Wenn Unfallopfer für "hirntot" erklärt werden, kann ihr Körper eine Weile am Leben erhalten werden, mit Medikamenten, künstlicher Beatmung, Litern von gespendetem Blut. Die aus Coburg stammende, in Bamberg lebende Autorin Friederike Schmöe führt mit ihrem neuen Roman in das brisante Thema Organspende.
Bis geklärt ist, ob Organe entnommen werden dürfen, für die es eine lange Liste von Kranken gibt, deren weiteres Leben von einem Spenderorgan abhängt, liegt der tote Untote mit rosigen Wangen, atmend, zwischen den Schläuchen. In welchem Zustand, wo befindet sich da "der Mensch"?
So kommt das "Ersatzteillager" dann gegebenenfalls auf den Operationstisch, wird von der Kehle bis zum Schambein aufgeschnitten, es fließen Unmengen Blut. Es kommt vor, dass das Herz "wieder anspringt" und der "Tote" reanimationspflichtig wird. "Er wird auf dem OP-Tisch ermordet", sagt der Arzt Dr. Schmidt in Friederike Schmöes neuem Kea Laverde-Roman "Ein Toter, der nicht sterben darf". Er hält es nicht mehr aus, die Angehörigen im Schockzustand zu Einverständniserklärungen bringen zu müssen, mit denen sie ihr Leben lang nicht fertig werden, die Lobbyisten des riesigen Geschäftes und die nach Organen "geilen Chirurgen" im Nacken.
Die aus Coburg stammende, in Bamberg lebende Autorin Friederike Schmöe hat sich mit ihrer Krimireihe über die bei München lebende Ghostwriterin Kea Laverde - ihre im Gegensatz zur Bamberger Detektivin Katinka Palfy vom Leben bereits deutlich versehrte Pro tagonistin - immer wieder in bedrängende Bereiche unserer Gesellschaft begeben.
Jetzt soll Kea Laverde die Geschichte der jungen Alexa aufschreiben, die durch Zufall erfährt, wessen Herz ihr wieder Lebenskraft gibt: das Herz des jungen portugiesischen Programmierers Rui Peres Oliveira, der am Tag ihrer Transplanta tion aus ungeklärten Gründen an einen Münchner Brückenpfeiler fuhr. Regelwidrig will sie wissen, wer dieser Rui war, reist mit Kea Laverde nach Lissabon, hat das Gefühl, das "etwas" von Ru is Gefühlen und Erinnerungen in ihr weiterlebt. Gibt es ein "Zellgedächtnis"? Was macht den einzelnen aus? Was ist tatsächlich auch in seine Organe, in seinen Körper eingeschrieben?
Da kommt die Nachricht, dass die Polizei Manipulationen an den Bremsen von Ruis Wagen entdeckt hat. Trägt Alexa also zudem das Herz eines Ermordeten?
Im Schockzustand Sehr vielschichtig und packend zieht uns Friederike Schmöe in die verschiedenen Lebensgeschichten, von der Familie und der Verlobten Ruis in Lissabon bis zu den Angestellten der Münchner Computerfirma, bei der Rui arbeitete, und seiner dortigen Geliebten Dagmar, bis zu dem Arzt Dr. Schmidt, der die gängige Organspende-Praxis mehr und mehr infrage stellt.
Schmöe ist sehr versiert darin, in kürzester Zeit über packende Dialoge und innere Monologe unterschiedliche Gesellschaftsbereiche und heutige Politik lebendig werden zu lassen und kritisch zu hinterfragen, immer haut- und seelennah an ihren Figuren. In diesem Roman gelingt es ihr wieder sehr intensiv, an konkreten Schicksalen die erschreckende Problematik zu vermitteln.
Es ist erklärte Politik, dass die Bereitschaft zur Organspende in der Gesellschaft erhöht werden soll. Schmöe lässt den mit den Explantationen beschäftigten Arzt Dr. Schmidt darlegen, dass "hirntot" eine definitorische Angelegenheit ist, nicht mehr als "eine Station auf dem Weg zum Tod", dass es berechtigte Zweifel am Konzept Hirntod gebe, dass kritische Studien nicht veröffentlicht würden, damit Widersprüchlichkeiten und ethische Fragen "der Medizinindustrie nicht das Geschäft verderben".
Was der Leser zu spüren kriegt Mit dem Arzt erleben wir, wie der Schockzustand von Angehörigen ausgenutzt wird für die Erzwingung von Entscheidungen, zu denen kein Mensch gezwungen sein sollte. "Nur jeder Mensch kann für sich selbst bestimmen, dass er seine Organe zur Verfügung stellt." Dieser kritische Arzt sagt, man halte sich an die Gesetze. Doch werde der Öffentlichkeit die tatsächliche Dimension zwischen Hirntod und letztendlichem Sterbezeitpunkt verschwiegen.
Schmöe schreibt in ihrer Erklärung zu ihrem durchaus umfangreichen Quellenverzeichnis, dass sich ihre - erfundene - Geschichte an medizinischen Fakten orientiert. Tatsächlich gibt sie den Transplantationskritikern wie den auf ein Spenderorgan angewiesenen Positionen Raum, als Literatin eben so, dass der Leser zu spüren kriegt, was die jeweilige Haltung bedeutet.
Das Motiv für die Ermordung Ruis erweist sich übrigens als relativ banal, womit Schmöe auch in dieser Dimension nah an der Realität ist.
Friederike Schmöe: Ein Toter, der nicht sterben darf.Kriminalroman. Gmeiner Verlag Meßkirch, 252 Seiten, 9,99 Euro.Friederike Schmöe, geboren 1967 in Coburg und hier aufgewachsen, studierte Französisch, Italienisch und Germanistik in Bamberg. Sie promovierte und habilitierte sich und ist als Privatdozentin an den Universitäten Bamberg und Saarbrücken tätig. Daneben hat Schmöe seit 2000 eine Vielzahl von Kriminalromanen veröffentlicht.