Vom Schlosser zum Schriftsteller

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Der Lichtenfelser Werner Diefenthal erschafft mit seinem "Trio ars sistendi" nicht nur Romane, sondern Kunstprojekte. Foto: Corinna Tübel
Der Lichtenfelser Werner Diefenthal erschafft mit seinem "Trio ars sistendi" nicht nur Romane, sondern Kunstprojekte. Foto: Corinna Tübel

In Lichtenfels entstehen Romane wie "Mord in Rothenburg". Aus historischen Stoffen und fiktiven Geschichten werden statt Büchern "Kunstprojekte" aus Text und Bild. Dahinter stehen Werner Diefenthal und zwei Gleichgesinnte. Ein Portrait.

Rothenburg 1526: Ein Scharfrichter und eine Magd. Sie wird des Mordes durch Hexenkraft angeklagt, er möchte sie vor dem Scheiterhaufen zu bewahren. So etwas gibt es doch gar nicht! Oder doch? Den Romanen Werner Diefenthals und seiner Co-Autorin liegen historische Gegebenheiten zugrunde. So auch in "Mord in Rothenburg" - einer Geschichte, die in einem Stadtteil von Lichtenfels entstand. Seitdem sind viele weitere gefolgt: "Engelsklinge" oder "Blut für die Kirche" sind nur einige der weiteren Titel aus der Feder Werner Diefenthals.

Dieser wurde 1963 im Rheinland geboren und hat sich vor rund 20 Jahren in Lichtenfels, im Stadtteil Oberwallenstadt, niedergelassen. Dort fühlt er sich pudelwohl: "Lichtenfels ist noch ein bisschen gemütlich, könnte man sagen. Es hat nicht die Hektik einer Großstadt, aber man findet im Stadtkern doch ein gutes Angebot. Auch wenn der ein oder andere Pub in den letzten Jahren geschlossen wurde", lächelt er doch fast ein wenig wehmütig. "Außerdem liegt man hier sehr zentral und ist schnell in Nürnberg oder München, nicht komplett abseits."

Veröffentlichung nach 18 Jahren

Nach einer Ausbildung im Schlosserhandwerk und einer späteren Weiterbildung im Qualitätsmanagement ist er seit 1998 in diesem Bereich tätig. Seine Liebe zur Schriftstellerei entstand in den 1990er Jahren. Die Idee zum Buch "Das Schwert der Druiden" entwickelte sich während eines Trödelmarktbesuchs, als ihm ein altes Schwert ins Auge fiel. "Ich hatte plötzlich fast den ganzen ersten Band dazu im Kopf", erinnert er sich. Das erste Manuskript war noch handschriftlich und entstand im Jahr 1993 in einem Bistro bei vielen Tassen Kaffee.

Die ersten Ernüchterungen folgten: Die Suche nach einem Verlag gestaltete sich mühselig und zeitaufwendig, doch letztlich glückte sie - 18 Jahre nach der eigentlichen Fertigstellung des Buches. Bis zu diesem Zeitpunkt war er beruflich bedingt noch viel unterwegs und das Schreiben noch nicht sein "Brotberuf". Erst im Jahr 2011 schied Diefenthals krankheitsbedingt aus seinem alten Beruf aus und widmete sich in vollem Maß seinen schriftstellerischen Ideen. War es Zufall oder Fügung? Im Jahr 2014 lernt Diefenthal in einem Internetforum seine Mitautorin Martina Noble kennen. Sie texten bis heute zusammen, redigieren, motivieren und kritisieren sich. Ihr Erstlingswerk "Der Henker von Rothenburg: Mord in Rothenburg" haben die beiden innerhalb von nur zwölf Wochen verfasst - und dabei genügend Stoff für drei Teile gehabt.

Geschichtsstunde im Romanstil

Stets stehen in den Romanen historische Fakten und Geschichten im Vordergrund, in der Regel zur Zeit des Mittelalters bis hin zum Ende des 19. Jahrhunderts. Doch auch ein Familienepos, das bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs reicht, schwebe dem Autor bereits im Kopf herum. Um die geschichtlichen Tatsachen herum konstruieren Noble und Diefenthal eine fiktive Geschichte, die sich aber an den Tatsachen "entlanghangelt", so der Autor.

"Wir bieten eine Art Geschichtslehrstunde im Romanstil." Das können Henker, Engel, Teufel oder Freiheitskriege sein, aus dem In- und Ausland - oder ganz besondere Persönlichkeiten der Vergangenheit: Der 57-Jährige wurde einmal während seiner Recherchen auf das "Gerücht" aufmerksam, Jack the Ripper sei eine Frau gewesen - und verarbeitete das Thema in einer seiner Geschichten. Zu Beginn einer jeden Geschichte gibt es einen Ideenaustausch. Meist übernehme Diefenthal die Recherchearbeit, meist über das Internet, um die historischen Fakten und Zusammenhänge zu ergründen. Zusammen bauen sie den groben Plot und schmücken Details aus - oft genderspezifisch zu den jeweiligen Figuren. Doch nicht alles kann in einem Roman geplant werden. Vieles entsteht im Fluss des Schreibens. So kann ein Text schon 20 oder 30 Mal an einem Tag zwischen den beiden hin- und herwechseln, geändert, gestrichen oder fortgeführt werden.

Zu ihrem Erfolg gehören deshalb umso mehr viel Geduld, Willensstärke, Selbstdisziplin, die Fähigkeit zur Selbstkritik - und Ruhe. Diese findet er zurzeit, bedingt durch die Corona-Krise, etwas weniger: "In solch einer Zeit ist es schwierig, freie Gedanken zu finden und das alles auszublenden." Deshalb schreibe er nicht zu festen Zeiten und meist in seinem "Wohn-Schreib-Arbeitszimmer", wenn ihm danach sei. "Es gibt Tage, da kann ich schon mal meinen eigenen Text nicht mehr sehen, ich hasse ihn. Ist er dann aber fertig und steht kurz vor der Veröffentlichung, will ich ihn fast nicht mehr loslassen. Wie ein Baby", lächelt er. "Das ist einerseits befreiend, auf der anderen Seite beklemmend."

