Die Kinder-und Jugendhilfe St. Josef möchte im Herbst ein Wohnprojekt für jugendliche Flüchtlinge starten. Die Anwohner haben nicht nur Sorgen, wenn sie an ihre neue Nachbarn denken, für sie stellt sich auch die Frage: "Kann das Eltmann überhaupt stemmen?".
Es steckt mehr dahinter. Mehr als "wir haben sowas schon in Eltmann". Und es habe auch nichts mit der "Asylsache" an sich zu tun. Drei Familien beziehungsweise sechs angrenzende Haushalte sitzen stellvertretend für die Anwohner der Galgenleite in Eltmann um einen Tisch: aufgebracht, mit Notizzetteln vor sich liegend, damit weder Fakten durcheinander geraten, noch etwas vergessen wird. Es geht um ein Wohnprojekt der Kinder-und Jugendhilfe St. Josef, bei dem zehn jugendliche Flüchtlinge im Alter von 15 bis 18 Jahren künftig in einem extra dafür umgebauten Haus in der Galgenleite leben sollen. Denn es kommen immer mehr minderjährige Flüchtlinge ohne ihre Eltern - alleine - ins Land, die nach deutschem Recht betreut werden müssen.
Was in den nächsten eineinhalb Stunden besprochen wird, könnte schnell missverstanden werden. Aber es müsse endlich angesprochen werden, sagen die Anwohner. Denn da ist dieses beklemmende Gefühl, das die in der Runde anwesenden Menschen in ihrem Alltag belastet: "Wir haben Angst", sagt eine Frau. Sie und die anderen wollen aus Angst vor Anfeindungen nicht namentlich genannt werden. Sie wollen anonym bleiben. Eine Unterschriftenliste gegen das Vorhaben der Kinder-und Jugendhilfe liegt auch vor. "Alle, wirklich alle, haben unterschrieben", sagt die Frau. Die Anwohner sind überzeugt, dass die Meinung, die an diesem Tisch vertreten wird, alle Bewohner der Galgenleite vertreten.
Sie sagen, dass sie Angst vor dem haben, was kommt, wenn in dem Haus, das die Caritas Haßberge gekauft hat, "unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge" einziehen würden. Und: Angst davor, als ausländerfeindlich abgestempelt zu werden.
Konzept der Caritas Freche Antworten, ungekehrte Straßen, laute Musik, Polizeieinsätze am Wochenende und in der Nacht: Es sind konkrete Ängste und leider auch persönliche Erfahrungen, wie eine Familie aus den letzten Jahren berichten kann, die die Bedenken der Anwohner schüren, wenn bald "problematische Jugendliche in der Nachbarschaft" in dem ruhigen Wohngebiet leben würden.
Drei Projekte gibt es in Eltmann schon. Direkt neben einem, das in diesem Fall nichts mit der Caritas oder Jugendhilfe zu tun hatte, hat ein Anwohner und seine Familie aus der Galgenleite gewohnt. Dann sind sie von dort weg, umgezogen. Damit es ruhiger um die Familie wird. Heute deute alles darauf hin, dass ihnen schon bald wieder ein ähnliches Projekt vor die Haustüre gesetzt wird.
Neue Nachbarn sollen sich vorstellen Wie, wer, wann - immer wieder unterstreichen die Anwohner, dass sie sich gewünscht hätten, dass sie von der Stadt oder der Caritas rechtzeitig und offen in das Vorhaben eingeweiht worden wären. "Ein neuer Nachbar stellt sich erstmal vor. Das macht man einfach so", sagt ein Mann.
Ende Juli wurden die Anwohner stutzig, als sie - wie sie ihr persönliches Empfinden schildern - zwischen Tür und Angel ein Papier unterschreiben sollten, das ihnen eine Caritas-Mitarbeiterin vorbeibrachte. "Bauantrag mit Nutzungsänderung" stand oben drüber. Was sich hinter dieser Nutzungsänderung verbirgt, sei bis heute nicht geklärt. "Inhalte kennt keiner", klingt es aus der Ecke. Es wird unruhig am Tisch, alle quasseln durcheinander, umher fuchtelnde Arme unterstreichen die Entrüstung der Anwohner. Ihnen sei nur bekannt, dass die Stadt alleine über die Nutzungsänderung entscheide. Ein Bauantrag muss zwar im Voraus den anliegenden Nachbarn vorgelegt werden, unterschreiben diese aber nicht, bedeutet das eigentlich nur, dass sich der bürokratische Vorgang verzögert.
