20 Monate nach der schrecklichen Erdbeben-Serie im Himalaya müssen obdachlos Gewordene in Armut leben. Eine zupackende Fränkin will ihnen ganz direkt helfen
E s war genau 11.56 Uhr, als es ihm urplötzlich den Boden unter seinen Füßen wegzog. Jagat Tamang wird ihn nie vergessen, jenen 25. April 2015, den Anfang einer Erdbeben-Serie im Himalaya, die tausende Menschen das Leben kostete und drei Millionen obdachlos werden ließ. Jagat selbst, seine Frau und seine fünf Kinder überlebten in der Nähe der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu, obwohl ihr Haus einstürzte. Das Epizentrum des ersten und stärksten Bebens lag 80 Kilometer nordwestlich.
"Ich war schockiert, als ich die Bilder in den Medien sah", erinnert sich Margret Thalmann. "Und ich hatte große Angst um Jagats Familie und um unsere Schule", sagt die 79-Jährige aus dem unterfränkischen
Marktbreit. Die leidenschaftliche Bergsteigerin hat eine enge Verbindung nach Nepal - nicht nur zu den Bergen, auch zu den Menschen.
"Ich war glücklich und erleichtert, als ich nach 24 bangen Stunden Telefonkontakt aufnehmen konnte und hörte, dass es unter unseren Leuten keine Todesopfer gegeben hat."
Seit 15 Jahren ist die Marktbreiterin Patin von vier Seti-Devi-Schülern. Seti Devi ist eine 12 000-Einwohner-Gemeinde am Rande von Kathmandu. Insgesamt finanziert Margret Thalmann gemeinsam mit Freunden, Verwandten und engagierten Bürgern 54 Kindern unter anderem die Schulbildung. "Unsere Spender unterstützen die Schüler kontinuierlich, über viele Jahre hinweg. Das ist der einzig sinnvolle Weg aus der Armut."
Der Gegensatz zwischen den majestätischen Himalaya-Gipfeln und der tiefen Armut von Teilen der Bevölkerung berührt Thalmann, seit sie kurz nach der Jahrtausendwende erstmals im Hochgebirge unterwegs war. Mit einer Alpenvereins-Gruppe wagte die damals frisch gebackene Rentnerin einen Aufstieg im Annapurna-Gebiet.
"Das war zeitlebens mein Traum gewesen. Und nun, da meine vier Kinder erwachsen waren und ich Zeit hatte, konnte ich ihn mir erfüllen."
Seither reist die achtfache Großmutter immer wieder nach Nepal, wo sie "ihre" Schule besucht und mit ihrem Führer Jagat Tamang in die Berge geht. "Je höher man kommt, desto kleiner werden die Alltagssorgen." Im Jahr 2008 stiegen die beiden unter anderem ins nepalesische Mount-Everest-Basislager auf. Heute sagt die noch immer sehr sportliche Margret Thalmann: "Ich weiß nicht, wie lange ich überhaupt noch in den Himalaya reisen kann - schließlich werde ich nächstes Jahr 80. Aber solange es geht, mache ich es."
"Zu Jagat und seiner Familie, die ich finanziell unterstütze, ist im Lauf der Zeit eine richtige Freundschaft entstanden." Eine Freundschaft, die nicht nur half, Jagats Haus wieder aufzubauen, sondern die auch andere Nepalesen spüren sollen.
"Jagat kennt Bergdörfer, zu denen man nur mit Yak und Esel vordringen kann und in denen seit dem großen Beben so gut wie keine Hilfe angekommen ist." Die Menschen hausen in notdürftig zusammengeflickten Blechhütten. "Nur ein Bruchteil der 2000 Euro, die die Regierung damals den obdachlos Gewordenen versprochen hat, ist ausgezahlt worden." Am 24. Februar wird Margret Thalmann wieder nach Nepal fliegen, "ihre" Schule besuchen und zusammen mit Jagat und einem zweiten Begleiter in die Berge wandern. "Den Menschen dort werde ich die Spendengelder bringen, die ich bis dahin hier in Deutschland gesammelt habe."
Das Geld wird sicher nicht für alle reichen. "Aber ich habe erlebt, dass die Menschen dort oben kaum Neid und Missgunst kennen. Sie freuen sich miteinander und teilen, wenn einem von ihnen etwas Gutes widerfährt." Margret Thalmann plant, jede Geldübergabe zu fotografieren und den Spendern die Bilder zu senden.
Ob sie gar keine Angst vor dem Aufstieg hat - immerhin liegen manche Dörfer in 3000 Metern Höhe? Die Fränkin schüttelt den Kopf: "Man schafft viel, wenn man nur will." Eigentlich habe sie ja nie vorgehabt, so-zial tätig zu werden; das habe sich einfach so ergeben. "Mittlerweile setzt die Seti-Devi-Schule großes Vertrauen in uns. Und den Erdbebenopfern zu helfen, sehe ich als christliches Prinzip an, als Aufgabe, die mir von höherer Stelle auferlegt wurde."
Zudem sei es einfach jedes Mal ein wunderbares Gefühl, mit einem zuverlässigen Guide aufzubrechen und alle Sorgen hinter sich zu lassen. "Während ich daheim eher die Resolute bin, lasse ich mich in Nepal einfach fallen, ich plane nichts, denke nichts, sondern laufe einfach, bis wir am Ziel sind."
Am Ziel werden diesmal viele Bergbauern große Augen machen.
Vielleicht wird es manch einem sogar kurz den Boden unter den Füßen wegziehen - aber nicht, weil die Erde bebt, sondern vor Glück über die unkonventionelle Hilfe aus Deutschland.
Spenden: VR-Bank Kitzingen, DE 49 791 900 0000 0944 8063, BIC GENODEF1KT1, Stichwort: Nepal-Hilfe; Infos über Patenschaften: margret- thalmann@t-online.de 100 000 Euro an Spenden hat Margret Thalmann in den vergangenen 15 Jahren gesammelt und vorwiegend für die Schulbildung nepalesischer Kinder verwendet. Nun will sie Erdbebenopfern in entlegenen Bergdörfern helfen.