Gilt die Ehrenbürgerschaft über den Tod hinaus?

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In den Jahren um 1933 ernannten tausende Gemeinden in Deutschland Hitler zum Ehrenbürger, was meist in Vergessenheit geriet. Archivare stoßen bei Recherchen meist zufällig auf die Urkunden. Foto: Archiv/Harald Sandner
In den Jahren um 1933 ernannten tausende Gemeinden in Deutschland Hitler zum Ehrenbürger, was meist in Vergessenheit geriet. Archivare stoßen bei Recherchen meist zufällig auf die Urkunden.  Foto: Archiv/Harald Sandner

Am 22. März 1933 wurde Adolf Hitler Ehrenbürger von Marktschorgast - doch ist er es noch immer?

Marktschorgast hat einen Ehrenbürger, von dem viele Einheimische nichts wussten: Adolf Hitler. Am 22. März 1933 wurde er dazu ernannt. Inzwischen ist eine lange Zeit vergangen. Dass der Name auf der Liste steht, ist in Vergessenheit geraten, bis ein E-Mail-Schreiber Bürgermeister Hans Tischhöfer (FW) vor zwei Jahren darauf aufmerksam machte. "Seitdem haben wir uns viel mit dem Thema auseinandergesetzt und alles genau geprüft", erzählt Tischhöfer.

Als er am Montag die Situation offiziell bekanntgab (wir berichteten), entstand ein richtiger Hype um das Thema. "Jeder stürzte sich darauf", meint der Marktschorgaster Bürgermeister, der seit Tagen ein Interview nach dem anderen gibt.

Während der Recherche fanden Archivare heraus, dass nicht nur Adolf Hitler aus der NS-Zeit eine Ehrenbürgerschaft in Marktschorgast hat. Gleiches gilt für Paul von Hindenburg, NSDAP-Gauleiter Hans Schemm und Lehrer Nikolaus Brückner.


Wie ist so etwas geregelt?

Marktschorgast ist mit solchen Ehrenbürgern kein Einzelfall. Schätzungen zufolge verliehen tausende Orte in Deutschland um 1933 Hitler und anderen NS-Größen die Ehrenbürgerwürde - eine der höchsten Auszeichnungen, die von einer Stadt oder Gemeinde an Personen vergeben wird. "Nach heutigen Regeln kann nur jemand zum Ehrenbürger ernannt werden, der für den Ort etwas Herausragendes geleistet hat", erklärt Kathrin Limmer, zuständige Juristin für Kommunalrecht am Landratsamt. Dies sei im Artikel 16 der Gemeindeordnung geregelt. "In der deutschen Gemeindeordnung, die 1935 galt, musste ein Ehrenbürger nicht ortsbezogen sein", so Limmer weiter. Es habe gereicht, wenn jemand etwas gemacht hat, das den Staat betraf.

"Viele Gemeinden oder Städte haben sich damals Vorteile erhofft, wenn sie Hitler zum Ehrenbürger ernennen. Er selbst wusste davon meist nichts", meint Wilfried Schober. Er ist Direktor beim Bayerischen Gemeindetag, der als einer von vier kommunalen Spitzenverbänden mit Sitz in München die Interessen seiner Mitgliedskommunen vertritt und ihnen bei rechtlichen Fragen hilft. "Nach dem Krieg wollte dann niemand mehr etwas davon wissen", erzählt Schober.


Elf Anfragen im letzten Jahr

Im letzten Jahr landeten beim Bayerischen Gemeindetag elf Anfragen - darunter auch die von Marktschorgast - , wie man mit Hitler und seiner Ehrenbürgerwürde umgehen soll. "Die Gemeindearchivare stoßen bei ihrer Arbeit oft zufällig darauf, dass Hitler in den 30er Jahren zum Ehrenbürger ernannt wurde", erzählt Schober. Die erste Reaktion sei dann immer: "Das müssen wir ihm aberkennen!"