Gespräch um 21 Uhr Erst auf Nachhaken, wie die Anwohner sich erinnern, fand der Leiter der Kinder- und Jugendhilfe, Martin Gehring, Zeit für ein Gespräch. An einem Sommerabend - spät, wenn Frühaufsteher oft schon an Schlaf denken, um 21 Uhr. "Wir haben nach einem Konzept gefragt", sagt ein Anwohner. "Immer und immer wieder." Statt mit Fakten wollte sie Gehring, wie es die anwesenden Familien empfanden, mit der Anwesenheit von vier Musterschülern aus seinen laufenden Projekten beschwichtigen. "Sie sprachen gut deutsch und machten eine Ausbildung ", sagt eine Frau.
Darum ging es den Anwohnern bei diesem ersten, offiziellen Treffen mit Martin Gehring aber wohl nicht, wie sie erklären: "Auf die Frage nach dem Konzept haben wir nur zu hören bekommen: 'Wer weiß schon, was in den nächsten Jahren ist'...", sagt einer. Martin Gehring vom "St. Josef" hat sich trotz mehrfacher Bitten der Redaktion zu den Vorwürfen der Anwohner nicht geäußert. In den Köpfen der Anwohner haben sich viele Aussagen der Verantwortlichen eingebrannt, keine davon scheint sie aber wirklich beruhigt haben: "Die versprechen immer alles, fordern Verständnis, und was, wenn sich die Investition gerechnet hat, was kommt dann?"
Grundstück war sehr teuer Hier spricht ein Anwohner den finanziellen Hintergrund an. Zwei Männer am Tisch können mit Bestimmtheit sagen, dass das Grundstück für 260 000 Euro, anfangs sogar für 285 000 Euro, auf dem freien Markt war. "Das Haus wurde 1955 gebaut. Seitdem wurde daran nichts mehr gemacht. Was die jetzt dran ausbessern, wird provisorisch zusammengeschustert", sagt eine Frau. "Wir wollen der Caritas nichts unterstellen, aber irgendwie müssen die ja auch schwarze Zahlen schreiben", erklärt einer, der im Berufsalltag mit Konzepten zu tun hat.
Den Anwohnern ist zwar bewusst, dass es Zuschüsse und vorgesehene Mittel für derartige Projekte gibt, doch bezweifeln sie, dass das großflächige Grundstück um die Immobilie herum, nicht doch auch noch verwendet wird: "Was, wenn die hier noch Container aufstellen, dann sind hier mit einem Schlag 30 Jugendliche mehr untergebracht", befürchtet eine Mutter. Der Runde ist klar: "Es gibt kein langfristiges Konzept. Weil sich dann in den nächsten Jahren keiner darauf berufen kann."
Auch mit einer Asylbewerber-Familie könnten sich die Anwohner anfreunden, wie vor allem die Frauen sagen, um klarzustellen, dass es nicht darum geht, ausländische Flüchtlinge in die Nachbarschaft aufzunehmen. Aber "bei diesem Wohnprojekt ist Ärger vorprogrammiert", sagt ein Mann.
Ein anderer Vorschlag, den die Anwohner dieser Runde auch Gehring im Gespräch unterbreiteten: "Wir nehmen die vier 'Musterschüler', die können die Neuen ein bisschen an die Hand nehmen und sich gegenseitig integrieren."
Kaum eine Chance dagegen In ihren Augen sind die Verantwortlichen des Wohnprojektes den Sorgen der Anwohner, oder "den Bedenken einzelner Personen", wie ein Mann es am Tisch formuliert, immer nur mit Floskeln ausgewichen.
"Herr Gehring meinte zu mir, dass ich den sozialen Aspekt erkennen müsse. Dass nicht die finanziellen, sondern die inneren Werte wichtig sind", sagt einer der Männer und kann seine Wut und Enttäuschung nicht mehr im Tonfall unterdrücken: "Als ob sich das Projekt für die Caritas am Ende nicht wirtschaftlich rechnen muss", sagen die Anwohner.
