Warum einer 71-Jährigen aus Kitzingen, die nun das Bundesverdienstkreuz trägt, das Wort "Integration" auf den Geist geht.
Sie saß dort, wo sonst Könige wie Carl Gustav von Schweden oder Präsidenten wie Barack Obama Platz nehmen. Maruška Hofmann-Šircelj gehörte zu den 29 Bürgern, die Bundespräsident Joachim Gauck Anfang Oktober im Schloss Bellevue in Berlin mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland auszeichnete. Die 71-jährige Unterfränkin aus Kitzingen erhielt das Bundesverdienstkreuz am Bande für ihren jahrzehntelangen Einsatz in der Flüchtlingshilfe.
Aus dem Fernsehen kennt ihn jeder. Aber wie ist Bundespräsident Joachim Gauck live?Maruška Hofmann-Šircelj: Er hatte überhaupt keine Berührungsängste, sondern war total menschlich und hilfsbereit. Er hat eine wunderbare Ruhe an sich. Beim Fototermin mit Urkunde und Verdienstkreuz hat er ganz unauffällig meine Hand so gehalten, dass nichts runterfallen konnte.
Wie hat Berlin von Ihrem Einsatz im fernen Kitzingen gehört?Wenn ich das wüsste! Für das Bundesverdienstkreuz wird man vorgeschlagen. Aber ich habe keine Ahnung, wer mich vorgeschlagen hat. Vielleicht meldet sich ja durch diesen Artikel jemand, das wäre super.
Wie haben Sie davon erfahren, dass Gauck Sie auszeichnen will?Ich habe Post bekommen. Mit dem Bundesadler auf dem Umschlag. Vor zirka fünf Wochen war das.
Was haben Sie gefühlt, als Sie den Brief gelesen haben?Erstmal hab' ich einfach weitergemacht wie jeden Tag... Ich musste es erst setzen lassen, dass ich zum Bundespräsidenten eingeladen bin.
Und dann?Freude muss man teilen - in meinem Fall mit meiner Tochter Sabine und meiner ganzen Helfer-Bande. Ohne mein Team wäre ich eine Null, da könnte ich gar nichts erreichen. Deswegen war auch gleich klar: Ohne meine Leute fahre ich nicht nach Berlin!
Wie? Normalerweise wird doch höchstens noch der Ehepartner mit zur Ehrung eingeladen, oder? Ja! Ich war die Einzige, die ihre Bande mit angemeldet hat, meine treuesten Helfer Sina Sadat, Martin Hering und Petra Nellen. Meine Tochter Sabine ist zuhause geblieben, weil jemand auf meine beiden Hunde aufpassen musste. Der Bundespräsident hat zu mir gesagt: "Es ist toll, dass Sie Ihr Team mitgebracht haben."
Wie lief die Ehrung ab?Nach dem Sicherheits-Check ging es in den Festsaal. Kurz vor 11 Uhr wurde der Bundespräsident mit seiner Partnerin Daniela Schad vom Protokolldienst offiziell angekündigt. Das war der einzige etwas steife Moment des Tages. Als Joachim Gauck den Raum betrat und einfach 'guten Morgen' sagte, war der Bann gebrochen. Er hat eine tolle Rede gehalten. Danach wurden die Geehrten einzeln nach vorne gerufen. Gauck hat sie vorgestellt und ausgezeichnet. Es waren beeindruckende Leute dabei, die Unglaubliches leisten. Man ist richtig gerührt und begeistert, wenn man hört, was manche alles tun.
Als Sie neben dem Bundespräsidenten standen...... war das unglaublich bewegend! Ich glaube, ich war die Einzige, die sich ganz deutlich sichtbar gefreut hat - jedenfalls hat meine Bande mir das später so gesagt. Nach der Auszeichnung habe ich wohl mit beiden Händen gewunken und bin dann auf meinen Platz "zurückgetanzt".
Was bedeutet Ihnen das Bundesverdienstkreuz?Es ist eine wahnsinnige Ehre, gerade für mich, die ich ja keine gebürtige Deutsche bin. Ich werde das, was da geschehen ist, mit Sicherheit immer im Hinterkopf haben.
Das Bundesverdienstkreuz ist aber nicht die erste hohe Auszeichnung für Sie, stimmt's?2001 hab' ich vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau die Verdienstmedaille der BRD bekommen. Aber damals hatte ich kein Geld, nach Berlin zu fahren, also hat die Kitzinger Landrätin sie mir stellvertretend verliehen.
