Wegen Körperverletzung durch Unterlassung steht in dieser Woche ein 46 Jahre alter Kaufmann in Würzburg vor Gericht. Ursprünglich wollte er von der 97-jährigen Frau adoptiert werden, die er grob vernachlässigt hat.
Sein Interesse an einer pflegebedürftigen 97-Jährigen, deren Sohn er kurz vorher noch werden wollte, habe stark nachgelassen, als die Adoption vor Gericht gescheitert war. Zumal sich herausstellte, so die Staatsanwaltschaft, dass das Vermögen der einst wohlhabenden "Zweit-Mutter" aus USA bereits ziemlich verbraucht war.
Der Gesundheitszustand der Witwe, die nach zwei Ehen und 50 Jahren in den USA in ihre Heimatstadt Würzburg zurückgekehrt war, habe sich im vergangenen Jahr deutlich verschlechtert, sie sei pflegebedürftig geworden und habe, als Folge schlechter Lagerung, zunehmend unter sehr schmerzhaften Druckgeschwüren gelitten.
Der Mann, der im Adoptionsverfahren noch mit "inniger familiärer Beziehung" zu der Frau argumentierte hatte, die er vor langer Zeit schon als Vermieterin kennenlernte, habe dann, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, trotz der deutlichen Hinweise einer Hausärztin, unter anderem auf den Verdacht einer Lungenentzündung, nichts unternommen. Möglicherweise spielte dabei eine Rolle, dass die Witwe, der in der Würzburger City ein Mehrfamilienhaus gehörte, nicht krankenversichert war.
Im August 2011 war die 97-Jährige gestorben. Kurz vor dem Einäschern im Schweinfurter Krematorium konnte die Staatsanwaltschaft gerade noch die Leiche sichern: Die Frau lag im Schlafanzug im Sarg, in Windeln eingepackt, vom unsachgemäßen Liegen am Ende ihres Lebens schwer gezeichnet. Bei rechtzeitiger Einweisung in ein Krankenhaus oder Pflegeheim wären ihr die Schmerzen erspart geblieben, sagen die Ermittler.
Richter lehnen Adoption ab Nacheinander hatten Richter in drei Instanzen etwas dagegen, dass die einst vermögende Witwe den verheirateten Kaufmann adoptiert: Angesichts einer fortschreitenden senilen Demenz, so einer der Gründe, könne die alte Dame die Bedeutung einer solchen Entscheidung nicht mehr erkennen.
Außerdem wurde vermutet, dass mit der Adoption in erster Linie die Erbschaft der Witwe geregelt werden solle. In dem Adoptionsfall hatte zuletzt der 31. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München im April 2010 Beschwerden gegen ablehnende Entscheidungen des Amts- und Landgerichts Würzburg zurückgewiesen: Für die sittliche Berechtigung der Adoption komme es vorwiegend auf die Herstellung eines echten Eltern-Kind-Verhältnisses an, einer engen Beziehung, die unter Erwachsenen wesentlich durch eine auf Dauer angelegte Bereitschaft zu gegenseitigem Beistand geprägt ist. Andere, nicht familienbezogene, vor allem wirtschaftliche Motive dürften nicht ausschlaggebender Hauptzweck der Adoption sein.
Witwe wollte zurück Der Kaufmann, der mit Zustimmung seiner Ehefrau und seiner beiden minderjährigen Kinder gern noch einmal Sohn geworden wäre, hatte von einem über viele Jahre gewachsenen, persönlichen Vertrauensverhältnis zu der Hausbesitzerin gesprochen, die regelmäßig aus den USA nach Würzburg gekommen war und zuletzt auch wieder hier ihren Wohnsitz auf Dauer genommen hatte. Seitdem habe es täglich einen dem leiblichen Eltern-Kind-Verhältnis vergleichbaren persönlichen Kontakt zu der alten Frau gegeben unter Einbeziehung seiner Familie, mit gegenseitigem Besuch insbesondere an Festen und Geburtstagen.
Die Witwe sei seit Jahren täglich mit warmem Essen versorgt und darüber hinaus von ihm und seiner Familie unentgeltlich unterstützt worden, durch Vorlesen aus der Zeitung, Erledigung von Besorgungen, Begleitung zu Arztterminen oder Fahrten zu Freunden. Zwischen den Beteiligten sei bereits eine ernsthafte, über die persönliche Hilfeleistung hinausgehende familiäre Beziehung entstanden, die sich sicher auch künftig nicht mehr ändern werde.
Dann war dem Kaufmann oder seinem Anwalt offensichtlich ein für ihn wenig hilfreicher Satz herausgerutscht: Infolge der Adoption würde sich die "transfersteuerliche Belastung" bei etwaigen künftigen Zuwendungen der Witwe an ihn verringern; dies stelle jedoch nicht das bestimmende Motiv des gemeinsamen Antrags dar.Bei den gerichtlichen Anhörungen sei, so die Entscheidungen der Zivilgerichte, der Eindruck entstanden, dass es in dem Adoptionsverfahren ausschließlich um die künftige Erbfolge gehe. Man habe den Eindruck gehabt, dass die alte Frau Sinn und Zweck einer Adoption überhaupt nicht begreife. Eine Gutachterin war zu dem Schluss gekommen, dass die Witwe aufgrund Demenz im Übergangsbereich zwischen einer leichten und mittelschweren Ausprägung nicht mehr in der Lage sei, die Tragweite und Auswirkungen einer Adoption eigenverantwortlich zu erkennen und nach ihrem Willen zu handeln.
Weder eine örtliche noch eine persönliche Verwurzelung in Würzburg sei bei der Anhörung der Seniorin zu erkennen gewesen, so die Richter. Entscheidend war für die alte Frau, dass sich jemand um ihr Anwesen bemühe und es verwalte. Die Richter des Oberlandesgerichts München waren damals der Überzeugung, dass der Kaufmann der Witwe innerlich nicht sehr nahe stehe, an einer inneren Verbundenheit bestünden jedenfalls erhebliche Zweifel. Es seien auch keine Anhaltspunkte erkennbar, so die Richter, dass die Witwe die ernsthafte Absicht habe, eine Beziehung zu dem Mieter zu entwickeln, die der zwischen Eltern und Kindern gleiche. Sie habe es vielmehr selbst als lächerlich bezeichnet, dass sie noch einmal eine solche nahe Beziehung wie eine Mutter zu einem "erwachsenen Kind" eingehen wolle.