Dreistündige Beleidigungen, eine Platzwunde und ein Opfer, das sich am Ende des Abends mit einem Aschenbecher wehrt. Der Prozess am Amtsgericht.
Blut auf dem Boden und ein ausgerissener Haar-Büschel - die Bilder der Tatnacht zeigen, wie heftig die Auseinandersetzung am 30. Juli 2015 vor der Jugendhilfeeinrichtung in Fassoldshof (Mainleus) gewesen sein muss. Christoph Berner, Richter am Amtsgericht Kulmbach, schaut die Fotos gemeinsam mit allen Prozessbeteiligten an, um den Tathergang rekonstruieren zu können. Doch der 19-jährige Angeklagte kann sich an nichts erinnern. Ein Grund könnten die 1,42 Promille gewesen sein, die nach der Auseinandersetzung bei ihm festgestellt wurden.
Geschädigte wird verletzt
Laut Anklageschrift, die Staatsanwältin Verena Scragg verliest, gerieten an diesem Abend zwei Jugendliche während der Fahrt von Kulmbach zur Jugendhilfeeinrichtung Fassoldshof in Streit. Dieser setzte sich vor der Einrichtung fort. "Der Angeklagte warf den Geschädigten zu Boden und kniete sich auf ihn", führt Scragg aus. Der Geschädigte erlitt eine Platzwunde am Hinterkopf und mehrere Schürfwunden.
Der 19-jährige Geschädigte und Zeuge kann sich noch ganz genau an den Abend vor gut einem Jahr erinnern - und das obwohl er 1,36 Promille hatte. Er sei mit dem Angeklagten und einem weiteren Freund auf dem Weg in die Kulmbacher Schützenstraße gewesen, wo sie von einer Betreuerin abgeholt werden sollten.
Kein nachvollziehbarer Grund für die Eskalation
"Auf dem Weg trafen wir auf ein Kind, welches eine leere Bierflasche in der Hand hielt", erklärt er. Es wollte diese abgeben und sich von dem Pfandgeld einen Döner kaufen, fährt er fort. Laut Aussage des Geschädigten wollte der Angeklagte, dass das Kind die Bierflasche zur Seite stellt, dafür kaufe er ihm einen Döner. Doch er habe kein Geld dabei gehabt. "Dann habe ich angeboten, den Döner zu bezahlen", erklärt der Geschädigte. Der Angeklagte habe ihn daraufhin beleidigt und mit der zerbrochenen Bierflasche bedroht. Über drei Stunden soll das gedauert haben. Für Staatsanwältin Verena Scragg nicht nachvollziehbar, warum die Situation so eskaliert ist.
Stefan Fürst, Vertreter der Jugendgerichtshilfe, die von den Jugendämtern ausgeübt wird, bringt Licht ins Dunkle. Er hat sich mit der Entwicklung, der Persönlichkeit und der Umwelt des Angeklagten auseinandergesetzt. Wahrung der Rangposition, Kränkung des Ehrgefühls, Bevormundung - drei Aspekte, die für Fürst ausschlaggebend gewesen sein könnten, dass die Situation so dermaßen eskaliert ist.
Streit ging über den ganzen Abend
Auch auf der Fahrt von Kulmbach nach Fassoldshof habe der Angeklagte nicht locker gelassen. Am Eingang der Jugendhilfeeinrichtung eskalierte die Situation: Der Angeklagte habe den Geschädigten zu Boden geschubst und sich auf ihn gekniet, erzählt der Zeuge. Umstehende Jugendliche gingen sofort dazwischen und lösten die Situation auf. Das bestätigt auch die Betreuerin, die die Jugendlichen an diesem Abend aus Kulmbach holte.
Doch das war noch lange nicht alles. Auch im Haus gerieten die beiden noch einmal aneinander. Das Ende der hitzigen Auseinandersetzung habe dann auf der Terrasse der Einrichtung stattgefunden. Als der 19-jährige Geschädigte gemeinsam mit der Betreuerin eine Zigarette rauchte, kam der Angeklagte nochmals dazu. Und wieder endete es in einer Rangelei: Der Geschädigte schlug dem Angeklagten einen Aschenbecher an den Kopf. Das gab er selbst bereits zu. "Das thematisieren wir beim nächsten Mal. Da tauschen sich dann ihre Rollen", sagt Richter Berner zum Angeklagten und zum Zeugen.
Als die 28-jährige Betreuerin in den Zeugenstand tritt, will Richter Berner von ihr wissen, wie oft bei den beiden Jugendlichen Alkohol im Spiel ist. "Beim Geschädigten zu dieser Zeit sehr regelmäßig", sagt sie. Beim Angeklagten könne sie das nicht sagen. Aufgrund von Gesprächen mit dem Angeklagten und seinen Betreuern schätzt der Jugendgerichtshelfer den 19-Jährigen als sehr sozial ein. "Wenn jedoch Alkohol mit im Spiel ist, dann wird er sehr schnell aggressiv", meint Fürst.
Trotzdem fordert er für den Angeklagten die Anwendung des Jugendstrafrechts. Seine Erlebnisse aus der Vergangenheit hätten ihn psychisch schwer belastet. Eine normale Entwicklung sei nicht möglich gewesen. Eine gemeinnützige Arbeitsauflage hält Fürst für angebracht. Staatsanwältin Verena Scragg hält bei dem Angeklagten das Jugendstrafrecht für sinnvoll. Sie fordert in ihrem Plädoyer eine Auflage von 80 Arbeitsstunden.
Noch nie vor Gericht gewesen
In seinem Urteil schraubt Richter Christoph Berner die Auflage etwas herunter: 50 Arbeitsstunden innerhalb von fünf Monaten. Die Vermittlung laufe über die Geschwister-Gummi-Stiftung. "Das Gericht geht davon aus, dass Sozialstunden bei Ihnen ausreichen, um Sie wieder auf den rechten Weg zurückzubringen", meint Berner. Eintragungen im Bundeszentralregister gab es bisher keine. Innerhalb von einer Woche könne der Angeklagte Revision oder Berufung einlegen.