Erst recht, wenn man es übertreibt und ihr unterstellt, durch die viele Arbeit im Garten dem Leben oder seinen Geheimnissen um Werden und Vergehen auf die Spur gekommen zu sein, eine Stufe der Erleuchtung erklommen zu haben.
Ihr also, weil sie sagte, bei der Gartenarbeit bei sich zu sein und nicht an Überflüssiges zu denken, unterstellt, womöglich landschaftgestaltende, gartenarchitektonische Buddhistin zu sein. "Das kann ich nicht verstehen...das ist zu hoch gegriffen", sagt sie mit einem Lächeln, das auf dem Weg zum Lachen ist, und in diesem Lachen scheint eine milde Verwunderung darüber zu liegen, dass man überhaupt in solche Richtung denken kann. Blüten treibt es bei einer anderen Überlegung: Was kann man von der Natur lernen? Die Antwort: "Machen Sie mal einen Vorschlag!" Bei der Frage, ob sie nicht wenigstens glaubt, mit dem Garten schöpferisch gewesen zu sein, bleibt sie bescheiden und stellt klar, dass sein Grundriss ja schon von ihrer Schwester angelegt worden ist. "Sie sind sehr nüchtern!", bekommt sie an dieser Stelle zu hören und in einem für kurze Momente aufklingenden hamburgischen Tonfall gibt sie zurück: "Ist das so?"
Pflichtbewusstsein und Pflanzen
Seit sie nicht mehr gut schläft, steht sie häufig schon um 5.30 Uhr auf. Dann kommt es vom ersten Stock aus zur Betrachtung. "Wenn ich die Gardine aufziehe, stehe ich da und gucke." Klar, dass das Bewässern dann auch bald darauf stattzufinden hat. Pflichtbewusstsein gegenüber den Pflanzen? "Ja, das kann sein", räumt Irene Bretschneider ein und lächelt nun nicht. "Bis ich mit dem Gartenbewässern fertig bin, dauert es eine Stunde", so die rüstige Seniorin, die diese Pflicht per Schlauch erfüllt.