Private Lerngruppe statt Unterricht in der Schule: Was der Staat verbietet, halten manche Eltern für besser. Ein Vater erklärt, warum sein Kind im Verborgenen lernt.
Er will seinen Namen nicht öffentlich nennen. Aber er will auch nicht länger schweigen. Wir sind irgendwo in der Region, sprechen mit Herrn Namenlos, nennen wir ihn also schlicht N. Er tut etwas, was er nicht darf: Er schickt sein Kind nicht in die Schule, der Nachwuchs lernt „frei“, in einer Gruppe. „Präsenzunterricht ist die beste Art des Unterrichtes“, sagen Politiker, Behörden, Schulleiter. Herr N. widerspricht: „Es geht doch nicht um den Unterricht, es geht um das Bildungsziel. Und das kann man auch anders erreichen.“
Natürlich hat das Ganze mit Corona zu tun, auch wenn das Wort in dem langen Gespräch nur auf Nachfrage fällt. Gibt es Corona? „Für mich gibt es eine Erkrankung, die gewisse Symptome mit sich bringt“, antwortet Herr N. „Ob das Ganze den Umfang hat, wie behauptet wird, darüber muss sich jeder selbst eine Meinung bilden.“ Es sind vor allem die Folgen, die das Virus mit sich bringt, die den Vater beschäftigen. Masken, die das Atmen erschweren und den nonverbalen Austausch über die Mimik verhindern. Tests, die oft unangenehm und manchmal nicht aussagekräftig sind. Er spricht von verängstigten Kindern, die mit beidem nicht zurechtkämen. Von Druck auf die Eltern, ausgehend von der Politik. „Die regiert direkt ins Klassenzimmer hinein.“ Schulleitern und Lehrern seien die Hände gebunden, sie dürften nicht frei entscheiden, nicht frei ihre Meinung sagen, sagt N. Wer das tue, gefährde seinen Job. Obwohl er, N., gegen die Schulpflicht verstößt, sei das Verhältnis zwischen ihm, der Schulleitung und den Lehrern nicht schlecht. „Man respektiert sich gegenseitig.“ Denn letztendlich gehe es nicht um die unterschiedliche Meinung von Staat und Eltern, sondern um die Kinder.
Vater nimmt Kind von Schule: „Das mit dem Testen und den Masken wurde uns zu bunt“
Das erste Corona-Jahr hat die Familie noch in der Schule mitgemacht. Lockdown, Homeschooling, dann Maske und Abstand. „Im Frühjahr 2021 haben wir die Reißleine gezogen.“ Das Kind, das eine Grundschule besucht, habe sich verändert, erzählt der Vater. Es habe, während es in der Schule war, seine Aufgaben erfüllt, aber mehr nicht. Die vorher vorhandene Neugier, die Begeisterung, etwas zu lernen, seien weg gewesen. „Und das mit dem Testen und den Masken wurde uns zu bunt.“ Er hat viele Informationen im Internet gesammelt, legt Unterlagen und Verweise auf Meinungen und Untersuchungen als Beleg dafür vor, dass Tests wenig Sinn machen würden, dass manche Tests gesundheitsgefährdend seien, dass Masken die Atmung und die Mimik behinderten. Er hat sich mit anderen Eltern ausgetauscht. „Kinder haben blaue Lippen, einigen wird schwindelig. Da wird das Kindeswohl gefährdet.“ N. spricht von Gruppenzwang, von Angst, von möglichen mittel- oder langfristigen physischen, psychischen, emotionalen Schäden. Von roten Linien, die seiner Ansicht nach überschritten worden seien.
Die Eltern nahmen das Kind aus der Schule. „Nach ein paar Wochen war die Neugierde wieder da. Unser Kind hat sich wieder entfaltet. Hat wieder nachgefragt, wollte Sachen wissen, wollte lernen.“ Denn das, was die Familie boykottiert, ist nicht das Lernen. Es geht um die Pflicht, den Präsenzunterricht zu besuchen. Der sei nicht die richtige Unterrichtsform für alle Kinder, vor allem nicht in der jetzigen Situation, argumentiert der Vater. Kinder, die nicht damit zurechtkämen, müssten die Möglichkeit bekommen, auf anderem Weg das Bildungsziel zu erreichen.
