Der heute 91-jährige Richard Knoblach war 1943 Luftwaffenhelfer. Der Forchheimer sucht weitere Zeitzeugen.
Man schrieb das Jahr 1943. Insgesamt 200.000 Heranwachsende, junge Männer, die keine Kinder mehr waren, aber auch noch keine Erwachsenen, mussten damals an die Geschütze, die feindliche Bomber vom Himmel holen sollten. Als Luftwaffenhelfer (Lw) mit Flugabwehr-Kanonen, kurz Flak, genannt. Seinerzeit 16- bis 17-Jährige, die den Jahrgängen 1926 und 1927 angehörten, wurden einberufen. Und so machte dieser mörderische Krieg auch nicht Halt vor der damaligen Kleinstadt Forchheim mit seinerzeit 10.000 Einwohnern und ihrem Progymnasium, wie die Forchheimer ihre weiterführende Schule nannten.
Fast 40 Jahre am Herder-Gymnasium
Inzwischen sind 75 Jahre vergangen. Die Zeitzeugen, die davon berichten können, werden immer weniger. Einer, der das noch kann, ist Oberstudiendirektor i.R. Richard Knoblach. Er selbst, Jahrgang 1927, war 1943 Schüler am Neuen Gymnasium in Nürnberg, als auch er im Februar zum Kriegsdienst beordert wurde. Knoblach war von 1952 bis 1991 Pädagoge und der Chef am Herder-Gymnasium. Wie Knoblach erzählt, erfolgte der Kriegsnotdienst an den weiterführenden Schulen (Gymnasien, Ober- und Mittelschulen) in den Jahren 1942 bis 1945 klassenweise. Nach seiner Pensionierung war es ihm ein Anliegen, Nachforschungen im Herder-Schularchiv zu unternehmen über die Flakhelferzeit am Herdergymnasium. Beim Stöbern machte er einiges ausfindig. So mussten Ende August 1943(zum Schuljahresbeginn) 20 Schüler der sechsten Klasse (Jahrgang 1927) ihr Elternhaus verlassen, um in Nürnberg ihre Heimat zu verteidigen. Zurück blieben seinerzeit fünf Jungen in der Klasse des 1928er-Jahrganges, zwei des Jahrganges 1926, die im Februar 1944 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen wurden, und acht Mädchen. Die Schüler kamen in die zweite Batterie der leichten Flak-Abteilung 951, die mit Geschützen vom Kaliber 3,7 cm ausgerüstet und in Nürnberg-Erlenstegen stationiert war. Schulisch gehörten sie nach wie vor zur Oberschule Forchheim, militärisch waren sie dem jeweiligen Batteriechef unterstellt. Am 31. Januar 1944 waren im Großraum Nürnberg-Fürth 2631 Schüler aus 43 Schulen (außer Forchheim alle in Mittelfranken) als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Auch er gehörte dazu.
Strenger Dienstplan
Für sie alle galt ein strenger Dienstplan. In vier Punkten wurde jedoch auf die Minderjährigkeit der Flakhelfer Rücksicht genommen. So gab es nach dem Mittagessen eine Stunde Bettruhe, zum Abendessen oft eine Milchsuppe, der Zapfenstreich war früher als bei den Soldaten und die Lw bekamen keinen Alkohol und keine Rauchwaren. Der 91-jährige Senior berichtet über seine Flakhelferzeit bis September 1944: "Für uns war es ja zunächst ein Abenteuer, denn wir wurden technisch gut ausgebildet. Doch bald mussten wir erleben, dass aus dem Abenteuer blutiger Ernst wurde. Denn keiner hat daran gedacht, wenn wir nach oben schießen, dass auch was von oben runterkommt. Wie viele Flakhelfer, also Noch-Schüler, getötet wurden, ist nicht bekannt."
In Forchheim wurden am 9. März 1944 die Herder-Gymnasiasten nach Schweinfurt versetzt. Schweinfurt hatte wegen der Kugellager-Industrie eine Luftabwehr, die bei den Alliierten, besonders bei den Amerikanern, sehr gefürchtet war. Im September, also unmittelbar nach der Versetzung in die siebte Klasse, wurden die Jungs des Jahrgangs 1928 zum Reichsarbeitsdienst bzw. zur Wehrmacht entlassen. Doch die Luftwaffenhelfer waren ja Schüler und sollten einen - wenn auch auf 18 Wochenstunden gekürzten - Unterricht bekommen, wenn möglich von Lehrern der abgebenden Schule. Die Stundenkürzung brachte aber auch den Wegfall von Fächern mit sich.Als einzige Fremdsprache blieb Latein. Drei Jahrgänge hatten ab der sechsten Klasse eine so stark verkürzte Oberstufe, dass man von einer "Reife" (Abitur) kaum mehr sprechen konnte, obwohl viele Lw den "Reifevermerk" in Verbindung mit dem Kriegsdienst bekamen.
Dokumentation erstellt
1999 erstellte Knoblach eine Dokumentation, die den damaligen Kriegsnotdienst an der Forchheimer Oberschule darstellt. Was ihm nach nunmehr 75 Jahren sehr wichtig ist: Dass die heutige Jugend, aufgewachsen in der längsten Friedensperiode Deutschlands, niemals vergisst, dass diktatorische Systeme auch nicht davor zurückschrecken, Jugendliche in ihre Tötungsmaschinerie einzubeziehen. "Uns hat man damals einen Teil unserer Jugend gestohlen", meint der Senior, "es wird insgesamt viel über die NS-Verbrechen gesprochen. Das war ein Verbrechen an der Jugend und unserem eigenen Volk." Heute gehören die ehemaligen Forchheimer Flakhelfer zu den Männern, die die letzten Teilnehmer des Krieges waren. Vielleicht lebt der eine oder andere der damaligen Schüler der sechsten und siebten Klasse der Forchheimer Oberschule noch und kann sich an diese Zeit erinnern. Vielleicht wäre diese geschichtliche Vergangenheit auch für die Schüler von heute noch sehr interessant. Richard Knoblach bittet um Kontaktaufnahme unter Telefon 09191/2775.