"Populistische Politik auf dem Rücken junger Menschen": Freundeskreis Asyl mit deutlicher Kritik am Freistaat

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Christina Bendig und Katharina Schmidt (hinten in der Mitte) engagieren sich mit dem Freundeskreis Asyl ehrenamtlich für Geflüchtete. Das Bild entstand im Herbst 2019. Damals nahmen Ehrenamtliche und Geflüchtete an einem Workshop unter dem Titel "Wie wollen wir leben?" in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg teil. Die Fahrt wurde über das Bundesprogramm "Demokratie leben!" finanziert. Foto: Freundeskreis Asyl Hofheim
Christina Bendig und Katharina Schmidt (hinten in der Mitte) engagieren sich mit dem Freundeskreis Asyl ehrenamtlich für Geflüchtete. Das Bild entstand im Herbst 2019. Damals nahmen Ehrenamtliche und Geflüchtete an einem Workshop unter dem Titel "Wie wollen wir leben?" in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg teil. Die Fahrt wurde über das Bundesprogramm "Demokratie leben!" finanziert. Foto: Freundeskreis Asyl Hofheim

Seit 2014 gibt es den Freundeskreis Asyl Hofheim. Christina Bendig und Katharina Schmidt sind seit Gründung des Vereins dabei. Sie blicken im Gespräch auf die Anfangszeit zurück und erklären, warum zur Arbeit des Vereins weit mehr gehört als das Beschaffen von Fahrrädern.

Der Sommer 2015: Tausende Menschen strömen nach Deutschland. Sie sind auf der Flucht vor Krieg, Zerstörung und katastrophalen Lebensumständen in ihren Heimatländern. Viele der Geflüchteten kommen aus Syrien, wo seit 2011 Krieg herrscht. In Deutschland löst der Zustrom eine große Welle an Hilfsbereitschaft aus. Vor Ort finden sich zahlreiche Freiwillige zusammen und gründen Helferkreise.

Bereits ein Jahr zuvor hatte man in Hofheim die Entwicklung kommen sehen und dort den Freundeskreis Asyl gegründet. Im Gespräch mit dem Fränkischen Tag erinnern sich die jetzige Vorsitzende Christina Bendig und Vorstandsmitglied Katharina Schmidt an den Sommer 2015. Sie berichten davon, wie sich die Arbeit des Vereins mit den Jahren verändert hat, und erklären, dass es dem Verein um mehr geht als bloße Unterstützung im Alltag. Auch Kritik am Vorgehen der bayerischen Regierung wird dabei laut.

Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an den Sommer 2015 zurückdenken?

Katharina Schmidt: Ich weiß noch, dass ich Anfang August für zwei Wochen im Urlaub war. Als ich zurückkam, war die Dreifach-Turnhalle in Haßfurt plötzlich eine Außenstelle der Schweinfurter Erstaufnahme-Einrichtung. Ein junger Mann, aus der ersten Familie, die wir in Hofheim betreut haben, war dort plötzlich als Helfer im Einsatz. Er spricht Kurdisch und Arabisch, und konnte zu dem Zeitpunkt auch schon echt gut Deutsch. Das war ein richtiger Gänsehautmoment für mich, als ich gesehen habe, dass er, der selbst als Geflüchteter nach Deutschland gekommen war, nun den Neuankommenden hilft.

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Den Freundeskreis Asyl gibt es, anders als man vielleicht erwarten könnte, schon seit 2014. Wie kam das?

Schmidt: Im Herbst 2013 sank vor der Mittelmeer-Insel Lampedusa ein Schiff mit mehreren Hundert Geflüchteten an Bord. Eine humanitäre Katastrophe. Viele waren damals über diesen Wahnsinn erschrocken, dass Menschen an den Grenzen Europas zu Hunderten ertrinken.

Christina Bendig: Erschreckend ist auch, wie sehr man sich inzwischen an solche Meldungen gewöhnt hat. Das Unglück vor Lampedusa gab mit den Startschuss für die Gründung unseres Vereins.

Schmidt: Auch der Krieg in Syrien ist ja bereits 2011 ausgebrochen. Es war also absehbar, dass Geflüchtete zu uns kommen werden.

