Ein lieber Freund schreibt mir regelmäßig hinter die Ohren, dass es im Leben um Achtsamkeit geht. Allerdings lässt er sich auch nicht davon abhalten, darüber zu singen. Und erst neulich erzählte mir e...
Ein lieber Freund schreibt mir regelmäßig hinter die Ohren, dass es im Leben um Achtsamkeit geht. Allerdings lässt er sich auch nicht davon abhalten, darüber zu singen. Und erst neulich erzählte mir eine liebe Bekannte bei einer Tasse Kaffee von einem unerhörten Fall von Unachtsamkeit, der einst ihre Familie in Mitleidenschaft zog. "Menschen sind schwierig - so einfach ist das", habe ich mal jemanden singen hören.
Es war Krieg. Nicht der große vergangene, sondern noch der große davor. Eine Frau aus der Gegend um Altenkunstadt ließ also ihren Mann ziehen und sie musste ja, weil er musste. Der Mann musste nach Frankreich, lag dort in Gräben und schoss auf Jungs und Männer, mit denen er im Frieden getrunken hätte. Er hatte Angst vor Tod und Verwundung und hatte sie nicht alleine, denn seine Frau hatte Angst vor seinem Tod und seinen Verwundungen und ihrem Verlust und ihrer Trauer.
Man versprach, sich zu schreiben und man hielt Wort. Und irgendwann sah man sich nach langer Zeit auch wieder, weil Soldaten Heimaturlaube bewilligt werden. Das Wiedersehen war wohl schön, aber die Tage vergingen zu schnell. Der Mann stieg in den Zug, stieg wieder in die Gräben und hatte ja doch im Grunde nichts Persönliches gegen Franzosen.
Das Ehepaar schrieb sich Briefe und in einem von ihnen fand sich zu lesen, dass ein neuer Umstand eingetreten ist, wonach man bald zu dritt sei. Dann blieb die Antwort darauf aus. Die Frau schrieb wieder. Und wieder. Aber es kam keine Antwort mehr.
Wochen vergingen, Monate, selbst der Krieg verging. Die Frau zog traurig ihre Schlüsse und das Kind groß. Hier hätte die Geschichte enden können. Aber sie war nicht vorüber, sie war noch nicht einmal erzählt. Die Briefe der Frau gingen irgendwann irrtümlich in den Westen, aber an einen Namensgleichen. Ob er sie las, das weiß man nicht. Was man aber 20 Jahre später mitbekommen sollte, war, dass dieser Namensgleiche die nicht für ihn bestimmten Briefe nie weitergeleitet hatte, um den Irrtum aufzuklären. So erhielt der Ehemann eines Tages den letzten Brief seiner Frau und schrieb noch eine Weile zurück, ohne Antwort zu erhalten. Wochen vergingen, Monate und selbst der Krieg. Der Mann wiederum zog seine Schlüsse und seiner Wege. Er ging nicht mehr heim. Bald nachdem meine Bekannte mir diese Geschichte erzählte, trennten sich auch unsere Wege und ich ging heim.
Unterwegs sah ich, wie ein junger Mann nur wenige Meter von einem Flaschenpfandsammler entfernt seine leere Coladose zertrat.