Stieringer: "Kronach braucht attraktive Veranstaltungen"

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Klaus Stieringer. (Foto: privat)
Klaus Stieringer. (Foto: privat)

Klaus Stieringer ist Präsident des Berufsverbandes City- und Stadtmarketing Bayern und seit zehn Jahren Geschäftsführer des Stadtmarketing Bamberg. Er gilt als Experte im Bereich Stadtmarketing. Wir haben mit ihm über die Bedeutung traditioneller Feste, wie das Kronacher Freischießen, gesprochen.

Herr Stieringer, in Kronach gibt es derzeit Ärger um das Freischießen. Ein Anwohner klagt gegen den von der Stadt erlassenen Bescheid, was die Festzeiten angeht. Am Wochenende soll nicht wie geplant um 2 Uhr, sondern um 24 Uhr Schluss sein, während der Woche statt um 24 Uhr um 23.30 Uhr. Jeweils eine halbe Stunde vorher soll der Ausschank enden. Wie verhält sich das denn bei anderen Festen in Oberfranken?

Klaus Stieringer: In unserer heutigen Zeit haben die Freizeitaktivitäten erheblich an Bedeutung zugenommen. Aktive Freizeitgestaltung ist für viele Menschen Teil ihrer Lebensqualität. Diese Freizeitaktivitäten fallen meistens in eine Zeit, in der andere wiederum ihre nach Stress, Hektik und Lärm wohlverdiente Ruhe suchen. Deshalb fühlen sich heute oftmals Bürgerinnen und Bürger im Umfeld von Events durch Lärm belästigt. Das Beispiel der aktuellen Diskussion in Kronach verdeutlicht dabei das grundlegende Dilemma, in dem sich die Verwaltungen und Veranstalter in ganz Oberfranken befinden: Einerseits wollen wir, dass unsere Innenstädte lebendig und attraktiv bleiben, andererseits haben wir auch die Verpflichtung gegenüber unseren Bürgern, Ruhe zu gewährleisten, wenn es zu laut wird. Zur Klärung der Frage, ob Geräusche von Freizeitanlagen wie dem Festivalgelände in Kronach als erhebliche Belästigungen anzusehen sind, ist die sogenannte Freizeitlärmrichtlinie heranzuziehen. Diese starren Regelungen der Lärmrichtlinien können leider sowohl für traditionelle Veranstaltungen wie das Freischießen in Kronach, wie auch jüngere Events wie das Samba Festival in Coburg und das Blues- und Jazzfestival in Bamberg existenzielle Gefahr darstellen. Fühlt sich auch nur ein einziger Anwohner - wie in Kronach - gestört, müssen die Ämter einschreiten.

Das Freischießen findet zum 426. Mal statt. Der Anwohner sagt, bis vor zwei Jahren sei die Lärmbelästigung noch nicht so schlimm gewesen. Inwiefern hat sich denn das Feierverhalten in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Deutschland gilt mit seinen 12.250 Volksfesten und Jahrmärkten pro Jahr als das Volksfestland Nummer Eins. Die Veranstaltungen sind dabei oft das Spiegelbild der Gesellschaft und somit auch einem ständigen Wandel unterworfen. Das veränderte Freizeitverhalten der Menschen bedingt veränderte Strukturen und Angebote bei den traditionellen Festen. Spätere Ausgehzeiten auf der einen Seite, sowie der zunehmende Wettbewerb der Veranstaltungen untereinander hat dazu beigetragen, dass sich die Feste in den letzten Jahren verändert haben. Es gibt meines Erachtens keine wissenschaftliche Untersuchung darüber, ob sich die Lautstärke der Veranstaltungen in den letzten 10 Jahren erhöht hat. Vielmehr ist anzunehmen, dass sich die subjektive Wahrnehmung bei den betroffenen Personen verändert hat. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik sind es die Angehörigen der gehobenen Mittelschicht, die "immer weitere Teile der Innenstadt besetzen und damit einen allgemeinen Imagewandel des Innenstadtwohnens" einleiten. Der demografische Wandel wird diesen Trend weiter vorantreiben. Ich denke, dass sich also nicht die Veranstaltungen verändert haben, sondern die starken Jahrgänge werden einfach älter und damit auch oftmals ihr Anspruch auf Ruhe und Frieden in der Stadt. Vitale Städte schaffen den Spagat zwischen dem Ruhebedürfnis der Anwohner und der Lust auf Freizeit und Feiern im Centrum. Hier helfen jedoch keine Gesetze, sondern nur Gespräche zwischen Anwohnern und Veranstaltern.

Inwieweit sind solche Traditionsfeste für kleine aussterbende Städte denn wichtig?

Volksfeste und Märkte aller Art, wie das Freischießen in Kronach, sind oftmals eng an lokale und regionale Traditionen geknüpft und werden vielerorts schon seit Jahrhunderten ausgerichtet. Für ein professionelles Stadtmarketing haben traditionelle Feste wie das Freischießen, die zu regelmäßigen Terminen veranstaltet werden, eine zentralen Bedeutung, weil sie die überregionale Ausstrahlung eines Veranstaltungsortes entscheidend beeinflussen. Der Tod vieler Innenstädte und Zentren in ganz Deutschland macht zunehmend deutlich, dass eine Stadt nicht nur von ihrer Substanz und toter Materie leben kann, sondern insbesondere von der Nutzung und Gestaltung des öffentlichen Raumes als Bühne. Ein interessantes und qualitativ hochwertiges Fest hat zudem unmittelbare Auswirkungen auf das positive Image einer ganzen Region. Gerade in ländlichen Räumen wie Kronach und somit touristisch weniger entwickelten Regionen stellt eine Veranstaltung wie das Freischießen einen speziellen Ausflugs- bzw. Reiseanlass dar und generiert damit weitere volkswirtschaftliche Effekte z.B. für den örtlichen Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie. Und das ist wichtig. Bereits jetzt kämpft Kronach ja mit allen typischen Problemen einer kranken Stadt. Zunehmender Ladenleerstand, zunehmende Filialisierung, Kaufkraftabfluss in das Umland, sterbender Fachhandel und - was am schlimmsten ist - der zunehmende Attraktivitätsverlust für die junge Generation. Für eine vitale Innenstadt, eine gesunde Wirtschaft und das Gefühl in einer lebendigen und nicht toten Stadt zu leben brauchen wir heute attraktive Veranstaltungen wie das Freischießen.