Bendig: Die Dynamik mit der sich im Sommer 2015 dann alles entwickelt hat, hatte natürlich etwas Schlagartiges. Dass es den Freundeskreis zu diesem Zeitpunkt bereits gab und wir schon Erfahrungen gesammelt hatten, war ein großer Vorteil.

Wie haben sich die Aufgaben verändert, die Sie als Freundeskreis übernehmen?

Bendig: Anfangs ging es in erster Linie um Themen wie etwa die Versorgung mit Essen oder Kleidung, um den Deutsch-Unterricht, Fahrten zum Arzt oder den Kontakt zu Ämtern wie dem Jobcenter oder dem Sozialamt. Das waren im Grunde alles Verwaltungsgeschichten, die sich recht griffig und organisierbar gestalteten.

Schmidt: Fahrräder waren damals auch ein Riesenthema. (lacht) Heute sind unsere Aufgaben komplett anders. Ich habe zum Beispiel gerade erst zwei jungen Männern aus Afghanistan geholfen, die ihre Ausbildung in der Sozialpflege abgeschlossen haben. Von der Ausländerbehörde mussten sie sich nun eine Genehmigung einholen, um für ein Altenheim arbeiten zu dürfen. Gerade in Bayern ist das oft schwierig. Vielen jungen Geflüchteten liegen teilweise sogar mehrere Angebote für eine Ausbildung vor und die Ausländerbehörde lehnt diese einfach ab. So wird der Abschiebestopp, der für die dreijährige Ausbildung und zwei anschließende Berufsjahre gilt, faktisch ausgehebelt. Das hat im Vergleich zu den Aufgaben, die sich in der Anfangszeit gestellt haben, natürlich ein anderes Niveau.

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Bendig: Ein wichtiges Ziel unserer Arbeit war es von Anfang an auch und ist es noch, für eine kulturelle Annäherung zu sorgen und Kontakte zwischen den Neuankommenden und der hiesigen Bevölkerung herzustellen.

Schmidt: Wir wollen auch die Geflüchteten mehr mit den politischen Gegebenheiten hierzulande vertraut machen. So hatten wir zum Beispiel einen Workshop zum Thema "Was ist Demokratie?" oder waren mit einer Gruppe von Jugendlichen im ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg. Nicht zuletzt, ist auch die Vereinsarbeit ein Thema. Wir sind solche Vereinsmeier in Deutschland. Hier ist jedem Kind klar, was ein Verein ist. In anderen Kulturen ist das nicht so. Viele der Geflüchteten wussten zum Beispiel nicht, dass wir für unsere Arbeit im Verein nicht bezahlt werden.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Vereinsarbeit ausgewirkt?

Bendig: Uns ist durch Corona, so wie im Grunde allen anderen Vereinen auch, viel weggebrochen. Eines der wesentlichen Themen in der Vereinsarbeit ist ja die Begegnung mit anderen Menschen, welche plötzlich in der gewohnten Form nicht mehr möglich war.

Schmidt: Unser Café Diwan hat sehr gelitten. Es ist in Zeiten von Corona quasi nicht bespielbar. Das Café war bisher ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt, ohne den sich unsere Vereinsarbeit sicher nicht so entwickelt hätte. Wir hatten durch die Räumlichkeiten, die uns dankenswerterweise von der Gemeinde zur Verfügung gestellt wurden, die Möglichkeit, uns spontan zu treffen. Wir haben dort nicht nur den Deutsch-Unterricht und die Hausaufgaben-Betreuung organisiert, sondern auch ein Sonntagscafé, gemeinsame Filmabende, Frauen- und Männerrunden, Frühstückstreffen oder zum Beispiel unsere Nikolausfeier.

Bendig: Für den Deutsch-Unterricht haben wir im Juli ein aufwendiges Hygiene-Konzept erarbeitet, was sich mit dem zweiten Lockdown jetzt allerdings schon wieder erledigt hat. Ich könnte mir aber vorstellen, dass der Online-Unterricht auch ein Konzept für die Zukunft sein kann. Zum Beispiel könnten sich Frauen mit Baby von zuhause aus zuschalten und so weiterhin am Unterricht teilnehmen.

