Urteil: Kein versuchter Doppelmord

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Angeklagte und Verteidiger bei der Urteilsverkündung.
Angeklagte und Verteidiger bei der Urteilsverkündung.

Im Engelstrompetenprozess wird die Angeklagte nicht wegen versuchtem Mord verurteilt. Das Gericht spricht von einem Denkzettel, den sie dem Arzt verpassen wollte.

Zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten hat das Schwurgericht eine russische Kinderbuch-Autorin verurteilt, die ihrem langjährigen Geliebten, einem 18 Jahre älteren Würzburger Arzt und dessen neuer Freundin, Pflanzengift aus der Engelstrompete nachts heimlich in den Wassertank der vollautomatischen Kaffeemaschine geschüttet hatte.
Verurteilt wurde die Frau "nur" wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, angeklagt war die 50-jährige wegen versuchtem Mord in zwei Fällen. Dafür sollte sie laut Antrag der Staatsanwaltschaft auch acht Jahre hinter Gitter. Doch Burkard Poepperl, Vorsitzender des Schwurgerichts, stellte am Freitagnachmittag, nach vier Verhandlungstagen fest: "Sie wollte dem Arzt und seiner neuen Lebensgefährtin mit Sicherheit einen Denkzettel verpassen." Von mehr habe man sich nicht überzeugen können.
Zur psychischen Verfassung der Angeklagten zur Tatzeit sagte das Gericht: Die Frau sei "nachvollziehbar gedemütigt und schwer gekränkt gewesen." Diese Aussage "würdigt" das Verhalten des Mediziners gegenüber einer Frau mit Migrationshintergrund: Er lernt sie als Patientin kennen, wird ihr Therapeut, sie steigt auf zur Geliebten, lebt jahrelang mit dem Arzt zusammen und dann beendet er die Beziehung mit der auch vor Gericht wiederholten Begründung, dass die Frau sich nicht in die gesellschaftlichen Kreise integrieren ließ, in denen er sich bewegt.
Der Vorsitzende Richter Poepperl wurde in seiner Urteilsverkündung unmissverständlich deutlich: Im Bett sei der Allgemeinarzt mit der Frau aus Moskau nach wie vor hoch zufrieden gewesen. "Trotz Trennung, obwohl er sich eine neue Lebensgefährtin, eine Lehrerin, ins Haus holte, war die Ex nach wie vor für Sex gut." Offiziell bekam sie einen 400 Euro-Job, fürs Putzen und Gartenarbeiten.
Bei der Attacke mit dem Gift der Engelstrompete - Atropin und Scopolamin - hat die Angeklagte nach Überzeugung des Schwurgerichts berücksichtigt, dass der Herr Doktor ein starker Kaffeetrinker war und bereits am Morgen vier bis fünf große Tassen im Pot-Format leerte. Auch wenn die ehemalige Patientin ihren Therapeuten nicht töten wollte, habe sie doch gewusst, dass das Gift der Engelstrompete schwere körperliche Schäden verursachen könne.
Mit heftigen Kreislaufproblemen, Halluzinationen, einem Filmriss und einem länger andauernden Gedächtnisausfall war der Arzt, von einer Sprechstundenhilfe am Morgen des 28. November 2011 rechtzeitig in seiner Wohnung entdeckt, in eine Klinik eingeliefert worden. Nur durch Zufall konnten die Ermittler eine Spur aufnehmen, die später in den Garten der Praxis führte und überhaupt an ein Verbrechen denken ließ: Dem Stiefsohn, der am Morgen nach der Tat auch Kaffee trinken wollte, war eine merkwürdige Trübung des Wasser im Tank der Kaffeemaschine aufgefallen. Deswegen hatte er die Restflüssigkeit gesichert.
Die Gifte der Engelstrompete werden im menschlichen Körper schnell abgebaut, eher zufällig konnten sie bei der damaligen Lebensgefährtin des Arztes, die nur eine Tasse Kaffee getrunken hatte und dann zur Schule gefahren war, in einer Urinprobe nachgewiesen werden. Blut- und Urinprobe des weitaus schlimmer betroffenen Mediziners waren im Krankenhaus, als die Ermittlungen aufgenommen wurden, schon nicht mehr vorhanden.
Genaue Erfahrungswerte für die beiden Giftstoffe, ab welcher Dosis deren Wirkung tödlich ist, gibt es nicht . Fest stehe, so das Gericht, dass der verwendete Sud aus Blüten und Pflanzen der Engelstrompete offensichtlich keine tödliche Konzentration aufwies. Man hätte vermutlich kübelweise von dem vergifteten Kaffee aus dem Automaten trinken müssen, mindestens 12 Liter, aber vermutlich erheblich mehr.
Als "abenteuerlich-absurd" hat das Gericht die Vermutung der Verteidigung bezeichnet, dass die Tat auf das Konto von Personen gehen könnte, die dem Arzt nahe stehen. Sie hätten den Verdacht auf die Frau aus Moskau lenken wollen, um sie endgültig aus dessen Leben zu verbannen.
Mit Sicherheit, so das Gericht, liege kein Tötungsvorsatz vor. Auch für einen bedingten Vorsatz wisse man zu wenig. Es könne nicht nachgewiesen werden, dass die Schriftstellerin mit einer besonderen Neigung zur Gartenarbeit eine tödliche Dosis Pflanzengift ins Kaffeewasser geschüttet hat.
Die Frau sei, so das Gericht, schwer einzuschätzen. Von Schuldeinsicht und Reue sei leider überhaupt nichts "rüber gekommen". Sie bestritt die Vorwürfe in allen denkbaren Varianten . "Wenn sie mehr darüber gesagt hätte, was wirklich war, hätte man vielleicht durchaus Anlass gehabt, manches zu ihren Gunsten zu werten und ihr bei der Strafzumessung entgegen zu kommen."
In den Kontakten zu einer guten Freundin in Russland, die sie nach drei gescheiterten Ehen mit Männern heiraten möchte und guten Beziehungen zum Ehemann Nummer drei, der inzwischen in Italien in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt und sie nach wie vor unterstützt, sah das Gericht nach dem Urteil "einen gewissen Fluchtanreiz". Daher wurde der Haftbefehl gegen die Frau weder aufgehoben noch außer Vollzug gesetzt. Das Gericht stellte allerdings in Aussicht, dass die Untersuchungshaft angerechnet wird und dass die Verurteilte bei guter Führung vermutlich nicht die volle Strafe absitzen muss .