Kostenloses WLAN in Deutschland: Im Tal der Ahnungslosen

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Symbolfoto: imago
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Deutschland ist ein Entwicklungsland, was die Versorgung mit kostenlosen Wlan-Hotspots betrifft. Kritiker sprechen spöttisch vom "Silly Valley". Die freie Fahrt auf der Datenautobahn scheitert weniger an der Technik als vielmehr an der komplizierten Rechtslage.

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Wer eine Bundestagsdebatte verfolgt, wundert sich: Die meisten Abgeordneten sind mehr mit ihren Smartphones und Tablets beschäftigt als mit dem Redner am Pult. Verwunderlicher ist die Digitalisierung der Politik aber vor allem aus einem anderen Grund: Viele der Politiker, die rund um die Uhr online sind, sträuben sich gegen die freie Fahrt für alle auf der Datenautobahn.

Deutschland ist ein Internet-Entwicklungsland, und Spötter sprechen in Anlehnung an die kalifornische Ideenschmiede Silicon Valley vom "Silly Valley", vom Land der Dummen, was wiederum ein wenig nach "Tal der Ahnungslosen" klingt. Dieses Attribut hatten in der DDR die Regionen, in denen der Empfang des West-Fernsehens nicht möglich war.
 


Wer stört da?

Heute scheint alles möglich, selbst die Überwachung des Mail-Verkehrs durch Geheimdienste oder die Anzapfung des Handys der Kanzlerin; aber im Detail stößt das weltweite Datennetz (www = world wide web) gerade in Deutschland an Grenzen, die es so in anderen Ländern nicht gibt.

In der Bundesrepublik begegnen sich in der Wunderwelt des www zwei Philosophien, wobei das bürokratische Unwort "Störerhaftung" nur ein Aspekt ist. Die Störerhaftung behindert aktuell die Verbreitung von Wlan-Hotspots; das sind Knotenpunkte, die jedermann überall per Smartphone oder Tablet den Zugang ins Internet ermöglichen.

In Deutschland gibt es je nach Zählart pro 10.000 Einwohner nicht einmal zwei dieser Eingänge ins www. Noch schlechter vernetzt sind von den Industrienationen nur Japan, China und Russland; Hotspot-Weltmeister ist Südkorea mit fast 40 Netzknoten pro 10.000 Einwohner.
 


Anfangsverdacht

Schuld an diesem Rückstand ist die Rechtslage in Deutschland. Der Begriff "Störerhaftung" beschreibt ein kompliziertes Gesetzeswerk, das die Freiheit im Internet beschränkt oder zumindest zu beschränken versucht. Vereinfacht beschrieben: Stellt jemand einem anderen einen Zugang ins Internet zu Verfügung und verstößt dieser andere im Internet gegen das Gesetz (etwa beim Jugendschutz oder Urheberrecht), kann der, der sein Netzwerk geöffnet hat, dafür zur Verantwortung gezogen werden.

Für die Befürworter des freien Datenverkehrs wird damit ein Rechtsprinzip auf den Kopf gestellt: Statt der Unschuldsvermutung steht jeder, der ins Internet geht, schon unter "Anfachtsverdacht". Das ist ein Unding, findet Peter Mühlenbrock aus Nürnberg. Er gehört zur rasch wachsenden "Freifunk"-Community. Hier organisieren sich Privatleute, die für andere ihr eigenes Netzwerk öffnen. Gerade in Franken wächst die Zahl der "Freifunk"-Hotspots (www.freifunk-karte.de).

Laut Mühlenbrock gibt es nur in Deutschland diese "seltsame" Rechtslage: "Das ist ja in etwa so, als würde man den Betreiber einer Bahnlinie mit zur Verantwortung ziehen, wenn ein Dieb mit dem Zug zu seinem Banküberfall fährt."
 


Böses Netz

Auch die Bundesregierung ist inzwischen davon abgekommen, das Internet erst einmal als "böse" anzusehen und seine Nutzer quasi zu kriminalisieren. Der Bundesrat hat erst am Freitag über neue Richtlinien zur Störerhaftung debattiert, konnte sich aber nicht dazu durchringen, dem Vorstoß aus Thüringen zuzustimmen; der sieht eine generelle Abschaffung der Störerhaftung vor.

Die Tendenz im Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums geht dahin, die Haftung zu lockern - wenn die Anbieter bestimmte Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Nutzer müssten sich anmelden und versichern, dass sie im Internet keinen Unfug treiben...

