Energiewende in Franken: Viele offene Fragen und Bedenken

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Lösen Erdkabel die Probleme der Energiewende - oder fangen sie damit erst richtig an? Foto: dpa
Lösen Erdkabel die Probleme der Energiewende - oder fangen sie damit erst richtig an?  Foto: dpa
Sind die Erdkabel der Stein der Weisen? Nein, sagen die Kritiker. Zumal der Stromtransport damit viel teurer wird und doch nicht unsichtbar ist: Am Ende der Kabeltrassen entstehen Konverterstationen zur Umwandlung des Gleichstroms in Wechselstrom, die, wie die Illustration verdeutlicht, fast so groß sind wie ein Atomkraftwerk! Fotos: dpa/TransnetBW
Sind die Erdkabel der Stein der Weisen? Nein, sagen die Kritiker. Zumal der Stromtransport damit viel teurer wird und doch nicht unsichtbar ist: Am Ende der Kabeltrassen entstehen Konverterstationen zur Umwandlung des Gleichstroms in Wechselstrom, die, wie die Illustration verdeutlicht, fast so groß sind wie ein Atomkraftwerk!  Fotos: dpa/TransnetBW
 

Die Stromtrassen sollen unter die Erde. Wo sie verlaufen werden, ist offen, ebenso viele andere Fragen. Aber schon jetzt wachsen die Bedenken. Landwirte fürchten Ernteeinbußen, Mediziner warnen vor Gesundheitsrisiken. Und alle haben Angst vor der Explosion der Kosten.

Bis zum 13. Dezember kann die Öffentlichkeit zu den neuen Plänen für den Bau der Stromtrassen Stellung nehmen. Diese Beteiligung der Bürger ist ja an sich eine gute Sache. Nur wissen wohl die wenigsten Bürger, worüber genau sie sich da genau Gedanken machen sollen. Landauf, landab wird protestiert, und die Meinung der Bürger ist klar, die in einem der Trassenkorridore leben: Sie wollen gar keine Leitung.

Dabei schienen alle Probleme der Energiewende aus der Welt geschafft: Erdkabel statt Hochspannungsleitungen! Selbst der Freistaat Bayern, der neue Leitungen erst einmal abgelehnt hatte, konnte sich plötzlich für einen Glaubenssatz der Energiewende erwärmen: Der Ausstieg aus der Kernenergie funktioniert nur, wenn künftig Windenergie aus dem Norden über große neue Stromautobahnen in den Süden transportiert wird.


Aller (guten?) Dinge sind drei

Drei dieser Großprojekte tangieren Franken: im Westen Südlink von Hamburg über Grafenrheinfeld in den Raum Stuttgart; im Osten Süd-Ost-Verbindung von Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt nach Gundremmingen in Bayern. Das sind zwei Leitungen mit der neuen verlustarmen Gleichstrom-Technik (HGÜ), durch die 500 000 Volt fließen.

Eine dritte Trasse im Netzausbauplan soll Stromlücken zwischen Thüringen und Bayern schließen: Diese konventionelle Wechselstromleitung heißt je nach Variante P44 oder P44mod. Im ersten Fall würde sie quer durch das Coburger und Heldburger Land sowie die Haßberge von Schalkau nach Grafenrheinfeld führen; im zweiten Fall als weitere Trasse parallel zur neuen "Frankenleitung" von Altenfeld nach Würgau. Gegen die erste Variante laufen die Politiker in Unterfranken Sturm, die zweite will man in Oberfranken nicht haben. Und weder die eine noch die andere Leitung in Thüringen. Egal wie sie heißen und wo sie verlaufen sollen: Gegen die neuen Stromtrassen formiert sich heftiger Widerstand.


Am besten ganz ohne?

