Sensation vor Gericht

3 Min

Ein Spielotheken-Räuber hat seinen Bekannten im März als Komplizen belastet. Vier Monate saß der Kitzinger deshalb im Knast. Jetzt ist er frei gesprochen worden.

Bei einem Überfall auf eine Spielothek in der Kitzinger Kaiserstraße, in der Nacht zum 23. Januar 2011, soll ein inzwischen 23-jähriger Mann ohne Berufsausbildung dabei gewesen sein. Gestern früh wurde er vor einer Großen Strafkammer des Landgerichts Würzburg wegen schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Am Nachmittag konnte er als "freier Mann" ohne uniformierte Begleiter, mit Anspruch auf knapp vier Monate Haftentschädigung, das Justizgebäude verlassen.
Seine Festnahme, die Untersuchungshaft und die Anklage "verdankt" der Mann einem guten Bekannten, mit dem er vor Jahren in Kitzingen gern und oft Schach gespielt hat.
Bei Musik und Kunst sei man auf gleicher Wellenlänge gewesen, beide konsumierten Amphetamin und rückten gemeinsam zum Trinken aus, trafen sich auch zum Dart- und Billardspielen.
Dieser gute Bekannte war im März 2013 für drei Überfälle auf dieselbe Spielothek zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt worden. Zwei Überfälle hatte er solo gemacht, bei einem war ein Komplize dabei, den die Kripo trotz Überwachungskamera nicht ermitteln konnte.
Gegen Ende seines Prozesses im März wollte der erheblich vorbestrafte Bekannte plötzlich nach eigenen Angaben einen Schluss-Strich unter seine kriminelle Vergangenheit ziehen. Er nannte den jetzt angeklagten Freund als Mittäter.
Belastet wurde der angebliche Komplize nur durch den so genannten Haupttäter: Es gab keine Zeugen, die ihn identifizieren konnten, keinen Fingerabdruck, keine DNA-Spur und die Bilder der Überwachungskamera zeigten nur perfekt vermummte Männer mit Kapuze.
Den Hinweis des Gerichts bei Verhandlungsbeginn gestern, dass ein Geständnis die letzte Chance sei, Pluspunkte für eine nicht ganz so hohe Strafe zu sammeln, hat der Angeklagte dankend abgelehnt. Er sei unschuldig und als das Gericht ihm eine Pause anbot, damit er die Sache noch einmal mit seinen beiden Verteidigern besprechen könne, erklärte der Angeklagte, da gebe es nichts zu bespreche. "Ich bin in meinem Leben noch nie in dieser Kitzinger Spielothek oder einer anderen irgendwo gewesen."
Kurz danach kam es, für alle Prozessbeteiligten ohne die geringste Vorwarnung, zu einer mittleren Sensation: Der aus dem Knast in Straubing vorgeführte Zeuge , der dort neun Jahre verbüßt, sagte, sein Bekannter, den er auf die Anklagebank gebracht hat, sei bei dem Überfall nicht dabei gewesen. Als er den Mann damals vor Gericht und beim Ermittlungsrichter mit Namen genannt und belastet hat, da sei er mit Medikamenten voll gestopft gewesen, quasi vom Knastarzt für seine Verhandlung "ruhig gestellt" worden. Er habe damals eigentlich nur den dritten Überfall, den er bis dahin bestritten hatte, gestehen wollen. Als man dann nach dem Namen des Komplizen fragte, habe er einfach einen Namen genannt, der ihm gerade einfiel. "Es hätte auch jeden anderen meiner Bekannten in Kitzingen treffen können."
Wer wirklich dabei war, das wollte der Strafgefangene aus Straubing nicht sagen. Der Hinweis des Staatsanwalts, dass er für diese neue Aussage mit einer Anklage wegen falscher Verdächtigung und Freiheitsberaubung rechnen müsse, sei ihm, so der Zeuge, klar. Es klang aber eher so, als wollte er "wurscht" sagen. Das Gericht versuchte darauf hin ein Motiv dafür zu finden, dass einer einen guten Bekannten so in Schwierigkeiten bringt: Ob der jetzt Angeklagte dem Zeugen mal eine Frau ausgespannt habe, ob es Streit gab, ob eine Rechnung offen ist? Fehlanzeige. Der Zeuge entschuldigte sich vielmehr bei den Familienangehörigen des Angeklagten im Zuschauerraum und sagte zum Angeklagten: "Alles Gute". Dessen Antwort verblüffte nach der langen Zeit in U-Haft: "Dir auch". Und so trat der Zeuge, der belasten sollte, aber entlastet hat, die Rückfahrt nach Straubing an.
Selten waren in einem Prozess vor der Großen Strafkammer die Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigern so kurz und inhaltlich nahezu identisch: Der Vorsitzende Richter Burkard Poepperl nannte es ein starkes Stück, wenn einer dem anderen ohne Grund monatelange Untersuchungshaft und eine Raub-Anklage einbrockt. Poepperl bat den Freigesprochenen noch um Verständnis dafür, dass die Justiz nach den Angaben des "Zeugen", die vor Monaten detailliert, ohne Widerspruch und ohne Belastungseifer abgegeben worden waren, davon ausgehen musste, dass der wirklich reinen Tisch machen wollte und deswegen seinen Komplizen mit Namen genannt hatte. Da nickte der Angeklagte fast verständnisvoll, aber kurz danach rollten Tränen der Freude und Erleichterung über seine Wangen.
Bei dem Überfall im Januar 2011 hatte einer der Räuber eine Mitarbeiterin der Spielothek mit einer Waffe bedroht und dann 1075 Euro aus der Kasse genommen. Die zum Einschüchtern eingesetzte Pistole war scharf, aber nur mit Schreckschuss- und Pfeffer-Patronen bestückt.
Auf der Suche nach dem zweiten Mann, der sich am Tatort allerdings ziemlich passiv verhalten hatte, ermittelte die Kriminalpolizei auch gegen den Sohn eines Kitzinger Polizeibeamten. Der war in der Nacht zusammen mit dem Räuber in eine Kontrolle geraten, das Ermittlungsverfahren ist später allerdings eingestellt worden.
Der am Dienstag angeklagte und dann freigesprochene 23-Jährige ist nicht vorbestraft, obwohl er im Oktober 2007 mit einem Messer bewaffnet die Sparkasse in Dettelbach überfallen und anschließend seine Beute von etwa 1000 Euro auf der Straße weitgehend an Passanten verteilt hatte. Einem Mann kaufte der Räuber für die Flucht ein schon älteres Fahrrad ab, das er kurz danach jedoch in einen Baggersee geworfen und die Flucht dann als Tramper fortgesetzt hat. Der erste Autofahrer, der anhielt und ihn einsteigen ließ, saß am Steuer eines Zivilfahrzeugs der Verkehrspolizei- Inspektion Biebelried. 20 Minuten nach dem Überfall war der Räuber bereits in polizeilichem Gewahrsam.
Wegen Schuldunfähigkeit zur Tatzeit konnte der damals 18-Jährige nicht verurteilt werden: Sein auffälliger Zustand, der bereits am Tatort auffiel, war auf das Zusammenwirken von zwei ärztlich verordneten Medikamenten zurückzuführen: Einem Schmerzmittel gegen heftige körperliche Beschwerden und einem Mittel gegen seine Hyperaktivität (ADHS).