Dose mit Bildern aus der NS-Zeit in Kitzingen entdeckt

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Spektakulärer Fund: Diese Filmdosen wurden im Schloss Ebracher Hof bei Renovierungsarbeiten entdeckt. Sie enthielten rund 600 Bilder aus der Zeit zwischen 1940 und 1943.
Spektakulärer Fund: Diese Filmdosen wurden im Schloss Ebracher Hof bei Renovierungsarbeiten entdeckt. Sie enthielten rund 600 Bilder aus der Zeit zwischen 1940 und 1943.
Siegfried Eschner hat die Bilder aufbereitet und zu einer Ausstellung zusammengestellt.
Siegfried Eschner hat die Bilder aufbereitet und zu einer Ausstellung zusammengestellt.
 

Spektakulärer Fund bei Renovierungsarbeiten. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Im Medienzentrum in Kitzingen.

Es klingt wie im Film: Ein altes Haus wird renoviert, auf dem Dachboden entdeckt man eine kleine Zigarrenkiste. Darinnen elf bunte Dosen mit Filmrollen. Ein Schatz - zumindest für all diejenigen, die sich für die jüngere Kitzinger Geschichte interessieren.

Siegfried Eschner interessiert sich ganz besonders für die jüngere Kitzinger Geschichte und die Zeit des Nationalsozialismus'. Eschner ist der Leiter des Kitzinger Medienzentrums, angesiedelt an der Berufsschule in der Thomas-Ehemann-Straße. Bilder, Texte, Reden: Eschner hatte schon vor dem erstaunlichen Fund etliches an Material, das er vor allem den Schulen im Landkreis zur Verfügung stellt. "Aber diese Filmrollen sind schon etwas ganz Besonderes", sagt er.

Das weiß auch der Juniorchef des Seniorenheims Ebracher Hof in Mainstockheim, Peter Brandner. Dort ist die Zigarrenkiste mit den Filmrollen gefunden worden.
"Wir haben im Zuge der Renovierungsarbeiten ganz alte und dicke Bretter entfernt", erinnert sich Brandner. Schon hinter dem ersten Brett kam eine Aussparung zum Vorschein. Brandner vermutet, dass der ehemalige Besitzer des Ebracher Hofes, hochrangiges Mitglied der NSDAP in Mainstockheim, das Propagandamaterial dort versteckt hatte.

Rot oder orange sind die kleinen Dosen, auf denen ein Stempel der Wehrmacht aufgedruckt ist. Der eigentliche Schatz befand sich aber in den Dosen: Jede Menge Filmmaterial aus den Jahren 1940 bis 1943: Rund 600 Schwarz-Weiß-Diarollen konnte Eschner mittlerweile entwickeln und einscannen. "Da ist Material dabei, das bislang unveröffentlicht war", schwärmt der ehemalige Lehrer, der seit sieben Jahren in Rente ist und das Medienzentrum bereits seit Mitte der 80er Jahre betreut.

Eschner hat die Geschichtswerkstatt und die Uni in Würzburg eingeschaltet. Er wollte die Bilder entschlüsseln und in einen historischen Kontext stellen. Mittlerweile kann er zu beinahe jedem Bild eine Geschichte erzählen.
Am Bahnhof in Marktbreit fuhr beispielsweise einst ein Zug mit Adolf Hitler und seiner Entourage ein. Gailana Hellmuth, die Tochter des Gauleiters Dr. Otto Hellmuth, sollte dem Führer einen Blumenstrauß überreichen. Das Mädchen beging allerdings einen fatalen Fehler. Sie überreichte die Blumen einem Leibwächter, weil sie Hitler nicht erkannte. "Der fuhr auf der Stelle weiter", berichtet Eschner.

Nicht nur bei dieser Gelegenheit ist Hitler schneller aus Mainfranken verschwunden als geplant. Auch die Florian-Geyer-Festspiele in Giebelstadt wollten dem Führer nach Eschners Recherchen nicht so recht gefallen.
Der Werdegang des damaligen Gauleiters kann auch dank der neuen Bilder sehr gut rekonstruiert werden. Dr. Otto Hellmuth wurde in Markt Einers-heim geboren, hatte in Marktbreit eine Zahnarztpraxis und residierte später als Gauleiter in einem mondänen Anwesen in der Rottendorfer Straße in Würzburg. Vorbesitzer war pikanterweise ein Jude. 20000 statt der veranschlagten 100000 Reichsmark musste er dafür bezahlen. "Da fanden dann rauschende Feste statt", erzählt Eschner.

Etliche Gräuel hatte der Gau-leiter mit zu verantworten. 770 behinderte Menschen ließ er beispielsweise aus der Heil- und Pflegeanstalt in Werneck verlegen, um Platz für volksdeutsche Umsiedler aus Bessarabien zu schaffen. Eschner: "Vier Wochen später erhielten die Eltern der Behinderten ein Schreiben. Ihre Kinder waren tot."
Dr. Hellmuth sorgte auch dafür, dass notgelandete oder abgeschossene Piloten der Alliierten im Gau Mainfranken erschossen wurden. Das wurde ihm später zum Verhängnis. Für fünf dieser Morde musste er sich vor dem US-Militärgericht verantworten.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges floh er nach Oberbayern. Seine Spur ist bis in die Berge bei Ruhpolding zu verfolgen. "Er dachte wohl, dass er sich in der Nähe des Führerbunkers am Obersalzberg sicher fühlen kann", vermutet Eschner. "Auch andere Nazis sind dorthin geflohen."

Nach dem Krieg arbeitete Hellmuth wieder als Zahnarzt in Reutlingen. Ende der 60er Jahre beging er Selbstmord. Seine Asche war auf dem Marktbreiter Friedhof begraben, längst ist das Grab aufgelassen.
Der ehemalige Gauleiter Mainfrankens steht im Mittelpunkt der Fotoausstellung "Verbohrt bis zuletzt", die derzeit im Medienzentrum zu sehen ist. Etliche Bilder zeigen auch Kitzingen und seine Stadtteile während der Zeit des Naziregimes.

Die Leiterin des Kitzinger Stadtarchivs, Doris Badel, hat die Bilder noch nicht gesehen, hofft aber auf einen Austausch. "Die Quellen über die Zeit des Nationalsozialismus' in Kitzingen sind eigentlich recht gut", informiert sie. "Es gibt Ratspro-tokolle und die Kitzinger Zeitung hat erst im Oktober 1943 ihre Produktion wegen Papiermangels eingestellt." Historische Bilder aus den 1940er Jahren gibt es allerdings nur wenige.Der Fund aus Mainstockheim könnte sich auch für das Archiv wie ein Film anfühlen.



Öffnungszeiten: Das Medienzentrum in Kitzingen ist Montag, Mittwoch und Donnerstag, von 12 bis 17 Uhr und Dienstag von 14 bis 17 Uhr geöffnet.
Medienbestand: Vorrätig sind unter anderem 3302 Videos (VHS), 1210 DVDs, 123 Medienpakete und zehn Landkreisquartette.
Aufgabe: Ankauf und Verleih von Filmen, die ein Thema kurz, klar strukturiert und wissenschaftlich und didaktisch seriös darstellen.