Dr. Nedal Al-Khatib schildert, wie man eine Abhängigkeitserkrankung erkennt und was man dagegen tun kann.
Bin ich süchtig? Wie kann ich das herausfinden? Und dann? - Das Gesundheitsforum Kutzenberg informierte diesmal über Abhängigkeitserkrankungen. Chefarzt Dr. Nedal Al-Khatib zeigte auf, wie man in die Sucht hineinrutschen kann und auch, wie man wieder herauskommt.
In Deutschland sind offiziellen Zahlen zufolge zirka fünf Prozent der Männer und zwei Prozent der Frauen alkoholabhängig oder zumindest gefährdet. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. 150 000 Menschen im Land konsumieren Diacetylmorphin, das unter dem Handelsnamen Heroin bekannt ist, beim Cannabis-Konsum sind es laut Al-Khatib zwei Millionen. Etwa eine Million greift regelmäßig zu Amphetamin-Stimulantien wie Ecstasy. Fast eineinhalb Millionen Deutsche sind medikamentenabhängig. Wie kann das sein? Alkohol ist in jedem Supermarkt zu erwerben, Schmerzmittel gibt es ohne jedes Rezept in Apotheken, und Drogen besorgen sich manche im Nachbarland Tschechien oder, noch einfacher, von der Couch aus im Internet oder Dark-Net.
Eine Abhängigkeit im medizinischen Sinn liege dann vor, so der Arzt, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllt werden: 1. ein starker Wunsch, eine Gier, die Substanz zu konsumieren; 2. verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Menge und/oder der Beendigung der Einnahme der Substanz. 3. körperliche Entzugssymptome (Zittern, verstärktes Schwitzen, Schlaflosigkeit). 4. Toleranzentwicklung (Wirkverlust: Man benötigt eine immer größer werdende Dosis, um das gleiche Level zu erreichen), 5. erhöhter Zeitaufwand, um sich die Substanz zu beschaffen oder sich von den Folgen des Konsums zu erholen, verbunden mit der Vernachlässigung anderer Interessen; 6. fortgesetzter Konsum trotz Folgeschäden.
Die Ursachen sind vielfältig
Die Ursachen für die Entwicklung einer Abhängigkeit sind vielfältig: das Milieu etwa, in dem man aufwächst, Einflüsse von "Vorbildern" oder "Stars". Auch die familiäre Situation kann mit eine Rolle spielen, ob jemand in eine Abhängigkeit rutscht. Manche Berufsgruppen sind besonders oft betroffen, manche religiösen Vereinigungen dagegen fast gar nicht (wie die Amish-People).
Auch das Ausprobieren aus Neugierde oder Langeweile könne ein Einstieg in eine unrühmliche Drogen- Karriere sein, so die Erfahrungen, die Al-Khatib zusammenfasste. Immer reagiere das Gehirn: Es schüttet Botenstoffe aus. Dabei nehme das Belohnungssystem im Mittelhirn eine Schlüsselrolle ein. Die Suchtstoffe greifen nämlich in das Belohnungssystem ein, es wird Dopamin ausgeschüttet. Das passiert sonst, wenn man eine positive Erfahrung macht. Das Gehirn merkt sich diesen positiven Effekt, will mehr davon..., der Teufelskreis kann beginnen.
Immer mehr synthetische Drogen tauchen aus Labors und dem Ausland auf. Manchmal sind erst 14-Jährige die Konsumenten. Neuartige, teils unberechenbare Substanzen werden als "Kräutermischung" oder "Badesalz" angeboten und geraucht und gespritzt.
"Belohnungszentrum" im Gehirn
Was die rund drei Dutzend Zuhörer hellhörig machte: Nicht nur, wer Drogen konsumiert, sondern viele "ganz normale" Bürger würden von ihrem Belohnungszentrum im Gehirn geleitet: etwa wenn der Friseur nach zehn Haarschnitten einen gratis anbietet, oder wenn es beim Bäcker um die Ecke mit einer vollen Punktekarte eine Tasse Kaffee umsonst gibt. Das habe die Werbung längst erkannt, sie ködere mit Pay-Back-Karten in den Supermärkten, lobe Prämien und Geschenke aus, die man vielleicht gar nicht brauche. Aber das Belohnungszentrum schütte Dopamin aus, "und wir freuen uns".