"Jeder Wildunfall ist einer zu viel"

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Vor allem sind es Rehe, die Opfer von Wildunfällen werden. Rainer Glissnik
Vor allem sind es Rehe, die Opfer von Wildunfällen werden. Rainer Glissnik
Die Verkehrswacht warnt an besonders gefährdeten Streckenabschnitten vor einer Gefahr von Wildwechseln.
Die Verkehrswacht warnt an besonders gefährdeten Streckenabschnitten vor einer Gefahr von Wildwechseln.
 
Klaus Riedel demonstrierte den Multiwildwarner, der auch hier im Foto mit Blitz zeigt, wie er das Licht reflektiert.
Klaus Riedel demonstrierte den Multiwildwarner, der auch hier im Foto mit Blitz zeigt, wie er das Licht reflektiert.
 

Bayernweit stieg die Zahl der Wildunfälle seit 2006 um 50 Prozent. Im Kreis Kronach wurden 2017 knapp 600 Wildunfälle gemeldet.

Rehe, Wildschweine, gerade in der Dämmerung und vor allem im Monat April queren Wildtiere überraschend die Fahrbahn. Bundesweit ereigneten sich 2017 rund 230 000 Wildunfälle mit einem Gesamtschaden von 700 Millionen Euro. Auch im Kreis Kronach gab es im vergangenen Jahr wieder viel zu viele Wildunfälle, so Klaus Riedel, der Koordinator des Projekts "Wild und Straße" bei der jüngsten Sitzung. Rund 600 Wildunfälle wurden 2017 im Kreis Kronach gemeldet. Darunter waren 450 Rehe betroffen. Trotz vieler Maßnahmen kommt es zu immer mehr Wildunfällen. In den Morgenstunden ist die gefährlichste Zeit, dann noch einmal wenn die Dunkelheit hereinbricht - gerade im April. Das sind keine neuen Erkenntnisse, aber kaum ein Autofahrer richtet sich danach und passt seine Geschwindigkeit an. "Es ist dramatisch, was an Tieren überfahren wird", betonte Riedel. Vor vier Jahren waren es im Kreis 400 gemeldete Wildunfälle. Allein 400 Wildunfälle ereigneten sich im vergangenen Jahr im südlichen Landkreis Kronach. Schwerpunkte sind um Mitwitz, Weißenbrunn und zwischen Friesen und Gundelsdorf. An der B 303 zwischen Mödlitz und Beikheim ereigneten sich elf Wildunfälle, zwischen Mitwitz und Burgstall zwölf, an der Staatsstraße 2208 zwischen Mitwitz und Leutendorf 14, an der Staatsstraße 2708 zwischen Mitwitz und Haig 21 und an der B 89 zwischen der Landesgrenze bei Burggrub und der Einmündung nach Haig elf. "Es sind alles Straßen, die mit hohen Geschwindigkeiten befahren werden", meinte Wolfgang Maryniok. An einigen Stellen wurden Maßnahmen ergriffen, etwa wurden Wildwarner angebracht. Ein System leuchtet beispielsweise auch den Hang hinunter, wenn die Reflektoren vom Autolicht angestrahlt werden. Im Bereich Kronach Süd gab es zwischen Rucksmühle und Weißenbrunn zwölf Wildunfälle. Hier wurden vor einigen Jahren Halbkreisreflektoren angebracht. Zunächst half dies, aber nun hat die Zahl der Wildunfälle sich wieder erhöht.
Zwischen Weißenbrunn und Friedrichsburg gab es 13 Wildunfälle. Ein anderer Schwerpunkt ist die Staatsstraße 2200: zwischen Beikheim und Theisenort 17 Wildunfälle verzeichnet. Auf der B 173 ereigneten sich auf einem kleinen Abschnitt zwischen Kronach und Marktrodach 13 Wildunfälle. Ein "ewiger Schwerpunkt" ist die KC 25 zwischen Friesen und Birkach, wo sich trotz zahlreicher Maßnahmen 13 Wildunfälle ereigneten, davon sechs mit Wildschweinen. Die Schwarzkittel lassen sich von den Maßnahmen nur wenig beeindrucken.
Zwischen Dörfles und Friesen sollte auf einem kurzen Streckenabschnitt der ST 2200 nahe dem Friesener Kreisel vorsichtiger gefahren werden, weil es hier wieder zehn Wildunfälle gab. Hinter Steinberg wurde mit angebrachten Multiwildwarnern eindeutliche Verbesserung erreicht: bis zur Brücke ereigneten sich nur zwei Wildunfälle. Im weiteren Bereich wurden 16 Wildunfälle festgestellt. Es gibt einfach Stellen, an denen das Wild unbedingt über die Straße wechseln will und sich kaum aufhalten lässt. Auf der KC 03 zwischen Fennenmühle und Gifting sind Multiwildwarner angebracht. Sechs Kilometer ereignete sich kein Wildunfall, dann auf wenigen hundert Metern sieben. "An manchen Stellen scheint einfach nichts zu helfen", bedauerte Klaus Riedel. Doch sind es gerade solche Herausforderungen, die das Projektteam "Wild und Straße" besonders motivieren. "Jeder Wildunfall ist einer zu viel", betonte Riedel. Im nördlichen Landkreis ist die Staatsstraße 2209 am Rennsteig mit fast 30 Wildunfällen ein wesentlicher Schwerpunkt. "Das hatten wir einmal sehr gut im Griff", blickte Riedel bedauernd zurück. "Es sieht heute nicht rosig aus." Zwischen Steinbach und Kleintettau ereigneten sich 22 Wildunfälle, zwischen Kleintettau und Sattelgrund weitere 13. "Der Rennsteig brennt im wahrsten Sinne des Wortes", untermauerte auch Forstrevierleiter Alexander Kelle.
Derzeit läuft ein Projektantrag, um hier mehr Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. "Entschieden ist noch nichts." Es gebe auch kritische Stimmen nach einem Wildunfallsymposium. "Blau wird vom Wild deutlich wahrgenommen, es ist aber keine Schreckfarbe, doch andere Farben sieht das Wild nicht", erklärte Klaus Riedel. Das Licht schreckt das Wild ab, nicht die blaue Farbe. Aber die blaue Farbe wird wahrgenommen, zeigten Untersuchungen.
Wie der Forst im Landkreis sich einbringe, sei vorbildlich, lobte Riedel. Ein Mitarbeiter habe seine Bachelorarbeit zu diesem Thema gemacht. Die Polizei leistete eine enorme Basisarbeit für die Zahlen zur Situation im Landkreis Kronach. Diese sind die Grundlage für die gesamte Arbeit des Wildprojekts. An der KC 17 zwischen Marienroth und Wickendorf sind acht Wildunfälle zu verzeichnen, aber im bereich mit Multiwildwarnern kein einziger seit drei Jahren, zwischen Marienroth und Posseck auf der KC 4 elf Wildunfälle (in Bereichen mit Wildwarnern nur drei).
Im Bereich der Ködel zeigten die Maßnahmen Verbesserungen. Deutliche Verbesserungen gab es an der KC 24, wo es zwischen Reichenbach und Lauenhain nur noch einen Wildunfall gab (Vorjahr acht) und an der KC 16 zwischen Tschirn und der Hubertushöhe mit drei Wildunfällen (Vorjahr sieben). Zwischen Mauthaus und der Stoffelsmühle gab es zehn Wildunfälle.
Neu in der Statistik tauchte die B 303 zwischen Großvichtach und Seibelsdorf mit 13 Wildunfällen auf, darunter sechs mit Wildschweinen. Auch die KC 28 zwischen Steinberg und Neufang ist mit zehn Wildunfällen neu in der Statistik. Die ST 2198 zwischen .Teuschnitz und Tschirn ist mit zehn Wildunfällen dabei. "Es muss stinken, wackeln und blau sein", betonte Klaus Riedel zu den erfolgreichen Maßnahmen. "Und manchmal hilft auch das nicht." Der sehr erfolgreiche Duftzaun - er muss alle halbe Jahre nachgespritzt werden - kostet etwa hundert Euro je Kilometer, das blaue Band mit Duft rund 100 Euro, der sich im Kreis nicht dauerhaft bestätigende Halbkreisreflektor 200 Euro, der allerneueste Hegereflektor blau mit Neigungswinkel zum Straßenhang 200 Euro pro Kilometer. Der erfolgversprechenste Multiwildschutzwarner kostet etwa 400 Euro je Kilometer.
Warnschilder bremsen Autofahrer nicht. Eine Ursache der steigenden Wildunfälle wird von den anwesenden Jägern auch auf den enormen Zuwachs von Wildschweinen gesehen; das umtriebige Wildschwein bringe auch viel Unruhe in die Einstände der Rehe. Diese flüchten häufiger, somit auch über die Straßen. Klaus Riedel berichtete, dass der Fernsehsender Sat 1 wieder mal im Landkreis Kronach gewesen sei, um die dortigen Installationen und Praxiserfahrungen zu vermitteln. Die Aufnahmen wurden auf der KC 03 gedreht. Reinhard Rüger konnte dabei auch von seinen positiven Erfahrungen mit dem Multiwildschutzwarner erzählen, die er an der KC 17 erfahren hat. Dort hat er vor drei Jahren diesen Multiwildschutzwarner installiert und bis jetzt keinen Wildunfall gehabt.

