Mehrere tausend Flüchtlinge sollen unter anderem in ehemaligen Kasernen in Bamberg, Roth und Schweinfurt unterkommen. Die Konfusion um Verteilung, Zuständigkeiten, Finanzierung und Unterbringung macht die wichtigste Aufgabe noch schwieriger: Integration.
Viele Zahlen schwirren durch den Raum, und sie machen erst einmal Angst, stiften in jedem Fall Unruhe: Bis zu 20 000 Flüchtlinge könnten in naher Zukunft in ehemaligen Einrichtungen der US-Armee in Bamberg, Schweinfurt und Roth untergebracht werden. Eine große Ausgabe für Behörden und Kommunen, eine Heraus-, wenn nicht Überforderung für ehrenamtliche Helfer, eine Nagelprobe für die Willkommenskultur, auch wenn es am Ende dann vielleicht "nur" 10 000 oder 15 000 sein werden.
Für die Zahlen, die am Dienstag durchgesickert waren und die betroffenen Städte in helle Aufregung versetzt hatten, gab es am Mittwoch keine offizielle Bestätigung. Das Sozialministerium in München und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in München sagten,dass die aktuelle Notsituation, sprich die Einreise einer großen Zahl von Flüchtlingen, schnelle Entscheidungen und auch "unkonventionelle Lösungen" erfordere. Deshalb, so die Bundesanstalt, prüfe der Bund derzeit, wie und wo er eigene Gebäude zur Unterbringung von Asylbewerbern nutzen könne. "Die leer stehenden Kasernen sind eine Option", sagte ein Sprecher der Behörde, die die Immobilien des Bundes verwaltet; konkrete Zahlen für einzelne Standorte gebe es nicht.
In Schweinfurt war die Aussicht, möglicherweise bis zu 10 000 Flüchtlinge in zwei Kasernen in der Stadt und im Landkreis unterbringen zu müssen, mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden. "Damit würden wir an die Grenze dessen stoßen, was wir leisten können", sagte Oberbürgermeister Sebastian Remele (CSU). Bei allem Verständnis für die Not der Menschen, die nach Deutschland kommen, dürfe man nicht die Bereitschaft zur Hilfe in diesem Land über Gebühr beanspruchen.
Platz für 5000 Menschen
Der Schweinfurter Landrat Florian Töpper (SPD) geht davon aus, dass nur eine der beiden ehemaligen US-Immobilien für die Unterbringung von bis zu 5000 Flüchtlingen genutzt wird; die ehemaligen Conn-Barracks bei Schweinfurt. Die Wohnsiedlung Askren Manor in Schweinfurt will die Stadt selbst nutzen. "Wir brauchen dieses Areal für die Weiterentwicklung", sagte Remele. Er erwartet "schnelle und klare Entscheidungen" von Bund und Land, Unterstützung und auch finanzielle Hilfe und vor allem: besseren Informationsfluss.
Ähnlich wie Schweinfurt waren auch Bamberg und Roth von den Überlegungen der Bundes- und Landesbehörden überrascht, man könnte auch sagen überrumpelt worden. "Ich habe bis zur Stunde keine Mitteilung erhalten, welche Pläne es für Bamberg gibt. Ich warne davor, die Stadt Bamberg und die Bevölkerung zu überfordern", sagte Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD) am Mittwoch bei der Eröffnung des "Balkanzentrums" in der ehemaligen US-Kaserne. Die Stadt und ihre Bürger hätten hier vorbildlich und schnell gehandelt; diese Hilfsbereitschaft dürfe man nicht aufs Spiel setzen.
Mehr Geld, mehr Planung
Und diese Hilfsbereitschaft ist groß, gerade auf kommunaler Ebene und trotz einer gewissen Hilflosigkeit, die sich in den jüngsten Aktionen der "großen" Politik widerspiegelt. Der Vorsitzende des Städtetags in Bayern, Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD), ist der Meinung, dass die Unterbringung der Flüchtlinge von den Kommunen gestemmt werden kann. "Die Nutzung von Kasernen oder anderen Leerständen macht Sinn. Darauf hätte der Bund aber auch schon im Juni kommen können", sagt Maly. Er fordert finanzielle Hilfen und mehr Planung.
Der Königsteiner Schlüssel
Prinzip Nach dem Königsteiner Schlüssel wird festgelegt, wie die Länder der Bundesrepublik sich je nach ihren Möglichkeiten an gemeinsamen Aufgaben beteiligen. Der Zweck war ursprünglich die Finanzierung überregionaler Forschungseinrichtungen; heute regelt dieser Schlüssel von 1949 viele Bund-Länder-Aufgaben, darunter auch die Verteilung der Asylbewerber.
