Dolch-Prozess: Der Tatort-Zeuge ist untergetaucht

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Zweiter Verhandlungstag im Kitzinger "Dolch-Prozess": Der einzige Mann, der den Vorfall aus nächster Nähe beobachtet hat, ist nicht auffindbar. Wahrscheinlich ist er auch gar keine Hilfe. Er ist dem Alkohol nicht abgeneigt.

Im Prozess gegen einen 60 Jahre alten Kitzinger, der seinem Sohn mit einer Dolch in den Brustkorb gestochen und dabei dessen Tod "in Kauf genommen" haben soll, ist ein wichtiger Zeuge, der am Tatort war, verschwunden: Das Schwurgericht in Würzburg hat am ersten Verhandlungstag vergebens auf ihn gewartet, für Mittwoch Festnahme und Vorführung des 33-Jährigen durch die Polizei angeordnet, doch der Zeuge ist untergetaucht.
"In Kitzingen kennt den jeder,", hat der Angeklagte einmal bei einer Vernehmung gesagt, "weil er nie arbeitet und eigentlich immer betrunken ist." Daher ist fraglich, ob der einzige unmittelbare Tatzeuge dem Gericht wirklich weiter helfen kann - falls ihn die Kitzinger Polizei aufstöbert.

Noch steht die Frage im Raum, ob der Einsatz einer Deko-Waffe - in der Anklage steht Zier-Dolch, aber bei einer Klingenlänge von 51 Zentimeter ist durchaus der Begriff Schwert zu vertreten - ein versuchtes Tötungsdelikt war oder nur ein Unfall. So haben es Täter und Opfer - Vater und Sohn - übereinstimmend am ersten Verhandlungstag beschrieben.
Zu einer Nachbarin soll der verschwundene Zeuge gesagt haben, er sei zwar bei der Stecherei neben dran gestanden, habe aber nichts davon mitbekommen, weil er so betrunken war. Sein Promillewert lag mit knapp 3,5 erheblich über dem des Angeklagten, seines Sohnes und der Ehefrau und Mutter.
Fest steht seit gestern, nach dem psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr. Jörg Groß, dass die Sache mit der Deko-Waffe nichts zu tun hat mit der Diabetes-Erkrankung des 60-Jährigen und einer möglichen "Blutzucker-Entgleisung". Bei dem Angeklagten liege auch keine Alkoholabhängigkeit vor, die stationär im Rahmen einer Unterbringung in einem Krankenhaus behandelt werden müsste. Zur Tatzeit hatte der Angeklagte mehr als 2,5 Promille.
Von seinen Landsleuten unterscheidet sich der 60-Jährige dennoch in einem Punkt. Das berichtete zumindest eine Zeugin. Das Wohnviertel in Kitzingen nennen die Bewohner demnach "Klein-Moskau". "Und die trinken dort oft und viel." Der Angeklagte würde auf seinen alten Tage aber nicht mehr zu Wodka greifen, sondern meist zu Bier. Außerdem konsumiere er Alkohol nicht in so großen Mengen wie seine Umgebung.
Der Gutachter kam zu dem Schluss, dass seine Schuldfähigkeit zur Tatzeit nicht aufgehoben war, seine Steuerungsmöglichkeit aber erheblich eingeschränkt gewesen sei.
Der Zeuge, auf den das Schwurgericht wartet, ist ein guter Bekannter des "Opfers". Er soll der Auslöser dafür gewesen sein, dass der Angeklagte überhaupt erst ausgerastet ist: Der Zeuge ist nach Ansicht des Vaters dafür verantwortlich, dass sein Sohn so viel trinkt. Der Sohn ist bereits 36 Jahre alt, wohnt aber immer noch bei den Eltern in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung.
Deswegen habe er beide an jenem Sonntagnachmittag im September vergangenen Jahres aus der Wohnung rausschmeißen wollen und dazu die Waffe von der Wand geholt, um etwas Druck zu machen. Darauf habe der Sohn sauer reagiert und gesagt, er könne sich seine Freunde selbst wählen und mit nach Hause bringen, wenn er will. Als der Sohn dem Vater die Waffe abnehmen und ihn beruhigen wollte, sollen beide zu Boden gegangen und der Sohn dabei in die Schwert-Spitze gefallen sein.
Ohne Alkohol, da gab der Gutachter dem Angeklagten recht, wäre es nicht zu der Tat gekommen. Nach zwei Verhandlungstagen spricht einiges dafür, dass aus dem angeklagten versuchten Tötungsdelikt eine gefährliche Körperverletzung werden könnte. Am Freitag wird die Verhandlung fortgesetzt.