War das Opfer einverstanden?

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Auf dem Hof der Erlanger Feuerwache kam es zu dem Vorfall, zu dem jetzt das Urteil gefallen ist. Foto: C. Bauriedel
Auf dem Hof der Erlanger Feuerwache kam es zu dem Vorfall, zu dem jetzt das Urteil gefallen ist.  Foto: C. Bauriedel

Die Verhandlung vor dem Amtsgericht Erlangen gegen Feuerwehrleute, die ihrem Ausbildungsleiter einen ganz besonderen Abschied bescheren wollten, hat das Zeug dazu, in die Justizgeschichte einzugehen.

Nach weit auseinanderliegenden Verhandlungstagen wurde im Fall eines aus dem Ruder gelaufenen Abschiedsscherzes bei der Berufsfeuerwehrausbildung ein Urteil gesprochen, nachdem 23 Zeugen und ein Sachverständiger gehört worden waren (siehe auch FT vom gestrigen Donnerstag). Das Opfer und einer der Angeklagten kommen aus dem Landkreis Erlangen-Höchstadt.

Ein Ausbilder war im April 2017 in einem Käfig mit Löschschaum eingesprüht worden und erlitt dadurch zuerst Hautreizungen. Er entwickelte anschließend eine posttraumatische Belastungsstörung, durch die er acht Monate seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Im Prozess hatte er das Erlebnis auf dem Hof der Erlanger Feuerwehr als "Nahtoderlebnis" und "das Schlimmste, was mir je passiert ist", bezeichnet.

Amtsrichterin Birgit Griem sprach die beiden Angeklagten - den Ausbildungsleiter und einen Auszubildenden - der gefährlichen Körperverletzung in einem minderschweren Fall bzw. der Anstiftung dazu schuldig. Sie sprach eine Verwarnung unter Strafvorbehalt aus.

Das deutsche Strafrecht kennt diese selten angewandte Sanktion der Verwarnung, bei der eine Strafe - im vorliegenden Fall eine Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu 40 bzw. 50 Euro - auf Bewährung verhängt wird. Wenn die so Verurteilten ein Jahr keine weitere Straftat begehen und die Bewährungsauflage, an das Opfer 2500 bzw. 1500 Euro als Entschädigung zu zahlen, erfüllen, ist für sie der Fall ausgestanden.

"Tohuwabohu" im Gerichtssaal

Juristisch gesehen ist das zu beurteilende Geschehen äußerst komplex. Es gäbe ganz viele Punkte, so Griem in ihrer Urteilsbegründung, an denen angesetzt werden könne, wo Beteiligten eine Fehleinschätzung unterlaufen sei. "Der Fall wird sicher in juristischen Klausuren auftauchen, denn der Fall ist interessant für die Fragen des allgemeinen Teils des Strafrechts", fuhr sie fort. Denn im Kern war die Frage des Anstiftens zu einer Straftat zu würdigen und die Frage, ob das Opfer womöglich in den Scherz eingewilligt habe.

Was war passiert? Im Detail stellte Sitzungsstaatsanwältin Kerstin König das Geschehen auf dem Gelände der Erlanger Feuerwehr am 12. April 2017 dar. Angehende Berufsfeuerwehrleute befanden sich in ihrem zweiten Ausbildungsabschnitt. Den Ausbildungsleiter wurmte es zu diesem Zeitpunkt, dass die Gruppe den vorherigen Ausbilder ohne Scherzritual verabschiedet hatte. Er führte am Morgen dieses Tages deswegen Bilder einer früheren Verabschiedung vor, die die Auszubildenden dazu animieren sollte. Die Bilder zeigten einen Ausbilder, wie er gefesselt an einen Masten mit Löschschaum eingesprüht wurde und dabei lachte. "Das geschah nicht an einem spaßigen Abend", betonte Griem. Denn gerade darin sah sie den auslösenden Impuls des Ausbildungsleiters, dessen Meinung aufgrund seiner Autorität hohes Gewicht hatte.

Während die Gruppe von der Ausbildungsstätte in Fürth zu einer Löschschaumübung zur Erlanger Wehr fuhr, diskutierte man, wie man den Ausbilder dieses Abschnitts an diesem Tag gebührend verabschieden könne. Die Idee vom Einschäumen geisterte schnell in den Köpfen herum, auch wenn ein Beteiligter vor möglichen Gefahren für die Augen warnte.

