Der 15,5 Millionen teure Hochwasserschutz an der Flutmulde in Kulmbach hat für einige Anwohner im Ängerlein auch negative Seiten.
Mit dem Metermaß zeigt Erwin Zellner auf den gefliesten Boden seines Wintergartens. An der Wand zum Wohnzimmer klaffen die Fugen zwei Zentimeter auseinander, etwas weiter rechts liegt eine Fliese höher als die anderen. Die Griffe der Türen sind mit Schnüren gesichert: "Die sind alle verzogen. Eine Fachfirma hat die Türen verschlossen, damit ich im Winter nicht die Flutmulde heize", sagt der vitale 83-Jährige, der in der Straße Ängerlein wohnt. Trotz allem Ärger hat er den Humor nicht verloren.
Stichwort Flutmulde: Die Restarbeiten werden zwar noch bis 2018 andauern, doch im Prinzip ist die Großbaustelle in der Pörbitscher Au abgeschlossen.
Die Beteiligten, das Wasserwirtschaftsamt Hof als ausführende Behörde des Freistaats und die Stadt, freuen sich, dass das 15,5-Millionen-Euro-Projekt für den Hochwasserschutz gelungen ist.
"Es steht alles auf Spannung"
Bei Erwin Zellner, der direkt am Damm wohnt, hält sich die Freude aber in Grenzen. Die Bauarbeiten haben schwere Schäden an seinem Wintergarten hinterlassen, ja sie haben die teure Wohnzimmer-Erweiterung unbewohnbar gemacht. Eine Belüftung des knapp 20 Quadratmeter großen, verglasten Anbaus ist nicht mehr möglich. "Ich kann die Türen zwar aufmachen, aber ich kriege sie dann nicht mehr zu. Es steht alles auf Spannung."
Wie der Wintergarten "gewandert" ist, zeigt sich am deutlichsten außen. Am Fallrohr der Dachrinne setzt Zellner nochmals das Metermaß an.
Horizontal wie vertikal beträgt dort die Differenz zu dem Rohr in der Erde rund fünf Zentimeter.
Die Ursache des Malheurs ist für Zellner klar: "Vor etwa zwei Jahren, als die provisorischen Spundwände direkt an der Grundstücksgrenze eingebracht wurden, gab es erste kleine Risse. Als die Wände im Herbst 2015 wieder entfernt wurden, traten die großen Schäden auf."
15 Jahre ist der Wintergarten jetzt alt. Er ist mit elektrisch bedienbaren Jalousien, Fußbodenheizung und Konvektoren ausgestattet und hat damals rund 140 000 Mark gekostet. Allein auf das Fundament entfielen 27 000 Mark. Ein Luxusobjekt war das für Zellner aber keineswegs. "Ich habe den Anbau damals für meine Frau behindertengerecht bauen lassen. Sie hatte Pflegestufe 2 und konnte bei Temperaturen von mehr als 25 Grad nicht mehr nach draußen.
Ich wollte ihr wenigstens das Gefühl geben, noch ein bisschen in der Natur zu sein."
Vor viereinhalb Jahren ist Erwin Zellners Frau gestorben. Seitdem nutzt der 83-Jährige, der in der Druckerei Baumann Maschinensetzer gelernt hat und später auch für die EDV-Technik zuständig war, den Wintergarten meist alleine. Nutzte, denn inzwischen erfüllt der Anbau, in den bei Regen auch das Wasser durchs Glasdach drang, seinen Zweck nicht mehr.
Kosten im fünfstelligen Bereich
Auf 60 000 bis 70 000 Euro schätzt Zellner die Kosten der Sanierung einschließlich der Erstellung eines neuen Fundaments. Ob das alles auf Heller und Pfennig bezahlt wird, war für den 83-Jährigen, der einen ganzen Aktenordner mit Kostenvoranschlägen und sonstigem Schriftverkehr gefüllt hat, lange Zeit unklar.
Für das Wasserwirtschaftsamt steht aber fest: Der Kulmbacher wird nicht im Stich gelassen. Die Behörde hat ihm eine Abfindung im mittleren fünfstelligen Bereich angeboten, basierend auf zwei Gutachten über Schäden am Wintergarten und die Bodenbeschaffenheit. Wichtigstes Ergebnis: Das Fundament muss nicht entfernt, sondern nur "aufgesattelt", sprich: ertüchtigt werden.