Schlüssel Der Anteil, den ein Land tragen muss, richtet sich nach der Steuerkraft und der Bevölkerung. Der Schlüssel wird von der Wissenschaftskonferenz jedes Jahr neu berechnet. Seinen Namen hat die Regelung von der Tagung in Königsstein im Taunus, bei der im Jahr 1949 diese Beschlüsse gefasst wurden.
Quote Nach dem Schlüssel muss 2015 Nordrhein-Westfalen die meisten Flüchtlinge aufnehmen (21,24 Prozent) und Bremen die wenigsten (0,94 Prozent). Bayern liegt mit 15,33 Prozent auf Platz zwei. Die Quoten (gerundet): Baden-Württemberg 13 %, Bayern 15 %, Berlin 5 %, Brandenburg 3 %, Bremen 0,9 %, Hamburg 2,5 %, Hessen 7,3 %, Mecklenburg-Vorpommern 2 %, Niedersachsen 9 %, Nordrhein-Westfalen 21 %, Rheinland-Pfalz 5 %, Saarland 1 %, Sachsen 5 %, Sachsen-Anhalt 3 %, Schleswig-Holstein 3 % und Thüringen 3 Prozent.
Kommentar
Große Aufgabe, langer Atem
Ein Minister macht die Grenzen dicht, ein anderer will Schleusern die Boote wegnehmen, der Dritte lässt Hass-Kommentare im Internet löschen. Die Einen malen das Gespenst der Überfremdung auf Transparente, die Anderen sammeln Kleider für die Flüchtlinge. So viele Gründe es für Menschen gibt, die Heimat zu verlassen, so viele Wege gibt es, mit diesem Phänomen umzugehen.
Die Völkerwanderung, die diese Welt in diesen Tagen erlebt, ist nicht ohne Beispiel; die Weltgeschichte kennt viele solcher Bewegungen, die nicht aus dem Nichts entstehen. Der Bau von Zäunen und die Einführung von Grenzkontrollen im grenzenlosen Europa als Reaktion auf die nicht enden wollende Karawane der Heimatlosen zeugt von Hilflosigkeit. Eine Welt, die ihren Wohlstand auch der Tatsache verdankt, dass Waren, Energie, Daten, Geld, Arbeitsplätze und Informationen ungehindert rund um den Globus fließen, kann nicht Menschen stoppen mit den Methoden aus dem letzten Jahrhundert, mit Stacheldrahtverhauen und bewaffneten Posten, die Boote im Meer versenken.
Ein naives "Herzlich Willkommen" wird dem Phänomen Völkerwanderung freilich ebenso wenig gerecht wie ein dumpfes "Deutschland den Deutschen". Die Flüchtlinge sind weder lauter Heilige noch allesamt Radikale. Es sind Menschen in einem fremden Land, die sich mit Integration ebenso schwer tun werden wie die Gesellschaft, die ihnen Asyl bietet. Der Kulturschock, wenn man es so nennen will, trifft beide. Ein guter Grund, sich die Hand zu reichen.
Flüchtlinge sind mehr als die Fachkräfte, die die Wirtschaft braucht, und das Modell Deutschland ist auch viel mehr als eine soziale Hängematte. Der Zuzug fremder Menschen bringt die Gesellschaft in Bewegung, und das ist gut in einem Land, das zu vergreisen droht, das in vielen Bereichen, etwa im Städtebau, im Stillstand verharrt. Nichts von dem ist einfach, geht über Nacht. Nur muss man schnell aufhören, wie beim Klimawandel über das Ob und Warum zu debattieren und zu lamentieren. Zuwanderung ist ein Fakt. Deutschland muss damit umgehen. Und kann es.
Menschen auf der Flucht
Die aktuelle Völkerwanderung ist nicht die erste, die Bayern erlebt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen 2,1 Millionen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten in den Freistaat - damals vielerorts alles andere als willkommen.
Das Dörfchen Wagenhausen (Gemeinde Theres in Unterfranken) etwa ist bis heute Heimat der Nachkommen von Flüchtlingsfamilien; die amerikanische Besatzungsregierung hatte 1947 das gesamte Dorf bis auf ein Haus beschlagnahmt und Sudetendeutsche dort untergebracht, zum Teil vier und mehr Familien unter einem Dach.
Die zweite Zuwanderungswelle waren die Gastarbeiter vor allem aus Italien, Griechenland und der Türkei, die den Arbeitskräftemangel in der fränkischen Industrie beendeten. Sie und ihre Nachkommen machen den größten Teil der heute 1,1 Millionen ausländischen Mitbürger im Freistaat aus. Die dritte Zuwanderungswelle bestand aus deutschstämmigen Spätaussiedlern aus Osteuropa; etwa 650 000 kamen nach Bayern.
Flüchtlinge wird es auch in Zukunft geben. Die Vereinten Nationen schätzen, dass der Klimawandel - hier Wassermangel, dort steigender Meeresspiegel - bis 2050 rund 200 Millionen Menschen heimatlos macht.