Doch Historie und Spannung sind den beiden Künstlern noch nicht genug. Wer die Cover ihrer Romane betrachtet, versteht, warum sie eher von einem "Kunstprojekt" sprechen als von einem "Buch". Es sind ausdrucksstarke Gestalten in historischer Umgebung - natürlich passend zur jeweiligen Story. Die Gestaltung dieser hat nicht etwa eine Agentur übernommen, sondern ebenfalls ein "Glücksfund" aus dem Internet: Sandra Limberg. Mit ihr zusammen reisten die drei, die sich heute "Trio Ars sistendi" nennen, was so viel wie "Die Kunst des Darstellens" bedeutet, durch Deutschland und weitere Länder, um eine Symbiose zwischen Romaninhalt und Bild zu finden und sich aus der Masse der Geschichten und Autoren-Duos herauszuheben.

"Trio ars sistendi" als Marke

Längst sind die drei zu Freunden geworden, die auch Konflikte austragen. "Wir haben uns auch schon bis aufs Blut gefetzt. Das ist ganz normal", so der Autor, der das Trio mittlerweile als Marke sieht: "Wir wollen nicht als einzelne Persönlichkeiten behandelt werden, sondern als Marke" - die die Menschen für ein paar Stunden in eine spannende Welt entführe, in der es viel zu erleben und entdecken gebe. Die beiden Autoren haben im Laufe ihres Schaffens bewusst den Selbstverlag gewählt, um frei in ihren Entscheidungen zu sein. "Natürlich bleibt auch finanziell mehr hängen, und wir können mehr verlegen ohne große Vorlaufzeiten, wie sie die etablierten Verlage haben", erklärt Diefenthal.

Dafür müssen sie aber auch viel selbst in die Hand nehmen: Covergestaltung, Buchsatz, Marketing - und vor allem das Lektorat. Für Letzteres hat Werner Diefenthal seine Strategie gefunden: "Testleser suchen. Eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe." Keine Freunde oder Bekannte könnten so kritisch und ehrlich sein wie vollkommen fremde Menschen, die er in großer Zahl ebenfalls über das Internet gefunden habe. Werbung hingegen geschehe "viel über Mund-Propaganda oder die sozialen Medien wie Facebook, Instagram und unseren Youtube-Account, wo wir einzelne Videos zu den Büchern hochgeladen haben."

Woher kommen aber all diese Details für das Gesamtkunstwerk? Seine Inspiration findet der gebürtige Rheinländer unter anderem auch "auf Reisen", besonders in Irland oder Wales. Auch hier lässt ihn die "Arbeit" nicht in Ruhe: Auf der "grünen Insel" etwa sei er zum ersten Mal auf die sogenannten "Magdalenenheim" aufmerksam geworden: Zu den Häusern für "gefallene Mädchen" habe er gleich eine komplette Handlung im Kopf gehabt. "Es ist das Land, in dem ich auftanke und mental zuhause bin. In Wales ist es das gleiche."

Wie vielseitig das Schaffen Diefenthals ist, zeigt nicht nur die inhaltliche Bandbreite seiner Romane und die Beteiligungen, sondern auch das Einlassen auf verschiedene Genres. Er selbst nennt seine Kurzgeschichten "Übungen oder Versuche, mich kurz zu fassen". Dabei sind sie ein Teil seines schriftstellerischen Ursprungs - mit Erfolg hat er damals an der Anthologie "Kleine Reisen" mitgearbeitet, dessen Erlös voll an den Verein ViaNiños e.V. zugunsten von Straßenkindern weitergeleitet wurde. Die Geschichte über einen Kindersoldaten, der versucht, seine Eltern wiederzufinden, sei das Schlimmste gewesen, das er je geschrieben habe. In den vergangenen sechs Jahren hat er elf Bücher verlegt, dreizehn weitere oder mehr sind in Planung.

Zweiter Teil zu "Die Vergessenen"

Derzeit arbeitet Diefenthal mit seiner Kollegin am zweiten Teil der "Die Vergessenen"-Roman-Trilogie. Das Besondere diesmal: Zum Roman wird es einen Bildband geben, für den das Trio schon vor zwei Jahren in ein Keltendorf nahe Mainz gereist ist. In aufwendigen Kostümen und detailreicher Inszenierungskunst sind dort circa 60 gewandete "Wikinger" durch den Wald marschiert und haben Szenen der Romanhandlung nachgestellt. "Wir waren dort die Sensation", erinnert sich der Autor.

Doch auch für Autoren hat die Corona-Krise so manch negative Überraschung bereit: Eigentlich sollten Roman und Bildband im September im Rahmen des Mittelalterfestivals "Mediaval" in Selb vorgestellt werden. Doch dieses wurde inzwischen, wie so viele Großveranstaltungen, abgesagt. Veröffentlichen wird das Trio aber in jedem Fall.

Die Romane, deren Umsatz zu einem Großteil aus dem Verkauf von eBooks bestehe, haben mittlerweile eine treue Leserschaft - dank Übersetzungen auch in anderen Ländern. In den Rezensionen findet man ehrliche Meinungen: "Natürlich fließt viel Blut in dem Buch. Aber für mich steht die eigentliche Handlung im Vordergrund. Sehr empfehlenswert, wenn man nicht ganz aus Zucker ist." Und das sind Franken bekanntlich nicht.