"Herr Zellner bleibt keinesfalls auf den Kosten sitzen, die Schäden sind unzweifelhaft vorhanden", sagt Günter Hugel, der beim Wasserwirtschaftsamt Hof für Wasserbau und Gewässerentwicklung im Landkreis
Kulmbach zuständig ist.
Auch andere Anlieger betroffen
Neben der Abfindung ("In ähnlicher Form haben wir das auch schon bei anderen geschädigten Anliegern gehandhabt") gebe es die Möglichkeit, dass sich die Behörde selbst um die Schadensregulierung kümmert.
Doch das will Erwin Zellner nicht: "Das Amt müsste dann sämtliche Gewerke ausschreiben. Auf die Auswahl der Handwerker, deren Qualität und Zuverlässigkeit hätte ich dann keinen Einfluss mehr. Außerdem würde sich heuer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts mehr tun."
Zellner, der trotz seiner 83 Jahre körperlich wie geistig topfit ist, nimmt es deshalb lieber auf sich, die Arbeiten selbst zu koordinieren. Eine positive Nachricht hat er vergangene Woche schon erhalten: Die Fachfirma, die bereits im August 2015 die Kosten für die Wiederherstellung des Wintergartens ermittelt hat, steht noch zu ihrem Angebot.
Das letzte Wort hat der Geschädigte noch nicht gesprochen. "Ich muss mich erst noch bei den Handwerkern rückversichern, ob die im Abfindungsangebot genannten Summen und Stunden eingehalten werden können", so Zellner, der schon dahin tendiert, das Angebot anzunehmen.
Und: "Ich habe ein Jahr lang gewartet, da kommt es auf 14 Tage auch nicht mehr an."
Kommentar Bürokratie - ehrlich, aber nervig
Bürokratie ist ein Wort, das meist negative Assoziationen weckt: Papierkram, Verwaltungen, strenge Organisationsstrukturen, endlose Vorgänge. So etwas gibt es in der freien Wirtschaft, häufiger freilich bei der öffentlichen Hand. Auch Erwin Zellner hat damit seine Erfahrungen.
Der 83-Jährige, der für den Schachklub Kulmbach nach wie vor in der Bezirksliga-Ost antritt und dem seine geistige wie körperliche Fitness in den nächsten Monaten noch zugute kommen wird, ist - wenn man so will - ein Geschädigter der öffentlichen Hand.
Konkret hatte er es mit dem Wasserwirtschaftsamt zu tun, das den Hochwasserschutz an der Flutmulde in der Pörbitscher Au umzusetzen hatte.
Doch bevor der erste Spatenstich für das gut 15 Millionen teure Projekt getan war, schickte das Amt den Anliegern einen "Fotografen" ins Haus. Erwin Zellner erinnert sich, dass 80 bis hundert Bilder geschossen wurden. "Flutmulden-Beweissicherung" nannte sich der Vorgang, der den Zustand der Häuser und Wohnungen vor den Bauarbeiten dokumentierte. Das Ausmaß dieser Beweissicherung macht klar: Die Behörde rechnete bereits im Vorfeld damit, dass die gewaltigen Erdbewegungen nicht ohne Blessuren an den Anwesen über die Bühne gehen würden.
So kam es dann auch.
Nicht nur Erwin Zellner, dessen Wintergarten-Erneuerung einen ansehnlichen fünfstelligen Betrag verschlingen wird, sondern auch andere Anlieger am Ängerlein waren betroffen, als die provisorischen Spundwände direkt an den Grundstücksgrenzen entfernt wurden.
Keiner von ihnen wird auf seinem Schaden sitzen bleiben - so ehrlich ist die Bürokratie dann schon. Aber: Es hat im Fall Zellner rund ein Jahr gedauert, bis zwei Gutachten endlich grünes Licht für die Schadensregulierung gaben.
Das Materielle ist die eine Seite, die psychische Belastung die andere. Für Ärger und die Unannehmlichkeiten, die die Betroffenen über Monate begleiten, gibt es keinen Cent.
Zeit und Nerven wird Erwin Zellner in nächster Zeit noch gut brauchen können. Denn er hat sich dafür entschieden, die Arbeiten für die Sanierung seines Wintergartens selbst zu koordinieren.