Aus Ihrer jahrzehntelangen Erfahrung heraus: Was ist das Wichtigste im Umgang mit Flüchtlingen?Ganz einfach: Toleranz. Und zwar von beiden Seiten. Ich versuche stets, die Menschen zu respektieren und zu tolerieren - dann müssen sie das bei mir auch tun. Auch Männer! Ich schreibe ihnen nicht vor, was zu tun ist, sondern lebe es ihnen vor, zeige ihnen einen Weg. Gehen müssen sie ihn selbst.
Funktioniert Integration wirklich so einfach?Das Wort Integration geht mir auf den Geist, ganz ehrlich! Eins gilt überall auf der Welt: Wie man in den Wald schreit, so hallt es zurück. Wenn ich jemanden zu etwas zwingen will, wird er mich auch zwingen wollen. Das heißt aber nicht, dass ich alles akzeptieren muss, nein, im Gegenteil. Man muss auch Grenzen setzen, freundlich und bestimmt.
Wie zum Beispiel?Im der Kitzinger Notunterkunft ist vor einem halben Jahr ein Muslim angekommen, der offenbar großen Einfluss hatte, immer waren quasi "Bodyguards" oder "Bewunderer" um ihn herum. Er hat sich geweigert, mir die Hand zur Begrüßung zu geben, weil ich eine Frau bin, und er wollte sich auch nicht hinten in der Reihe anstellen. Ich habe mir gedacht: Okay, dann halt nicht, und habe ihn einfach ignoriert. Offensichtlich hat er Zeit gebraucht, um zu verstehen. Jedenfalls kam er irgendwann später und streckte mir die Hand zur Entschuldigung entgegen...
Angela Merkels "Wir schaffen das" hat zu kontroversen Diskussionen in Deutschland geführt. Wie sehen Sie das? Wir hätten es letztes Jahr, als Merkel das gesagt hat, wirklich schaffen können. Deutschland hat ja selbst eine lange Flüchtlingsgeschichte - wenn wir alle uns daran erinnert hätten und jeder sein Scherflein beigetragen hätte, dann hätten die Emotionen gar nicht ausufern müssen. Mittlerweile ist die Stimmung vielerorts schlecht.
Warum ist das so?Weil viele die Situation verallgemeinern. Natürlich gab es unschöne Szenen, aber: "Die" Flüchtlinge gibt es nicht. Manche haben schlimmstes Leid erlebt, andere nicht. Viele Deutsche hatten falsche Erwartungen von "den Flüchtlingen" - und umgekehrt genauso. Viele Flüchtlinge denken, dass alle Deutschen BMW fahren und eine tolle Arbeit haben. Dass die Deutschen aber oft auch deutlich besser ausgebildet sind und vergleichsweise viel arbeiten, das sehen sie erst vor Ort.
Und dann werden sie mutlos? Radikal? Depressiv?Wir müssen unsere Denkweise ändern, auch wir Deutschen. Wir reden immer von traumatisierten Flüchtlingen, die keine Perspektive sehen. Nein! Jeder, der es nach Deutschland geschafft hat, hat schon allein dadurch eine Perspektive. Es gibt Berufe, die auch ein schlecht Ausgebildeter erlernen kann. Außerdem gibt es viele Bildungs-Möglichkeiten. Wir alle, gerade auch die Flüchtlinge, müssen lernen, erst mal kleinere Brötchen zu backen. Bei Null anfangen, arbeiten, Geld verdienen, weitermachen.
Mit anderen Worten: Geduld haben, fleißig sein. Typisch deutsche Tugenden...Neben Toleranz ist Geduld tatsächlich das Allerwichtigste! Integration dauert länger, als beide Seiten sich das wünschen. Es ist keine Sache von Monaten oder auch Jahren, sondern von Generationen.
Zur Person:
Maruška Hofmann-Šircelj wurde vor 71 Jahren in Slowenien geboren. Der Liebe wegen zog die Kindergärtnerin, die fünf Sprachen spricht, als 25-Jährige nach Deutschland, in den Kreis Kitzingen. Nach Ausbruch des Krieges im ehemaligen Jugoslawien organisierte sie Anfang der 90er Jahre Hilfstransporte in ihre alte Heimat. Sie engagierte sich im Arbeitskreis Asyl und wurde zu einer starken Stütze in der Flüchtlingshilfe des Landkreises. Voller Energie hilft sie noch immer: mit Fahrten zum Arzt, Dolmetschen, bei der Versorgung von Familien. Dank ihrer zupackenden Art und ihres Einfühlungsvermögens hat sie ein Netzwerk aus vielen helfenden Händen geschaffen.
Herzlichen Glückwunsch Frau Hofmann-Šircelj!
Und lassen Sie alle (mit Sicherheit folgenden) dümmlich-braunen Kommentare einfach abperlen.