Früher war das Diakonische Werk Kitzingen eigenständig. Im Jahr 2000 kam es zu einer finanziellen Schieflage, der Zusammenschluss mit Schweinfurt erfolgte. Sie wurden 2002 auch Geschäftsführer in Kitzingen. Wie schwierig war es, die Probleme zu lösen? Keßler-Rosa: Auslöser dafür, dass ich Kitzingen mit übernommen habe, waren nicht die Finanzen. Der damalige Geschäftsführer wurde Bürgermeister in seinem Heimatort und hat das Amt bei der Diakonie ziemlich schnell aufgegeben. Es war auch keine Übernahme oder Fusion, die Regionen sind weiterhin selbstständig, so auch Kitzingen. Schweinfurt übernimmt nur die Verwaltung und Geschäftsführung. Der Vorstand vor Ort hat das Sagen. Die Verankerung vor Ort ist uns wichtig, und dass die Leute sagen: „Das ist unsere Diakonie“ – mit unseren Beschlüssen und unserem Geld.
Und wie war das nun mit der Schieflage? Keßler-Rosa: Da muss ich klarstellen: Eine Pleite stand nie zur Debatte. Aber es waren schwierige Jahre und in der Zeit habe ich wirklich schlecht geschlafen. Wir hatten tolle Mitarbeiter vor Ort, es gab immer eine gute Gesprächsebene auch mit Heimleitern und Diakoniestationen. Wunderbare Menschen. Wenn man die hat, dann gelingt es, über die Jahre wieder aus dem Minus rauszukommen. Das haben wir geschafft.
Auch die Aufgabe des Frida-von-Soden-Hauses und der damit verbundene Umzug in das neugebaute Seniorenhaus Mühlenpark waren sicher nicht einfach? Keßler-Rosa: Es ist schmerzlich, wenn man sieht, dass eine Immobilie nicht mehr taugt. Wir haben lange versucht, in dem Gebäude eine Lösung zu finden, aber es ging einfach nicht. Als wir gemerkt haben, dass wir wieder wirtschaftlich stabil sind, haben wir mit einem Architekten und einer Baufirma eine Lösung entwickelt und auf der anderen Mainseite den Mühlenpark errichtet. Vorher lagen unsere beiden Einrichtungen ja recht nah beieinander. Aber vor der Entscheidung gab es schon unendliche Diskussionen. Wichtig war uns, dass wir mit dem Blindeninstitut jemanden gefunden hatten, der das Gelände in Kitzingen weiter für soziale Zwecke nutzt.
Die Senioren haben sich verändert – und ihre Ansprüche auch. Muss sich auch die Seniorenbetreuung ändern? Keßler-Rosa: Natürlich, da hat sich viel entwickelt. Man liegt im Heim nicht von früh bis spät im Bett. Heute wird jeder aktiviert – im Seniorenheim, aber auch in der ambulanten Pflege. Man schaut, was die Leute interessiert und bietet es an. Es gibt Beschäftigungsassistenten, Ergotherapie, Sturzprophylaxe und vieles mehr. Heute sind ja auch viele Leute im Pflegeheim, die früher im Krankenhaus gewesen wären. Und es gibt viel mehr, die unter Demenz leiden. Da braucht es natürlich entsprechende Angebote.
Welche Rolle spielt die Tagespflege? Keßler-Rosa: Die Tagespflege ist mir eine Herzensangelegenheit. Es braucht ein komplettes Konzept der Seniorenbetreuung – vom Seniorennachmittag über die ganze Phase des Älterwerdens bis zur Begleitung beim Sterben. Der Sprung von der ambulanten Pflege einmal pro Woche bis zum Pflegeheim ist groß – diese Lücke kann die Tagespflege schließen. Das gesamte System muss auf bewusste Schritte angelegt sein, die sich am Wunsch des Menschen orientieren, möglichst lange selbstständig zu leben.
Corona scheint aus den Schlagzeilen zu verschwinden. Werden jetzt die Probleme in den Seniorenheimen wieder vergessen? Keßler-Rosa: Erst mal muss ich was Persönliches sagen: Corona war fürchterlich, ganz schrecklich. Dass anfangs so viele Leute gestorben sind, die vielen Infizierten... Ich wollte mich bei den Weihnachtsfeiern im letzten Jahr von den Mitarbeitern verabschieden, aber das ging ja nicht. Damit ging und geht es mir nicht gut. Abgesehen vom Persönlichen: Ich habe erlebt, wie belastet die Mitarbeiter waren, wegen der Schutzkleidung, wegen der Angst, dass sich jemand infiziert. Mir ist noch sehr präsent, mit wieviel Angst wir Tag und Nacht durch die Gegend gelaufen sind. Und die Anspannung ist immer noch zu spüren, die Angst sitzt immer noch im Nacken. Dazu kamen Diskussionen übers Impfen, es gab Streit in den Teams, Freundschaften sind zerbrochen.
Verschwindet mit Corona auch die Anerkennung für die Pflegeberufe? Keßler-Rosa: Das ist zu befürchten. Die Situation in den Heimen und in der Pflege gerät doch jetzt schon wieder aus dem Blickfeld. Ich finde es unmöglich, wie wenig wertschätzend die Gesellschaft mit der Pflege umgeht. Jetzt werde ich nochmal politisch: Bei einer Wahl sollten die Leute darüber nachdenken, wie die Politik mit den alten Menschen umgeht oder mit Kindern und der Erziehung. Und nicht danach wählen, ob es mehr Parkplätze gibt oder weniger. Das ist nicht wichtig.
Das Motto der Diakonie lautet „Gemeinnützige Arbeit und soziales Engagement: Stark für andere“. Wie schwer ist es für denjenigen, der an der Spitze steht, immer stark zu sein? Hat man nicht manchmal einfach genug? Keßler-Rosa: So ist es. Es gab Phasen, in denen ich dachte: Nein, ich will das jetzt nicht. In denen mein Akku leer war. Aber ich habe das dann doch gut weggesteckt. Meine Frau ist Pfarrerin, wir stützen uns gegenseitig. Ich muss auch sagen: Ich bin jetzt 66, habe meine Familie, den Sport und die Musik als Ausgleich. Man muss ja auch bewusst für sich sorgen. Und dann ist es ja auch eine Glaubensfrage. Es hilft, wenn man weiß, dass man nicht allein ist. Ich finde, Gott hat gut auf mich aufgepasst.
Und jetzt steht eben der Ruhestand an. Wird jetzt alles anders in Ihrem Leben? Keßler-Rosa: Nein, ich bin noch zwei Jahre überregional Vorsitzender des Diakonischen Rates in Bayern und biete an, Diakonische Werke in Bayern zu unterstützen. Aber es fühlt sich trotzdem anders an, weil die unmittelbare Last nicht mehr da ist. Ich muss nicht mehr früh auf die Uhr schauen und denken, ich muss los. Darüber freue ich mich.
Abschiedsgottesdienst
Ende Juli wird Pfarrer Jochen Keßler-Rosa nach 30-jähriger Tätigkeit als Leiter der Diakonie in der Region aus dem Vorstand des Diakonischen Werkes Schweinfurt ausscheiden und in den Ruhestand gehen. Seit Januar 2022 ist Carsten Bräumer Mitglied des Vorstands des Diakonischen Werkes Schweinfurt und damit auch neuer Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Kitzingen. Schon an diesem Donnerstag, 12. Mai, wird Jochen Keßler-Rosa um 17 Uhr in der Stadtkirche Kitzingen im Rahmen eines Gottesdienstes aus seinen Aufgaben in Kitzingen verabschiedet. Gäste sind willkommen.