"Doch das geht juristisch nicht. Mit dem Tod erlischt die Ehrenbürgerwürde", erklärt Schober. Das Einzige, was eine Stadt oder Gemeinde tun kann, ist, sich vom damaligen Beschluss zu distanzieren. Das raten sowohl Kathrin Limmer als auch Wilfried Schober.

Die Gemeinderäte müssten dafür einen entsprechenden Beschluss fassen.
Politisch sei die Sache dann erledigt, rechtlich könne man aufgrund des Todes nichts mehr machen. "Wenn sich die Gemeinden vom damaligen Beschluss distanzieren, ist nach außen hin klar, dass sie nichts mehr mit der Zeit zu tun haben wollen", erklärt Schober.


Entscheidung fällt am Donnerstag

Bürgermeister Hans Tischhöfer ist das ein wichtiges Anliegen. "Wir müssen zeigen, dass wir den Rechtspopulismus nicht vertreten und uns davon deutlich distanzieren", sagt Bürgermeister Tischhöfer. Im Gemeinderat soll heute Abend darüber entschieden werden. Laut dem Bürgermeister wird das schnell erledigt sein. Der Gemeinderat stehe einhellig hinter ihm. "Bei dem Rechtsruck, der momentan stattfindet, müssen wir ein Zeichen setzen", sagt Hans Tischhöfer entschlossen.

Weitere Fälle im Landkreis

Kulmbach Auch bei der Stadt Kulmbach steht Paul von Hindenburg noch auf der Ehrenbürgerliste, doch das ist laut Stadtpressesprecher Simon Ries ein Fehler: "Im August 1945 gab es eine Bekanntmachung im Amtsblatt des Landkreises, dass alle Ehrenbürgerschaften, die von 1933 bis 1945 vergeben wurden, ihre Gültigkeit verlieren." Darunter falle auch Hindenburg. Wer das veranlasst hat, konnte Ries nicht nachvollziehen. Hitler und Schemm wurden daraufhin von der Liste entfernt.

Thurnau Interessant ist, wie schnell nach der Machtergreifung Hitlers in deutschen Städten und Gemeinden hohe Ehrungen ausgesprochen wurden.

So beschloss der Marktgemeinderat Thurnau, wie alten Protokollen zu entnehmen ist, in einer "denkwürdigen Sitzung" am 30. März 1933, also gerade einmal zwei Monate nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, "in voller Einmütigkeit drei um die Erhebung und Wiedergeburt unseres lieben deutschen Vaterlandes sich ausserordentlich verdient gemachte, vom Scheitel bis zur Sohle echt kerndeutsche Männer zu Ehrenbürgern zu ernennen. Es sind dies der Herr Reichspräsident Generalfeldmarschall von Hindenburg, Herr Reichskanzler Hitler, Herr Kultusminister Schemm".


Urkunden wurden angenommen

Ihnen zu Ehren wurden damals auch der Rathausplatz in Hindenburgplatz, der Marktplatz in Adolf-Hitler-Platz und der Kirchplatz in Hans-Schemm-Platz unbenannt.
Weiter heißt es in dem alten Protokoll: "Die Ehrenurkunden wurden durch Post zugestellt und von allen Herren mit Dank und den besten Wünschen für unsere Marktgemeinde angenommen."


Gab es Vorgaben aus Berlin?

Außerordentliche und verbleibende Verdienste, die die Ernennungen gerechtfertigt hätten, konnten zu diesem frühen Zeitpunkt schlichtweg nicht vorliegen. Vielmehr schien auch der Thurnauer Gemeinderat gewissen zwingenden Vorgaben aus Berlin zu folgen. Darauf lassen auch die geradezu euphorischen Sätze im Jahresbericht 1933 des damaligen Thurnauer Bürgermeisters Lauterbach schließen, der Adolf Hitler "unverbrüchliche Treue" gelobte. Dietmar Hofmann