Vor 50 Jahren traf sich die Gruppe 47, bestehend aus deutschsprachigen Schriftstellern, auf Einladung des Literaten Hans Werner Richter in der Gaststätte bei Waischenfeld. Es sollte die letzte Zusammenkunft der Vereinigung sein.
Die Tagung der Gruppe 47 in der Pulvermühle vor 50 Jahren stand unter einem ungünstigen Stern. Politische studentische Unruhen mit Demonstrationen gegen den Schah-Besuch erschütterten Deutschland, Israel stand im Sechstage-Krieg und namhafte Schriftsteller wie Heinrich Böll und Peter Handke distanzierten sich von der Gruppe 47. Daher erwartete die deutsche Presse und mancher Teilnehmer der Tagung die Auflösung der Literatengemeinschaft in der Pulvermühle.
Der Spiegel schrieb in seinem Bericht vom 16. Oktober 1967: "Routine, Altersabnutzung und massierte Kritik am Gruppenstatus hatten, wenn nicht die Kritiker und Verleger, so doch vor allem die Literaten immer trennungswilliger gemacht" und so die Auflösung befördert.
Karasek erinnert sich
Hellmuth Karasek erinnert sich am 10. Juni 2007 in der "Welt": "Eigentlich konnte man das Ende
(der Gruppe 47, d. Red.) schon vorher beobachten. Hans Werner Richter (..) hatte bei den Tagungen immer unruhige Augen, die misstrauisch hin- und herscharwenzelten. Einen Tag vor der Pulvermühle waren er und ich in München beim Bayrischen Rundfunk zu einer für die Gruppe werbenden Diskussion geladen. Auf dem Weg über den Hof trafen wir zufällig Peter Handke. Richter lud ihn hastig, herzlich, mündlich nach Oberfranken ein. Handke lehnte grob und ohne Umschweife ab. Wir trafen Franz Xaver Kroetz, der damals als Dramatiker mit Saft und Kraft in der Blüte seines Ansehens stand und den ich als Theaterkritiker kannte. Richter sagte überfallartig zu Kroetz, er solle doch zum Wochenende in die Pulvermühle kommen. Dort etwas lesen. Kroetz aber sagte: ,Ja, mei. Ich will mal sehen, ob ich Lust und Zeit habe' (Pause). ,Aber ich fürchte, ich habe keine Zeit.' Da bimmelte in meinen Ohren das Sterbeglöckchen der Gruppe".
"Fürchterlich konventionell"
Eigentlich begann das Sterben der Gruppe 47 schon ein Jahr vorher, 1966 im amerikanischen Princeton, wo sich die Gruppe zu ihrer jährlichen Tagung traf. Der junge Peter Handke nannte ihre dort vorgetragene Literatur "fürchterlich konventionell" und: "Man könnte diese läppische Prosa ebenso gut aus einem Lexikon abschreiben." Heinz Ludwig Arnold sah ähnliche Gründe für die drohende Auflösung der Gruppe 47: "Eine neue Generation von Autoren drängte in die Gruppe, die von den Universitäten kam, firm in Theorie und im Umgang mit den neuesten ästhetischen Verfahren - eine neue Generation, die, wie Richter einmal geschrieben hat, begabter war als die alte, und intoleranter".
Die Öffnung der Gruppe 47 "für diese Generation war unumgänglich, wenn die Gruppe weiter bestehen sollte - und doch war sie auch ein Grund für ihr Ende".
Und Yaak Karsunke erinnert sich: "Ich bin sehr erschrocken gewesen, mit welcher Aggressivität ein Großteil der Gruppenmitglieder auf diesen harmlosen Studentenulk (in der Pulvermühle, die Red.) reagiert habe". Er folgert daraus, "dass die Gruppe 47 nicht in der Lage war, sich mit den Studenten auseinanderzusetzen". Weshalb er den Schluss zieht: "Für meine Begriffe ist die Gruppe 47 aber nicht am Eindringen der Außenwelt zerbrochen, sondern an der Unfähigkeit der Gruppe, darauf angemessen zu reagieren".
Heinrich Böll war schon gar nicht mehr zur Tagung in die Pulvermühle gekommen. Für ihn ist "die Gruppe 47 passé", sagte er im Juli 1967 in einem Fernsehinterview dem ZDF.
Der Verein, der keiner war
Das Ende der Gruppe 47 kam trotzdem nur schleppend in Gang. Der Versuch, 1968 nach klassischem Muster in Prag zu tagen, wurde vom Einmarsch der Roten Armee zunichte gemacht. 1972, 1977 und 1990 gab es dann weitere Treffen, die aber meist nur der Erinnerung dienten. Danach lud Richter nicht mehr ein. "Der Verein, der keiner war" (Original-Satz Hans Werner Richter) hörte damit endgültig auf zu existieren.
Marcel Reich-Ranicki brachte es im Spiegel-Interview auf den Punkt: "Sicher ist: Solange man sich für die deutsche Literatur nach 1945 interessieren wird, so lange wird man die Gruppe 47 nennen und ihres Gründers Hans Werner Richter gedenken".
Auf die Frage des Spiegel (Interview in Nummer 36, 1997), was bleibt, antwortete Reich-Ranicki: "Nur manche der dort vorgelesenen Arbeiten bleiben. Sie alle wären gewiss auch ohne diese Probebühne entstanden, die Literaturgeschichte wäre also nicht anders verlaufen. Nur hätten manche Autoren um ihre Anerkennung viel länger kämpfen müssen".