Die Gruppe absolvierte drei Übungseinheiten mit Schaum. Dann stand der Abschiedsscherz an; ein Ritual, das an und für sich den Ausbilder ehren sollte. Der genaue weitere Ablauf war nicht mehr sicher zu rekonstruieren. "Ein Tohuwabohu", nannte es Griem, denn die Zeugen konnten zwei Jahre später nicht mehr zuverlässig unterscheiden, was sie von Anfang an beobachtet hatten und was sie erst durch das Reden darüber erfahren haben.

Bis er um Hilfe schrie

Fest steht, dass der Geschädigte in einen Käfig verfrachtet und dorthin gerollt wurde, wo die Schaumspritzen von der Übung zuvor bereitstanden. Ein Anwesender gab ihm noch eine Schutzbrille. Dann wurde für etwa zehn Sekunden eine geballte Ladung Schaum aus zwei Spritzen auf den Mann abgefeuert, bis er um Hilfe schrie. Er war von Kopf bis Fuß in Löschschaum eingehüllt und hatte deshalb Atemprobleme. Möglicherweise, so Griem, hätte der Ausbilder - objektiv betrachtet - noch weglaufen können. Was er wohl wegen des Gruppendrucks unterlassen hat, weil er "nicht Zeit seines Lebens als Depp da stehen wollte".

Wegen des nicht mehr exakt klärbaren Ablaufs verurteilte Griem die beiden Angeklagten nicht wegen Nötigung und Freiheitsberaubung, wie es die Anklage fordert. Sie bejahte aber das Vorliegen einer gefährlichen Körperverletzung. Das Strafgesetzbuch kennt eine Auflistung von Mitteln und Vorgehensweisen bei Körperverletzungen, die als so schwerwiegend angesehen werden, dass sie mit einer Strafe ab sechs Monaten bedroht sind.

Die Variante "durch einen gesundheitsschädlichen Stoff" verwarf sie, denn das eingesetzte Löschmittel erstickt zwar Flammen, ist aber nicht gesundheitsschädlicher als Shampoo. Auch "durch eine lebensgefährliche Behandlung" verneinte sie, denn erst nach etwa 40 Sekunden Aspirieren des Schaums tritt ein Lungenödem mit möglicher Todesfolge auf.

Griem stützte ihr Urteil auf die gemeinschaftliche Begehungsweise. Obwohl der Angeklagte an der Spritze gerade belehrt worden war, dass Haut- und Augenreizungen die Folge seines Tuns sein könnten, nahm er solche billigend in Kauf. Er wäre aber entlastet, wenn das Opfer in den "Spaß" eingewilligt hätte. Dazu fehlte dem Mann die Möglichkeit. Denn der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass dazu eine Person eine konkrete Vorstellung vom Umfang des Geschehens haben müsse. Was bei einer Überraschung nicht der Fall ist, noch dazu, weil dieser Ausbilder das Ritual des Einschäumens zum Abschied nicht kannte. Auf eine wirksame Einwilligung hatten die Verteidiger der Angeklagten, Julia Weinmann und Özhan Erenoglu, ihrer Plädoyers für einen Freispruch gestützt.

Auch Rituale sind strafbar

Weinmann argumentierte zugunsten des Ausbildungsleiters auch damit, dass dieser kein Anstifter im Sinne des Gesetzes gewesen sei, weil das animierende Bilderzeigen dafür nicht konkret genug gewesen sei. Insgesamt kam Griem zu der Auffassung, die Vorgänge lägen so deutlich unter dem Normalfall einer Körperverletzung, so dass sie als minderschwerer Fall zu werten seien. Sie betonte: "Nur weil es ein Ritual gibt, befreit das nicht von der Strafbarkeit."

Hatte Griem schon im Verhandlungsverlauf die vielen Zuhörer aus Feuerwehrkreisen vor offenkundigen Kommentierungen gewarnt, fügte sie am Ende noch hinzu: "Ich hatte zwischendurch das Gefühl, der Ausbilder wurde an den Pranger gestellt, dass er übertreibe. Eine psychische Beeinträchtigung ist etwas Gewaltiges."