Anfangs, vor allem im Frühjahr bis zu den Sommerferien, seien es eine ganze Reihe von Eltern gewesen, die ihre Kinder nicht in die Schule geschickt hätten. Bis zu den Herbstferien war das auch erlaubt, seitdem wird die Verletzung der Schulpflicht mit einem Bußgeld belegt. Das und „der Druck der Staatsregierung“ sei für manche Eltern zu viel gewesen. „Manche waren mit den Nerven am Ende, ihr Widerstand ist gebrochen.“ Sie würden ihre Kinder wieder in den Unterricht schicken, obwohl sie nach wie vor Bedenken hätten.
Vater spricht von "richtiger Bewegung": Eltern finden sich über Telegram
Andere sind beim Boykott der Schulpflicht geblieben. N. spricht von einer „richtigen Bewegung“, die entstanden sei. Gleichgesinnte finden sich über Telegram, nehmen Kontakt auf, lernen sich kennen und „wenn die Chemie passt“, wird gemeinsam gelernt. „Für viele gibt es kein Zurück mehr ins Schulsystem“, ist N. überzeugt. Ein Satz zwischendurch, der deutlich macht, dass es hier doch um mehr geht als um die Corona-Maßnahmen. Es täten sich nur wenige Kinder zusammen, beschreibt N. Fünf, sechs Mädchen und Jungs, mehr nicht, sonst wird die „Lerngruppe“ zu groß, passt nicht mehr ins heimische Esszimmer. Sind es zu viele Kinder, dann gehe es „raus aus dem privaten Bereich“, es braucht einen „Lernort“, am besten auch einen Lehrer, argumentiert N. Eine illegale Schule und damit erst recht nicht erlaubt. „Das wurde denen bei Miltenberg und in Erlangen leider zum Verhängnis.“
Ihm geht es in diesem Gespräch nicht darum, „gegen etwas“ zu sein, sondern „für etwas“, erklärt er. Die Bildung, das Kindeswohl. Er wolle informieren, aber niemandem seine Ansicht aufdrücken, betont der Mann. Er will, dass die Entscheidung seiner Familie und die von anderen, die ähnlich denken, akzeptiert und nicht bestraft wird. Denn natürlich hatten er und die anderen längst Bußgeldbescheide wegen der Verletzung der Schulpflicht im Briefkasten. „In den letzten beiden Jahren wurde mehrfach Hausunterricht angeordnet und den Eltern wurde dabei ausreichende Kompetenz dafür zugesprochen. Jetzt wird das Ganze als Ordnungswidrigkeit eingestuft.“
Vielen Dank für diesen Artikel. Das sind Berichte, die nur noch ganz karg gesät sind. Und sie tuen so gut. Denn genau dorthin müssen wir zurück finden. Nicht übereinander reden, sondern miteinander. Die Motive des anderen versuchen zu verstehen, anstatt ihn vom hohen Ross herunter zu verurteilen. Hoffen wir, dass wir uns als Gesellschaft wieder aufeinander zu bewegen können.
Liebe Frau Röllinger!
So stelle ich mir Journalismus vor, der alle Seiten beleuchtet und (möglichst wertfrei) über Sachverhalte berichtet. Leider vermisse ich diese Art von Journalismus zunehmend und seit gut 2 Jahren besonders.
Bemerkenswert finde ich, dass Sie sich dafür am Ende sogar noch rechtfertigen bzw beinahe entschuldigen (müssen)!
Unlängst sah ich eine Dokumentation über eine Familie in den Qualitätmedien, die ihre Kinder auch zu Hause unterrichten wollten, aber aus Angst vor Infektion. Daher fand ich Ihren Artikel sehr spannend und die Argumente des Vaters ebenso nachvollziehbar. Danke für Ihren Mut auch einmal eine gänzlich andere Sichtweise auf das derzeitge Schulsystem und die daraus entstehenden Probleme zu geben.
Auch ich habe schulpflichtige Jugendliche, die die ganze Prozedur über diese lange Zeit mittragen. Es ist für mich nach all dem nun angehäuften Wissen immer unverständlicher, weshalb sich Kinder testen lassen müssen UND Masken tragen. Wieso gibt es das in anderen Ländern NICHT, obwohl die Zahlen ähnlich sind?
Warum wird weiter Panik (gerade unter Lehrern) geschürt, statt Entspannung?
Ich würde mich freuen, wenn Sie einmal die Lehrerseite beleuchten könnten und auch da eine ausgewogene Berichterstattung ermöglichen würden. Dankeschön!
Wenn ich ein Kind hätte würde einzig und alleine ICH entscheiden WANN oder OB mein Kind in die Schule geht, aber bestimmt nicht dieser verkorkste Staat mit seinen verkorksten Gesetzen!
Was bilden die sich überhaupt ein wer sie sind