Bürgerinitiativen wollen die "Monstertrassen" in Franken verhindern und lassen sich von der Aussicht, dass sie unter der Erde verschwinden sollen, nicht beruhigen. Es bleiben Zweifel, ob neuen Stromtrassen wirklich gebraucht werden, um Windstrom (und nur Windstrom!) in den Süden zu bringen.

"Die Befürchtung, dass es um Braunkohlestrom aus dem Osten geht, hat sich bewahrheitet", sagt Dörte Hamann von der Bürgerinitiative Leinburg im Landkreis Nürnberger Land. Was selbst die Bundesnetzagentur nicht dementieren kann, weil es physikalisch unmöglich ist, den Strom zu filtern; so lange Kohlekraftwerke laufen, wird durch jede Leitung auch "Kohlestrom" fließen. Und auch Atomstrom durch den Verbund der europäischen Stromnetze.

In die Zweifel an der Architektur der Energiewende mischt sich bei den Bürgerinitiativen im Norden Bayerns Enttäuschung über die Landesregierung. Zunächst standen die CSU und Seehofer an der Seite, ja an der Spitze der Anti-Trassen-Bewegung. Seit sich München in Berlin mit der Forderung nach Erdkabeln durchgesetzt hat, fühlen sich die Bürger alleine gelassen, und selbst für viele fränkische Kommunalpolitiker der CSU ist München inzwischen fast schon ein Schimpfwort.


Der Wackersdorf-Effekt

Erinnerungen an Wackersdorf werden wach. Der Widerstand der Bürger brachte 1989 die in der Oberpfalz geplante und von der Landesregierung protegierte Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstäbe zu Fall. Das ist bis heute ein Trauma für die CSU.

Im aktuellen Trassenkampf kommt der Widerstand von vielen Seiten. Auch der Bauernverband meldet Bedenken an: Er beklagt den Landverlust durch eine in der Summe 1500 Kilometer lange, 50 Meter breite Kabeltrasse: 7500 Hektar Agrarfläche! Was über den Kabeln wachsen wird, weiß niemand. Wo 500 000 Volt durch die Erde fließen, entsteht Wärme, die den Boden austrocknet. Dafür gibt es keine Erfahrungswerte. Die "Süddeutsche Zeitung" hat den Bau der Stromautobahnen als "Deutschlands größten Feldversuch" bezeichnet. Mit Risiken und Nebenwirkungen: von Magnetfeldern bis hin zu Mehrkosten in Milliardenhöhe.


Fakten zur Energie

Energie
Die Diskussion um die Energiewende in Deutschland fokussiert sich sehr auf den Strom. Dabei macht die elektrische Energie nur einen kleinen Teil des Gesamtverbrauchs aus. 20 Prozent der Energie kommen als Strom aus der Leitung. Weitaus größer ist der Verbrauch an Öl und Gas für Raumheizung und Mobilität. Die Energiewende in diesen Bereichen kommt anders als beim Strom nur langsam voran.

Verbrauch
In einem Jahr werden in Deutschland 3800 Milliarden Kilowattstunden Primärenergie erzeugt; durch Verluste bei Transport und Umwandlung und Transport kommen 2500 Milliarden Kilowattstunden beim Verbraucher an. Zum Vergleich: Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld produzierte im Jahr zehn Milliarden Kilowattstunden Strom. Man bräuchte 250 Kernkraftwerke, um den ganzen Energiebedarf zu decken.

Import
Nur etwa ein Drittel seines Energieverbrauchs kann Deutschland selbst, fast 70 Prozent werden importiert: 90 Millionen Tonnen Rohöl, 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas, 41 Millionen Tonnen Steinkohle. Den größten Anteil an "hausgemachter" Energie hatte lange die wegen der Umweltauswirkungen umstrittene Braunkohle; inzwischen haben die Erneuerbaren Energien sie überholt.