Abschließend bedankte sich Klaus Riedel beim langjährigen Kernteam-Kollegen Horst Deuerling vom Straßenbauamt für seine kompetente und hilfreiche Unterstützung. Sein Nachfolger ist Daniel wird künftig im Projektteam mit dabei sein. rg

Multiwildwarner weg: Der Koordinator des Projektteams "Wild und Straße", Klaus Riedel , ließ die Zunahme der Wildunfälle keine Ruhe. Er fuhr einige Wildunfallschwerpunkte ab und bei der KC 03 im Bereich der Fennenmühle stellte er fest, dass vier Multiwildwarner fehlten. Wahrscheinlich sind sie bei der Pfostenreinigung abgefallen. Die Jäger müssten künftig auch solche Installationen kontrollieren, sah er Handlungsbedarf und eine Erklärung für Zunahmen.

Tempo: Die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs ist bei Wildunfällen sehr oft entscheidend. Die meisten Wildunfälle ereigneten sich bei Geschwindigkeiten von mehr als 70 Stundenkilometern. Würden Autofahrer in der Dämmerung in Waldgebieten und an Straßen an Waldrändern - vor allem im April und Oktober - gerade an bekannten Wildunfallschwerpunkten auf dieses geringere Tempo einlassen. könnte viel vermieden werden. Es kann jedem ein Wildunfall passieren, meinte Projektkoordinator Klaus Riedel. Wildunfälle sollten unmittelbar gemeldet werden, gerade weil ein betroffenes Tier oft erheblich leidet. Sonst gefährde ein Autofahrer auch seine für die Versicherung erforderliche Bescheinigung.