"Es geht alle Eltmanner an, dass hier undurchsichtig geplant wird." Doch das Einzige was die verärgerten Anwohner im Alltag bisher von ihren Mitbürgern zu hören bekamen, sei Mitleid: "Oh...ihr Armen,...jetzt trifft's euch schon wieder...", ist einer der Sätze, und den Frauen fallen auf Anhieb noch mehrere ein.
Neun zu null hat der Bauausschuss für den Bauantrag, für die Nutzungsänderung und damit für das Wohnheim gestimmt. "Nach dem Motto: Hauptsache nicht vor unserer Haustüre", meint eine Frau. Täglich rechnen die Familien damit, dass der Brief kommt, in dem steht, dass der Bauantrag durchgewunken wurde. Noch liegt er beim Bauamt im Landratsamt Haßberge. "Weitere Auskünfte sind derzeit leider noch nicht möglich", schreibt Adelinde Friedrich, Abteilungsleiterin des Bauamts.
Kommentar von Sarah Dann: Auf tolerante Nachbarschaft! Die sind gegen ein Wohnprojekt, wo arme Kinder, die vor Krieg geflüchtet sind, behütet leben dürfen? Diese Leute muss ich kennenlernen. Was bewegt sie? Woher rührt diese feststehende Meinung, die sie sogar öffentlich bekunden wollen? Schon in der Vorbereitung auf das Gespräch muss ich mir überlegen: Wie tolerant bin ich? Einerseits gegenüber Mitbürgern, die etwas gegen ein soziales Projekt haben. Andererseits: Wie fände ich es, wenn mir künftig ausländische Jugendliche, die kaum ein Wort Deutsch sprechen, und eine andere Kultur leben, direkt in mein Wohnzimmer schauen können? Und das kann ruckzuck gehen. Denn es gibt wohl kaum eine Stadt, die sich in diesen Tagen den ankommenden Flüchtlingen entziehen kann. Man liest von schlechten Bedingungen in Lagern, überforderten Politikern, unmenschlichem Vergehen an hilflosen Mitbürgern, eskalierenden Feindseligkeiten unter den Asylbewerbern, und zu hören gibt es noch viel mehr Schauergeschichten. Aber wer davon ist jetzt die ärmste Sau? Eltmann ist das beste Beispiel dafür, dass die Hierarchie der Sündenböcke in dieser Extremsituation bis ganz nach oben im Bürokratenapparat reicht. Jahrelang hat sich der Bund aus der Affäre gezogen. Hinter Zahlen und Reformen wie Dublin-II versteckt - die Flüchtlinge den anderen überlassen. Hierzu zwei Fakten: Flüchtlinge müssen in dem EU-Land um Asyl bitten, in dem sie als erstes ankommen. Allen, die nicht wissen, wo Syrien oder Eritrea liegt, sei gesagt, Deutschland ist nicht in der Nachbarschaft und damit nicht das nächstgelegene Ziel - sondern Spanien, Italien oder Griechenland. Zweitens: Im Verhältnis zur Einwohnerzahl war Deutschland noch nie Spitzenreiter im Aufnehmen von Flüchtlingen. Dafür aber im Jammern, im Toleranz und Mitleid Heucheln. Getreu dem Sankt-Florians-Prinzip: bloß nicht ich, aber die anderen... Ausbaden müssen es jetzt die Kommunen. Bewältigen die Caritas und andere Einrichtungen. Sich an die neuen Nachbarn gewöhnen, die Anwohner der Galgenleite. Widerspruch zwecklos? So mutig und auch selten es in der Gesellschaft geworden ist, dass jemand vehement seine Meinung vertritt, so waghalsig ist es auch. Denn: Viel zu schnell ist der Stempel der Intoleranz aufgedrückt.
Endlich mal ein differenzierter Bericht, in dem auch die Befürchtungen und die Erfahrungen der Anwohner zu Wort kommen. Und ja, es sind konkrete Befürchtungen und keine abstrakten Ängste, wie gern immer mal unterstellt wird. Ausländerfeindlichkeit vorzuwerfen ist zu billig. Die wahren Rechtsgerichteten sollten sich aber hüten, die Argumente der Anwohner für ihre verwerflichen Zwecke zu missbrauchen.