Strom
Die elektrische Energie konnte erst durch technische Fortschritte im 19. Jahrhundert sinnvoll eingesetzt werden. Davor nutzten die Menschen die Verbrennung von Holz und Kohle zur Erzeugung von Wärme oder zur Verrichtung von Arbeit (Dampfmaschine). Erfindungen wie leistungsfähige Generatoren (Siemens) und die Glühlampe (Edison) sowie die Verfügbarkeit des Stromes durch ein immer dichtes geknüpftes Leitungsnetz verhalfen der Elektrizität zum Siegeszug.

Prinzip
Strom wird in Generatoren durch Induktion erzeugt: In einer Hülle, die aus Drahtwicklungen besteht, dreht sich ein Magnet. Dabei wird die Bewegungsenergie in Strom umgewandelt. Systembedingt haben Wärmekraftwerke (Dampf treibt den Generator an) einen Wirkungsgrad unter 50%, weil ein Großteil der Energie ungenutzt als Abwärme verpufft; dabei ist es gleichgültig, ob als Wärmequelle Kohle, Gas oder Kernbrennstoffe dienen.

Technik
Strom hat drei Kenngrößen: Stromstärke, Spannung und Frequenz. Die Stromstärke gibt die Menge an Strom an, die durch eine Leitung fließt, gemessen in Ampere (analog zur Wassermenge in der Leitung). Die Spannung, gemessen in Volt, wird benötigt, damit der Strom fließen kann (Druck in der Wasserleitung). Die Frequenz, gemessen in Hertz, wird durch die Bewegung in den Generatoren erzeugt. Damit Erzeuger und Verbraucher synchronisiert werden können, legt man eine Netzfrequenz fest. In Deutschland sind es 50 Hertz - 100 Mal in jeder Sekunde ändert der Strom seine Fließrichtung. Anders der Bahnstrom: Hier fließt der Strom mit 16,7 Hertz in einem separaten Netz.


Kommentar von Günter Flegel: "Da war doch mal was..."

Kraftwerke werden gebaut, die gar keiner braucht, Strom im Überfluss produziert und praktisch verschenkt, Leitungstrassen durch das Land geprügelt. So kann die Energiewende nicht funktionieren.

So hat sie aber funktioniert. Nicht heute, sondern in den 70er und 80er Jahren, als der Ausbau der Kernenergie politisch gewollt war und durchgepaukt wurde, nicht zuletzt als Reaktion auf die Ölkrise. So setzte man ein Atom-Ei auch vor die Tore Schweinfurts.

In Grafenrheinfeld wurde Strom für vier Millionen Haushalte erzeugt, ein Fünftel des Bedarfs im ganzen Freistaat. Damit sie diese Energie von den Kraftwerken wegschaffen konnten, bauten Eon und Co. das Übertragungsnetz, ein System aus 35 000 Kilometern Höchstspannungsleitungen.

Jetzt haben die den Salat, die die Energiewende weg vom Atomstrom umsetzen müssen: Das Monsternetz ist da, man kann es nicht abbauen und, was das Vernünftigste wäre, durch ein neues System ersetzen, das die dezentrale Erzeugung aus Sonnen-, Wind- und Biomassekraftwerken besser berücksichtigt. Irgendwie müssen die vielen tausend Kleinkraftwerke in ein Netz integriert werden, in dem bislang ein paar wenige Megakraftwerke den Ton angaben. Irgendwie muss der Strom aus der Nordsee, wo es bislang keine Kraftwerke gab, dahin kommen, wo die Großkraftwerke vom Netz gehen ...

Versuch und Irrtum gibt es bei diesem Großprojekt nicht. Der Strom muss fließen. Deswegen wird man heute Dinge bauen, die sich im Nachhinein als überflüssig oder im Gegenteil als unzureichend herausstellen werden. Deshalb wird man heute Rechnungen aufstellen, die morgen nicht aufgehen. Aber diese Energiewende ist allemal ehrlicher als die hin zur Atomkraft und ihrem Müll. Deren Endabrechnung liegt nämlich bis heute nicht vor.