Die CSU-Netzpolitikerin Dorothee Bär, Bundestagsabgeordnete aus dem unterfränkischen Ebelsbach, sieht da "schwammige Formulierungen", mit denen man weder das eine noch das andere erreiche: weder freien Zugang ins Netz noch Sicherheit.

Nebenbei: Setzt sich das SPD-geführte Wirtschaftministerium mit dem Entwurf zu den Hotspots durch, gibt es einen Wlan-Piraten gleich nebenan am Kabinettstisch: Das von der CSU geführte Ministerium für Verkehr und digitale Infrastrukur (Alexander Dobrindt) bietet seit Januar rund um sein Haus freies Wlan für alle an, ganz ohne Passwort, ohne jede Sicherheitsschranke.
 


Begriffe

Technik Internet ist allgegenwärtig, aber gerade für die Nutzer von Smartphones meist teuer: Denn sie müssen Verträge abschließen, um die Funknetze der Betreiber nutzen zu können, die Internetzugang anbieten. Je nach Leistung sind für solche Verträgemit Internet-Flatrate 30 Euro und mehr im Monat fällig.

Wlan Die Abkürzung steht für Wireless Local Area Network (deutsch "drahtloses lokales Netzwerk") ein Funknetz, das den kabellosen Zugriff mittels geeigneter Geräte erlaubt. In der Regel ist die Reichweite der Sender auf das eigene häusliche Umfeld beschränkt.

Wifi Dieser Begriff wird vor allem in englischsprachigen Ländern oft als Synonym für Wlan benutzt, ist aber strenggenommen nicht das gleiche. "Wifi" ist ein Kunstwort in Anlehnung an den Standard "Hifi" (High Fidelity = hohe Klangtreue) bei der Wiedergabe von Audiodateien. Ein internationales Firmenkonsortium hat eine Norm für die drahtlose Übertragung von Dateien festgelegt und diese als Wifi bezeichnet.

Hotspot Der "heiße Punkt" ist eine Schnittstelle für den Zugang ins Internet. Wegen der Rechtslage sind solche Knotenpunkte in Deutschland selten, und in der Regel kostet die Nutzung nach einer gewissen Zeit Geld. Große Ketten wie McDonalds oder Starbucks bieten in ihren Filialen kostenlose Hotspots.

Freifunk In dieser Community öffnen private Nutzer ihre Funknetze für andere - kostenlos und ohne Schranken.
 


Kommentar

Es hat schon etwa von Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet der Zuzug der Flüchtlinge nach Deutschland die Diskussion um freies Internet neu belebt.

Die Tatsache, dass viele Flüchtlinge nur mit dem Notwendigsten im Gepäck ihre Heimat verlassen, aber ausgerechnet ein Smartphone dabei haben, schürt durchaus Vorurteile: Sooo schlecht kann es ihnen dann ja nicht gehen...

Wer so denkt, übersieht, dass die Nutzung moderner Kommunikationsmittel in den meisten Ländern der Welt sehr viel weiter verbreitet ist als hierzulande. Gerade in armen Ländern ohne vernünftig ausgebaute Infrastruktur und/oder mit staatlicher Zensur ist das Handy in seiner weit entwickelten Form die einzige Möglichkeit, Zugang zu Informationen zu bekommen und selbst zu kommunizieren. Der "arabische Frühling" wäre unmöglich gewesen ohne die Verständigung in den Netzwerken.

Die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, brauchen das Smartphone, um mit Verwandten und Freunden in Kontakt zu bleiben, die in den Heimatländern bleiben müssen; deshalb sind Initiativen wie "Freifunk" aktuell vor allem in der Umgebung von Flüchtlingsunterkünften aktiv. Informationen sind in Deutschland vielleicht nicht mehr lebenswichtig wie in Syrien, aber ein Menschenrecht.

Wir leben in einer Informationsgesellschaft. Nun mag man über die Inhalte, die in sozialen Netzwerken verbreitet werden, die Nase rümpfen, man mag den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören ob der Bildungsferne, die sich im www tummelt. Aber die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Der Gesetzgeber verkennt die Realität, wenn er meint, die vernetzte Welt irgendwie regulieren zu können. Umgekehrt ist jeder naiv, der glaubt, das Internet sei ein rechtsfreier Raum und ein Konzern schenke ihm Bandbreite aus lauter Großherzigkeit. Die Freiheit im Internet braucht Verantwortung, und die muss jeder Nutzer erst einmal selbst übernehmen. Deutsch ist für Flüchtlinge das wichtigste Schulfach. "Internet" und "Datenschutz" sollten für alle schon längst auf dem Lehrplan stehen.