Das Amtsgericht verhandelte gegen einen 44-jährigen Alkoholkranken, der seine Nachbarn terrorisiert.
"Wir halten es einfach nicht mehr aus, es ist seit Jahren kein normales Leben mehr. In unserem eigenen Haus haben wir massive Angst!" Emotional aufgewühlt, mit verzweifelter und brüchiger Stimme schilderte eine 49-jährige Angestellte, wie ihr alkoholkranker Nachbar sie seit Jahren terrorisiert. Neben ständigen Beschimpfungen droht er immer wieder an, sie umbringen zu wollen. Und da der Mann (44) dafür bekannt ist, nicht lange zu fackeln, nehmen sie das ernst und leiden unsäglich unter dieser für sie unerträglichen Situation. Die jüngste Anklage beim Amtsgericht in Haßfurt wegen Bedrohung und Hausfriedensbruch gegen den 44-Jährigen wurde unterbrochen, um ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Dadurch soll geklärt werden, ob der 20-fach (!) Vorbestrafte überhaupt schuldfähig ist und ob es eine Chance gibt, dass er seine Suchterkrankung und damit sein Leben durch eine Langzeittherapie in den Griff bekommt.
Viele Delikte
Seitens der Staatsanwaltschaft legte Ilker Özalp dem Hilfsarbeiter folgende Sachverhalte zur Last: Im Juni, Juli und September letzten Jahres soll er etliche Anwohner übel beschimpft und angedroht haben, eine Knarre zu holen und alle umzulegen. Zwei dieser drei Vorfälle räumte der Angeklagte, dem als Pflichtverteidiger Wolfgang Heinrich zur Seite gestellt wurde, ohne Umschweife ein. Den dritten Vorwurf, der sich bei einem Kirchweihfest abspielte, stritt er ab. Möglicherweise weiß er bloß deswegen nichts mehr davon, weil er damals auf gut deutsch sternhagelblau war.
Höchst aufschlussreich beleuchten die 20 Einträge in seinem Bundeszentralregister die unrühmliche kriminelle Karriere des Mannes. Neben etlichen anderen Delikten stand der Delinquent immer wieder wegen Trunkenheit im Verkehr und wegen Körperverletzungen vor dem Kadi. Und immer wieder wanderte er deswegen in den Knast. Zum Zeitpunkt der jetzigen Anklagepunkte stand er unter zweifacher Bewährung. Bei einem Schuldspruch kommt da eine erneute "zweite Chance" nicht mehr in Betracht, sondern es ist Schicht am Schacht, wie sich Strafrichterin Ilona Conver ausdrückte.
In der Verhandlung wurde überdeutlich, dass die ständigen Straftaten des Mannes nur im Kontext mit seiner Alkoholkrankheit nachvollziehbar sind. Sein Bewährungshelfer wies auf "miserabelste Familienverhältnisse" hin, unter denen der Straftäter aufgewachsen sei.
Stationäre Therapie?
Bei den Gesprächen mit ihm sei der Angeschuldigte stets kooperativ gewesen, und er schilderte seinen Eindruck, dass er im Grunde Hilfe suche. Auf die weitere Entwicklung blickend, hielt der Bewährungshelfer abschließend eine stationäre Therapie für die einzige Chance, die der Alkoholiker habe, "um das Ruder noch herumzureißen".
Auf Antrag des Rechtsanwalts und mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft unterbrach die Vorsitzende nach eineinhalb Stunden den Prozess. Dieser soll fortgesetzt werden, wenn das von einem Psychiater zu erstellende Gutachten vorliegt. Dann muss entschieden werden, inwieweit der Mann aufgrund seiner Alkoholkrankheit steue-rungs- und einsichtsfähig und damit im strafrechtlichen Sinne schuldfähig ist. Wird nämlich eine Schuldunfähigkeit - früher sprach man von Unzurechnungsfähigkeit - festgestellt, kann jemand nicht bestraft werden. Allerdings kann er dann im Sinne einer ultima ratio (letztes Mittel) in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden, um die Allgemeinheit vor dem Mann zu schützen.