Vor allem die Rabattpreise für Krankenkassen und die schlechten Produktionsbedingungen außerhalb Europas bereiten den Forchheimer Apothekern Kopfschmerzen.
Christina Utzmann kennt das Geschäft mit den Medikamenten schon seit 23 Jahren. Lieferengpässe habe es immer gegeben, sagt die pharmazeutisch-technische Assistentin aus der Forchheimer Regnitz-Apotheke. Doch in den vergangenen 15 Monaten erlebt Christina Utzmann dramatische Veränderungen: Früher sei es vielleicht ein Medikament am Tag gewesen, das nicht geliefert werden konnte. Mittlerweile gehört es zu ihrem Arbeitsalltag, dass Dutzende Präparate nicht zu kriegen sind. Als sich die pharmazeutisch-technische Assistentin durch ihre Bestellungsliste scrollte, waren dort 71 Einträge rot gefärbt. Jede rot markierte Zeile steht für einen "Lieferdefekt".
Daher verbringen Forchheimer Apotheker wie Christian Bleile (West-Apotheke) oder Günther Hammer (Regnitz-Apotheke) viel Zeit mit Versorgungsfragen. "Das gab es noch nie, dass so viele Medikamente nicht lieferbar sind und dass es so aufwendig ist, ein Präparat zu finden", sagt Christian Bleile. Er bringt die Lieferengpässe mit den Rabattpreisen (für die Krankenkassen), aber auch mit dem ungeklärten Brexit in Zusammenhang: Viele in England zugelassene Medikamente wären nach dem Brexit nicht mehr lieferbar. "Es ist verständlich, dass sich die Engländer jetzt bevorraten."
Begehrte Schmerzmittel
Die Hauptursache für die Lieferkrise liege aber in den Produktionsbedingungen außerhalb Europas, meint Günther Hammer. "Ibuprofen zum Beispiel, das weltweit dominierende Schmerzmittel", werde in nur sechs Firmen produziert. "Steht ein Werk wegen einer technischen Störung still, wird über Wochen ein Liefermangel spürbar." Zumal das Interesse an Schmerzmitteln in den Schwellenländern Asiens und Afrikas rapide gestiegen sei. "Und weil die Arznei in Deutschland wegen der Preis-Spannen-Verordnung billig verkauft werden muss, liefert die Pharma-Industrie vorzugsweise in jene Länder, wo sie mehr verdient", erklärt Günther Hammer. Blutdrucksenker, Schmerz- und Gicht-Mittel seien die drei am häufigsten gefragten Medikamente, sagt Christina Utzmann. Die meisten würden in Asien "zu günstig" und "unter fraglichen Bedingungen" hergestellt; in Europa seien sie nicht ausreichend verfügbar. Utzmann: "Um Abhilfe zu schaffen, müsste es Anreize für die Wirkstoffproduktion in Europa geben."
Als "extrem vielschichtig" bezeichnet Christian Bleile das Thema. Momentan bekämen die Apotheker ja auch noch das Verpackungsproblem der Pharmaindustrie zu spüren. Denn seit Juli gilt das Gesetz, dass auf den Schachteln ein QR-Code stehen muss, damit der Handelsweg jedes einzelnen Präparates nachvollziehbar ist. Doch die Industrie schafft es oft nicht, die kleinen Arzneimittelpackungen mit dem Code zu versehen. Folge: Viele Chargen sind für den Handel gesperrt.
Ist ein Präparat nicht mehr greifbar, dann beginnt die Zusatzarbeit: "Wir versuchen immer in Zusammenarbeit mit den Ärzten eine Lösung zu finden - und in 95 Prozent der Fälle finden wir Lösungen", sagt Christian Bleile.
Zehn Prozent mehr Arbeit
Doch der Aufwand dafür sei belastend, bemerkt Christina Utzmann: Bis zu zehn Prozent ihrer Arbeitszeit sei mittlerweile nötig, um Lieferengpässe auszugleichen und mit Ärzten über alternative Medikamente zu sprechen. Hauptleidtragende der Engpässe seien natürlich die Patienten, sagt Günther Hammer. "Weil einige Wirkstoffe ganz vom Markt verschwinden, müssen Patienten ihre Einnahmezyklen ändern. Oder auf andere Präparate umstellen." Selbst bei Schmerzmitteln sei die Umstellung oft riskant. Zwar gebe es weltweit Dutzende Präparate, sagt Hammer. "Aber viele sind in Deutschland nicht erhältlich oder sie haben eine Vielzahl an Nebenwirkungen." Der Arzneistoff Ibuprofen sei eben auch deshalb so gefragt, weil er relativ wenige bekannte Nebenwirkungen habe.