Sie sind beide seit der Gründung des Vereins an Bord. Warum engagieren Sie sich ehrenamtlich in der Asylarbeit?

Bendig: Ganz einfach, weil es Spaß macht.

Schmidt: Das ist auch das Erste, was mir einfällt. (beide lachen) Wir haben uns zum Beispiel vor vier Wochen in einer kleinen Runde aus Syrern, Afghanen und Deutschen zum Putzen im Café Diwan getroffen. Jetzt ist Putzen ja etwas, was man normalerweise nicht so gerne macht. Aber ich habe mich richtig darauf gefreut und wir hatten einen Haufen Spaß miteinander. (lacht) Es sind auch viele Freundschaften mit anderen Vereinsmitgliedern entstanden, was eine unglaubliche Bereicherung ist. Man trifft in einem Verein ja auf ganz unterschiedliche Menschen, mit denen man sonst gar keine Berührungspunkte hätte.

 

Bendig: Was denke ich viele von uns antreibt, ist auch, dass wir eine Arbeit leisten, die unbedingt notwendig ist. Es geht dabei darum, andere zu unterstützen - jenseits der Beschaffung von Fahrrädern. Das fängt beim Deutsch-Unterricht an geht über die Bildung für Kinder bis hin zu einem näheren Aneinanderrücken verschiedener Religionen. Für mich persönlich ist es ein bisschen von Allem. Es bereichert einen einfach, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die ganz unterschiedliche Hintergründe haben.

Gibt es etwas, dass Sie rückblickend anders machen würden?

Bendig: Puh, das ist eine schwierige Frage. (überlegt kurz) Nein, ich denke nicht, was nicht heißen soll, dass es immer einfach war. Wir haben mitunter viel und kontrovers diskutiert, wenn es zum Beispiel um die Ausrichtung des Vereins ging. Was ich mir aber für die Zukunft wünschen würde, wäre wieder etwas mehr Öffentlichkeit für die Vereinsarbeit und das Thema an sich, denn das Fluchtgeschehen ist ja nicht weniger geworden. Es hat nur etwas an Dramatik und damit an Öffentlichkeit verloren.

Schmidt: Wir haben zum Beispiel erst neulich einen Brief von Staatsministerin Dorothee Bär erhalten, in dem sie die Arbeit unseres Vereins lobt. Das hat uns natürlich gefreut. Allerdings agiert die Politik sehr doppelbödig. Denn gleichzeitig hat Bayern erst vor Kurzem wieder einen Abschiebeflug nach Afghanistan genehmigt - was unter den aktuellen Corona-Bedingungen noch bedenklicher ist als ohnehin schon. Ich finde es ungeheuerlich, dass der Freistaat sich so positioniert. Das sind junge, gut ausgebildete und integrierte Männer, die bei uns als Bäcker, Maler oder Pfleger dringend benötigt würden. Hier wird populistische Politik auf dem Rücken junger Menschen betrieben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel traf im Sommer 2015 die Aussage "Wir schaffen das". Haben wir es denn geschafft?

Bendig: Die Aussage der Bundeskanzlerin lässt sich aus mehreren Perspektiven beleuchten. Da ist zum Beispiel die Versorgung der Geflüchteten, das haben wir geschafft. Es hat uns, anders als von manchen vorhergesagt, nicht wirtschaftlich in die Knie gezwungen. Was wir vielerorts noch nicht geschafft haben, ist, die Menschen wirklich zu integrieren. Hier gilt es für mehr Schnittmengen und Nähe zu sorgen. Das wird ja schon seit vielen Jahren verpasst, eigentlich schon seit den 1960er-Jahren als die ersten Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland kamen. Nicht zuletzt, müsste man sich weltweit engagieren, damit die Menschen in ihren Heimatländern menschenwürdigere Umstände vorfinden und ohne Gefahr für Leib und Leben dort bleiben können. Und wir sollten uns als Gesellschaft fragen, wie wir es schaffen, weltoffen genug zu sein und dies auch zu bleiben.

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